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Reportage: Schmutzige Ausländer

Westliche Immigranten in Tansania

jl, Dar es Salaam

Tansania ist ein Einwanderungsland, ein Vielvölkerstaat. Kongolesen, Jemeniten, Ugander und eben auch: Europäer. Bei der Integration dieser Menschen, die alle in dem ostafrikanischen Staat leben und arbeiten, geht es freilich nicht immer konfliktfrei zu, die Rede ist immer wieder von ungeregelten Formalitäten, Gesetzesbrüchen und Integrationsproblemen, die zur räumlichen Segregation der Einwanderergruppen führen. Ein Augenschein vor Ort zeigt, dass besonders europäische Einwanderer große Schwierigkeiten haben, sich in Tansania zu integrieren und vor Ort eine Lebensgrundlage aufzubauen. Bei einem Besuch im Stadtteil Masaki, der für seine Dichte an europäischen und nordamerikanischen Einwohnern berüchtigt ist, sehen wir: Es wird nicht übertrieben, wenn Lokalpolitiker und Polizisten von Ghettobildung sprechen. Um 23 Uhr sind am Wochenende die Immigranten in der Gegend um das Double Tree Hotel in der Regel unter sich. Mit der Zeit gelingt es unserem Team, ein wenig Zugang zu gewinnen zu den in den auf edel getrimmten Kneipen und den schummrigen Clubs herumlungernden Einwanderern, die hier vor einem oft tristen Arbeitsalltag Zuflucht suchen. Vor einem Restaurant treffen wir einen Mann, Mitte vierzig, der aus Furcht vor Konflikten mit seinem Umfeld seinen Namen nicht nennen möchte. Er wohnt nach eigenen Angaben schon drei Jahre in Dar es Salaam. Auf unsere Nachfrage, wie es ihm in der Stadt gehe, antwortet er leise, er habe Masaki noch nie verlassen. Arbeit hat er bei einer NGO gefunden, einer sogenannten Nichtregierungsorganisation. Diese im internationalen Ermittlerjargon auch als Banden bezeichneten Zusammenschlüsse operieren auch in Tansania mit dem Ziel, Wirtschaftsmigranten verdeckt Alimente von Familienmitgliedern oder Bandenchefs aus der Heimat zukommen zu lassen. Zahlreiche NGOs tarnen sich mit einem scheinbar gemeinnützigen Zweck, der in vielen Fällen allerdings darauf ausgelegt ist, das staatliche System des Ziellandes zu unterhöhlen und für weitere Aktivitäten des Mutterkartells vorzubereiten. Auch seine Organisation sei in diesen Sumpf aus Korruption und Vorteilsnahme involviert, gibt unser Gesprächspartner, nennen wir ihn Fred, widerwillig zu. Bei Treffen mit Politikern, die als Beratungen deklariert würden, flössen oft sogenannte Tagungsgelder, für die im Gegenzug Aufträge und andere Vorteile gewährt würden. Die Straßen leeren sich, wir brechen auf. Nachts gelten die verlassenen Alleen des Viertels als unsicher. Obwohl überall Sicherheitspersonal postiert ist, kommt es regelmäßig zu schweren Straftaten. Der Ghettocharakter lässt das Viertel eben nicht los. Im gepanzerten Geländewagen erreichen wir sicher das Hotel.

Ein weiteres Problem der westlichen Immigranten zeigte sich nach der Amtsübernahme der neuen Regierung unter Präsident John Pombe Magufuli, die mit dem Schlendrian vieler Behörden gegenüber Einwanderern aufräumen will. Zahlreiche der zumeist weißen Einwanderer verfügen nämlich weder über eine Arbeitserlaubnis in ihrem Beruf noch über eine gültige Aufenthaltsberechtigung. Ein anonymer Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde, den wir in Dar es Salaam treffen konnten, meinte dazu, dass es eben immer wieder vorgekommen sei, dass Ausländer positiv diskriminiert würden, um ihnen die Integration zu erleichtern. Auch bei der Strafverfolgung schauten Behörden oft weg, kritisiert unser Informant. Doch dieses Tabu müsse ein Ende haben. Auch Einwanderer hätten sich den Maßstäben eines Rechtsstaates zu stellen. Zumal es sich zeigt, dass in vielen Fällen der kulante Umgang mit den Immigranten zu schweren Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führt und sich zahlreiche Wazungu, wie die westlichen Einwanderer auch genannt werden, trotz großen Entgegenkommens gar nicht integrieren wollen. In Tansania wird Einwanderung insbesondere von als „Freiwilligen“ deklarierten unterbezahlten Hilfsarbeitskräften zumeist unter der Auflage der Arbeitsmarktneutralität gewährt. Doch der Besuch in einem Jugendzentrum im Stadtteil Ubungo zeigt, dass dies oft umgangen wird. Eine junge Deutsche, die lediglich die Schule abgeschlossen hat und über keine weitere Ausbildung verfügt, gibt Kindern Musikunterricht. Die Leiterin des Zentrums erzählt im Gespräch, dass Unternehmer und Betreiber von öffentlichen Einrichtungen oft keine Wahl gelassen würde, da die Aufnahme von Freiwilligen politisch zu stark fehlgefördert sei, um dagegen Maßnahmen zu unternehmen. Selbstverständlich gäbe es geeignetere Kandidatinnen und Kandidaten für die Stelle, doch den Europäern und Nordamerikanern würden auch ohne Qualifikationen Stellen angeboten, auf die normale Tansanier jahrelang warten müssten. Immerhin sei sie motiviert und bemüht, die Sprache zu lernen, meint die Leiterin über die Deutsche. Zum Ende unseres Aufenthalts gelingt es uns, Zugang zu einer Einwanderergruppe zu erhalten, die nicht im Ghetto von Masaki haust, sondern eine Bleibe in einem mehrheitlich von Tansaniern bewohnten Viertel gefunden hat.

Als wir am Tor eines kleinen Hauses in Magomeni klopfen, nähern sich Schritte, ein weißes Gesicht starrt misstrauisch durch den Türspalt. Bereits in den ersten Minuten des Gesprächs wird klar, dass die Einwanderer trotz ihrer Wohnung außerhalb des Ghettos kaum in Kontakt mit ihrer Umwelt treten. Grund: Fehlende Sprachkenntnisse und Fremdheitsgefühle. Am Wochenende verbringen sie ihre Zeit lieber mit Landsleuten, tansanische Freunde haben sie wenige. Der Besitzer des lokalen Lebensmittelgeschäfts, mit dem wir nach dem bedrückenden Besuch ins Gespräch kommen, hält im Prinzip viel auf Einwanderer. Sie seien eine Bereicherung für die Kultur, in Tansania sei jeder willkommen. Bei den drei deutschen Männern, die auf der anderen Straßenseite einquartiert wurden, sieht er allerdings große Probleme. Gerade einer von ihnen könne ausreichend Kiswahili, um mit ihm ein geordnetes Gespräch zu führen und das, obwohl den Einwanderern Sprachkurse ermöglicht würden und sie Mentoren zur Integrationshilfe hätten. Vor einigen Monaten habe noch eine deutsche Frau in dem Haus gewohnt. Sie habe perfekt Kiswahili gesprochen und sich der lokalen Kultur angepasst, regelmäßig saß sie im kleinen Imbiss um die Ecke, im Gespräch mit Anwohnern. Doch dass solche Fälle der geglückten Integration Ausnahmen seien, kann auch die Chefin des lokalen Polizeipostens bestätigen, der neben dem Lebensmittelgeschäft liegt. Letzte Woche hätte sich beispielsweise gezeigt, dass es hinsichtlich der Müllentsorgung bei den Immigranten noch sehr hapere. Der Abfall von drei Monaten habe in unterschiedlichen Verfallsstadien in deren Hof herumgelegen, bis die drei Männer ihn auf Bitten der Nachbarn hin entsorgt hätten. Der Geruch hätte die drei Deutschen offenbar nicht gestört, sie seien den Schmutz wahrscheinlich schon aus ihrem Herkunftsland gewöhnt. Dass man hier seine Müllentsorgung organisieren muss und dafür einen Dienstleister benötigt, sei an den Männern völlig vorbeigegangen. In der ersten Zeit hätten sie ihren Abfall einfach vor die Tür gestellt. Wahrscheinlich mache man das in Deutschland so, erklärt die resolute Beamtin. Man habe nachbarschaftlich geholfen, doch irgendwann habe jede Geduld ein Ende. Doch das die Männer den Abfall einfach horten würden, habe sie nicht erwartet. Ihnen stünde noch ein langer Integrationsprozess bevor. Freundlich grüßen genüge auf Dauer nicht. Auch die Deutschen hätten erst nach mehreren Monaten gültige Papiere besessen, obwohl sie bereits in verschiedenen öffentlichen Behörden arbeiteten. Das läge an der positiven Diskriminierung der weißen Ausländer, die den Tansaniern die Arbeit wegnähmen. Auf unseren Einwand, auch die drei Immigranten aus dem Viertel blieben wohl nur für ein Jahr, reagiert die Polizistin unwirsch. Manche verlängerten ihren Aufenthalt, dann tauchten wieder aus dem nichts dubiose „Freunde“ der Immigranten auf, die aus- und eingingen, mit wer weiß was für Geschäften. Viele kämen zudem nach ihrem Erstaufenthalt zurück, das Problem bliebe also oft länger als für den nominal vereinbarten Zeitraum bestehen.

Wohl sei ihr bei der ganzen Sache nicht. Wer könne schon ahnen, ob man mit den ganzen Arbeitsmigranten nicht auch Kriminelle und Terroristen anzöge. Dass zwei der Deutschen häufig fotografierten, könne bereits ein Indiz für ihre Ausforschung von möglichen Tatorten sein, da sie ja bekanntermaßen mit großen Kartellen in ihrem Heimatland zusammenarbeiteten. Das Vorgehen gegen diese Banden sei allerdings schwer, räumt die Polizistin ein. Doch es sei wichtig, sich mit der Gefahr auseinanderzusetzen, selbst wenn es offenkundig die Regierung noch nicht ausreichend tue. „Wir werden jedenfalls wachsam bleiben“, verabschiedet sich die Beamtin bei uns.

G.: Eine Fotografie in Worten

G. war mit dem Fahrrad unterwegs. Er kam vom Frisbeespielen am Strand und wollte nach Hause. Kurz vor der großen Kreuzung in Morocco kam er in einen Stau, durch den er sich schlängelte, bis er an der Spitze ein Blaulicht sah. Auf der Ali Hassan Mwinyi Road zogen schwarze Geländewagen vorbei, ein Regierungskonvoi. Als G. sich der Polizeiabsperrung näherte, rauschte der letzte Jeep vorbei und Motorradfahrer und Fußgänger ergossen sich auf die Fahrbahn. Als G. auf die Kreuzung fuhr, war die Kreuzung noch gesperrt. Zwischen den Hochhäusern in Makumbusho ging die Sonne unter. Die leere Straße glänzte matt im Abendlicht, das sich an ein paar Wolken brach. Gs. Kamera lag tief im Rucksack vergraben. G. folgte mit den Augen der Straße, bis sie zwischen den Häusern verschwand. In diesen Momenten liebt G. Dar es Salaam, das neben seiner hässlichen, entstellten Seite manchmal Momente des Friedens kennt, die sich einfach so auftun und solange dauern, wie es braucht, mit dem Fahrrad eine Kreuzung zu passieren. Er wendete seine Augen ab und und schaute wieder auf den Asphalt der Kawawa Road, dem Abendessen entgegen.

G.: Vielleicht fünf Stunden

Am frühen Vormittag saß G. im Büro und konfigurierte an einem Karten-Programm für die Leitstelle herum, als ein Feuerwehrmann ins Büro gerannt kam. Er möge sofort kommen, C. wolle ihn für einen Rettungseinsatz mitnehmen. S. war gerade Computerausrüstung einkaufen, also griff G. den Notfallkoffer, seinen Helm und die Jacke und sie rannten zum Rescue Tender (ein Feuerwehrauto ohne Pumpe und Schläuche, in dem Rettungsgeräte und Werkzeug transportiert werden, darunter ein Schlauchboot, Schere und Spreizer, Atemschutzgeräte und eine Schleifkorbtrage). Die Mannschaft saß schon bereit und es ging über Gegenfahrbahnen, Verkehrsinseln und durch Schlaglöcher in ein recht abgelegenes Viertel hinter dem Flughafen. Hinter der Mauer war ein neues, weißes Passagierterminal im Bau. Auf der anderen Seite ein Hüttenviertel und ein paar Menschen, die den Weg wiesen. Als sie sich gerade durch die enge Gasse wanden und auf eine großen Menschenmenge zusteuerten, stand plötzlich S. auf dem Trittbrett, der gerade vom Einkaufen zurückgekommen war und flugs mit einem Motorrad hinterhergebracht wurde.

Der Einsatzleiter C. stieg aus und erkundigte sich nach der Lage. Die Polizisten erklärten ihm, dass eine junge Frau bereits in der Nacht in einem Wasserbehälter ertrunken sei. Auf dem Jeep der Polizisten war unter einer hellen Decke schemenhaft ein menschlicher Körper erkennbar, die Gliedmaßen angewinkelt. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt, die Rettungskräfte waren also alarmiert worden, als es für jede Hilfe schon zu spät war. Die Menschen um das Feuerwehrauto trugen düstere Mienen und schauten argwöhnisch und ein bisschen neugierig zu den Feuerwehrleuten hinauf. G. war ein bisschen unruhig. Er wollte gerne aussteigen und sich umsehen, allein um zu verstehen, wie der Unfall passieren konnte. Seine Kollegen fragten ihn, ob er schauen wollte und warnten ihn vor Steinwürfen, da die Anwohner bei spätem Eintreffen der Rettungskräfte oft wütend seien. Gemeinsam mit S., der noch von der Fahrt voller Adrenalin war und der G. angesichts der Situation ein wenig zu aktiv vorkam, ging er los. In solchen Momenten setzt G. immer darauf, die soziale Interaktion mit dem Umfeld zu minimieren. Wenn er um sich blickt, dann so, dass klar ist, dass er Informationen sammelt und jeder, der ihn aggressiv angehen will, erst einmal eine Wand aus innerer Distanziertheit und gleichzeitig hoher Wachsamkeit nach außen überwinden muss. Der Unfallort war eine runde, offene Zisterne mit ungefähr zwei Metern Durchmesser. Der Wasserspiegel lag eineinhalb Meter unter der Mauerkante. Ohne ein Seil oder die Leiter, die man zur Bergung in das Becken gestellt hatte, hätte sich vermutlich niemand selbständig aus der Zisterne retten können. Hätte die Frau schwimmen können, wäre es allerdings möglich gewesen, sich über Wasser zu halten und um Hilfe zu rufen, da ein Wohnhaus direkt nebenan war. Möglicherweise war die Frau auch durch einen unglücklichen Sturz bewusstlos geworden, sodass sie keine Möglichkeit hatte, um Hilfe zu rufen. Auch wenn die Frau nicht schwimmen konnte, verwunderte es G. ein wenig, dass niemand sie gehört hatte, vorausgesetzt, dass sie bei Bewusstsein war, da die Häuser dicht beieinander standen und der Tod durch Ertrinken meistens mit recht großer Aktivität des Opfers einhergeht, zumindest für kurze Zeit. In Gs. Gedanken tauchte kurz die Überlegung auf, ob möglicherweise jemand absichtlich herbeigeführt hatte, dass die Frau in die Zisterne fiel, doch dies war reine Spekulation und würde sich nicht überprüfen lassen. Zu welchem Nutzen auch? G. erkundigte sich, wann die Frau gefunden worden sei. Morgens. Nach der Ausprägung der Leichenstarre zu urteilen, war die Frau schon eine ganze Weile tot. Vielleicht fünf Stunden. G. drückte den Umstehenden mit knappen Worten sein Beileid aus. S. fotografierte mit seiner Helmkamera den Brunnen, was G. für einen kurzen Augenblick störte. Dann gingen sie zum Auto zurück.

Auf dem Rückweg war der Einsatz kein Thema mehr, es wurde vielmehr diskutiert, welches Essen G. in Tansania besonders möge und welche Frauen er besonders attraktiv fände. Früchte und Chapati, bei der anderen Frage war die Antwort komplizierter und G. konterte mit der Frage, was für Männer die Feuerwehrfrauen gut fänden. Auf der Eisenbahnbrücke kurz vor der Innenstadt blieb das Feuerwehrauto liegen, wegen schwacher Batterie oder Problemen mit der Zündung. Durch Anschieben wurde es wieder in Gang gebracht und das Rettungsteam kehrte auf die Wache zurück.

G.: Redmond, wir haben ein Problem!

Die digitale Datenspeicherung hat der Welt eine große Möglichkeit beschert: Informationen können faktisch ohne materiellen Aufwand vervielfältigt und verbreitet werden. Das haben auch die deutschen Ausbilder auf der Feuerwache erkannt und seit einigen Jahren erhalten die von ihnen ausgebildeten tansanischen Instruktoren Laptops mit dem benötigten Unterrichtsmaterial, die diese auch privat benutzen können, um sich mit wechselndem Erfolg und nach persönlichem Bildungsstand mit dem Internet zu vernetzen. Nachdem G. nun von zu Hause einen Rechner erhalten hatte, war sein Ersatzrechner aus den Beständen der Hamburger Stadtverwaltung überflüssig und sollte für einen solchen Zweck verwendet werden. Nun hatte G. allerdings bereits eine Linux-Distribution auf dem Rechner installiert, alle Software gratis, anpassbar und sicher. Aber kein Problem, neue Linux-Installation, anderes Festplatten-Passwort, ein paar Zusatzprogramme und fertig für den Anwender, einen Inspektor der Feuerwache.
Doch es gab ein Problem, auf das R. G. hinwies. Kein Mensch will Linux haben. Der flächendeckende Standard ist Windows, oft in den Versionen abwärts von sieben. Ein paar DJs und die Oberschicht verwenden Apple, das war es. Linux existiert in der Nerd-Community des Fablab, in der freien Wildbahn sucht man es so vergeblich wie einen Kaktus am Südpol. G. protestierte und ließ den Inspektor entscheiden. Beim Wort Linux schaute ihn dieser an, als habe er ihm gerade auf Fränkisch die Bestandteile eines Elisenlebkuchens erläutert. Keine Chance, dass er schon einmal von der Betriebssystem-Plattform gehört hatte. Beim Wort Windows zauberte sich dagegen ein dankbares Lächeln auf das Gesicht des Feuerwehrmanns und die Sache war entschieden.
R. drückte G. eine Windows-7-Installations-DVD in die Hand. G. steckte eine Festplatte an, sicherte seine Daten, überschrieb die Festplatte und startete die Installation des Software-Dinosauriers. Keine Auswahl des Dateisystems, 32-bit-Betriebssystem auf einem 64-bit-Rechner, keine Verschlüsselungsoptionen, kein Office-Paket. Am Ende gab es dann zur Belohnung ein hässlich animiertes florales Motiv als Hintergrundbild, gemeinsam mit der halbtransparenten Optik in Baby-Blau, die so aussieht, als habe man ein Foto von einer Einbauküche abstrahiert und dann mit einer GoPro im Swimmingpool abfotografiert. G. war also nicht wirklich mit dem Ausgang zufrieden. Im Gespräch mit seinem Kollegen S. lobte G. immerhin die Bedienbarkeit des Systems. Die findet er zwar schlecht, aber das ist auch Gewöhnungssache und außerdem ist es wohl kein Wunder, dass tausende von überbezahlten Ingenieuren irgendwie eine halbwegs verwendbare Benutzeroberfläche hinbekommen.
Egal, Open Office und VLC-Mediaplayer verwandelten das Ganze dann doch in ein verwendbares Gerät. Als einzige Schikane baute G. einen separaten Administrator-Account ein, damit nicht gleich der erste Virus das komplette System lahmlegen würde.

*Anmerkung des Autors: Hier ist der noch halbwegs deskriptive Teil des Textes zu Ende. Wer weiterliest, wird einer globalisierungskritischen und Microsoft-feindlichen Tirade Gs. ausgesetzt.*

Der Computer hat die Menschheit vorangebracht. Richtig angewendet, kann man digitale Datenverarbeitung bedingungslos als Fortschritt bezeichnen. Doch wie bei jedem Fortschritt ist es auch beim Computer so, dass diejenigen am meisten davon profitieren, die das größte Wissen besitzen. G. ist wahrscheinlich ein Nerd, aber er kann Gegenstände in 3D drucken, er kann kleinere Systemprobleme durch geeignete Kommando-Eingaben beheben und weiß, wie man ein Daten-Backup erstellt. Ok, kann man anfügen, muss er auch wissen, wenn er schon so blöd ist, Linux zu benutzen. Da lebt es sich für viele Mitmenschen doch besser mit dem seit drei Jahren nicht aktualisierten Windows-Betriebssystem und dem neuesten Smartphone, mit dem man 20-Megapixel-Whatsapp-Bilder von seinem zerbröckelten Geburtstagskuchen verschicken kann. Sie machen sich keine digitalen Sorgen und haben folglich auch keine, zumindest, bis sie einen APN einrichten müssen oder ihre Festplatte nach dem fünften Sturz kaputt ist, ohne Backup. Aber dann rennen sie in einen von irgendwelchen Immigranten betriebenen Elektronikladen und lassen das machen. Große Teile der Angehörigen dieser
Benutzergruppe kommen aus sozialen Milieus mit speziellen Herausforderungen, herkömmlich auch als Unterschicht bezeichnet. Oder sie kommen aus der digitalen Unterschicht, Generation 40+. An dieser Stelle könnte man ein Streitgespräch über die Durchlässigkeit sozialer Schichten in Deutschland anfügen und ob es gerecht ist, dass G. aufgrund seiner guten Ausbildung ein kostenfreies und allgemein zugängliches Linux-System benutzen darf. Und ob man die älteren Menschen verurteilen kann, weil sie keine Ahnung von diesem neuen Zeug haben. Auch wenn dieses Streitgespräch wegen Uferlosigkeit auslässt, kann man doch konstatieren, dass die meisten Menschen in Deutschland relativ guten Zugang zu digitalen Ressourcen besitzen. Weiterhin kann man feststellen, dass sie angesichts der massenhaft und teilweise kostenfrei zur Verfügung stehenden Bildungsangeboten tatsächlich recht einfach die Möglichkeit hätten, digitale Arbeitsgänge zu erlernen. Zudem stellt der Internetzugang in der sozialen Grundsicherung faktisch ein Grundbedürfnis dar.

Das ist in Tansania nicht so. Eine soziale Grundsicherung gibt es nicht. Und ein Recht auf Internetzugang schon gar nicht. Die Bildungslandschaft ist eine Katastrophe und der Staat ist zerfressen von den Interessen nationaler und internationaler Unternehmen, die sich mit Korruption und Vetternwirtschaft eine goldene Nase verdienen. Kein schönes Feld also für eine bürgerrechtsorientierte, individualistische, akademische Bewegung, aus der auch die Idee für Software wie Linux hervorgebracht wurde. An dieser Stelle kann man hinterfragen, ob Individualismus und die tansanische Kultur überhaupt zueinanderpassen. Bevor das getan wird, fragt G. lieber: Welche tansanische Kultur? Die der von Kolonialismus, Revolution und Kapitalismus zerrütteten Gesellschaft? Die der vom Tourismus korrumpierten Massai? Oder die der reaktionär-islamistischen Splittergruppen Sansibars, die gerne nach der Scharia leben würden? Individualismus als Motor für gesellschaftliches Bewusstsein wird in Tansania dringend benötigt. Insbesondere digital, denn das Internet ist in Ländern, wo die nächste Bibliothek oft geographisch unerreichbar und veraltet ist, eine essentielle Bildungsquelle. Insgesamt vermutet G., dass Tansania im Bereich der Internet-Infrastruktur, Datensicherheit und Software-Innovation im Allgemeinen um mindestens zehn Jahre hinter dem Westen liegt. Und hier kommen Unternehmen wie Microsoft ins Spiel. Auch im Westen bombardiert das Unternehmen den Markt mit schrottigen Anwendungen, Dumping-Lizenzen und Software, die die Benutzer gläsern macht. Allerdings gibt es Kundenschützer und Gerichte, die den Konzern zu schmerzhaften Strafen verurteilen, wenn er z.B. bestimmte Quellcodes den Drittentwicklern absichtlich nicht offenlegt, um sie vom Markt fernzuhalten. In Tansania geschieht eine solche Überwachung durch Staat und Öffentlichkeit faktisch nicht. Und so entsteht wie auf vielen Gebieten eine Vernachlässigung und Ausbeutung des globalen Südens durch die Wirtschaft, weil niemand da ist, grundlegende Rechte einzufordern. Das bedingt im digitalen Bereich eine problematische Kette.
Welcher Computer hält in Tansania die klimatischen Strapazen lange durch? Wenige. Wer kann sich in Tansania einen fabrikneuen Computer mit der OEM-Installation des Windows-Betriebssystems leisten? Kaum jemand. Wer macht sich die Mühe, für jeden seiner klapprigen Rechner alle proprietären Lizenzen beim inexistenten Windows-Store für ein halbes Jahresgehalt nachzukaufen? Absolut gar keiner.
Verständlich also, dass es auf dem tansanischen Elektronikmarkt faktisch nur B-Ware oder veraltete Produkte gibt. Die Software wird grundlegend raubkopiert und ist ebenfalls veraltet, was Konzerne wie Microsoft wegen ausbleibender Gewinne nicht zu Investitionen in diesen Markt lockt, den sie trotzdem wegen der Firmenkunden und der Hoffnung auf zukünftiges Wachstum nicht aus der Hand geben wollen. Marktwirtschaftlich ist dies verständlich, technologisch ist es fatal. Denn in die Nische alter Hardware und fehlender Mittel könnte Linux optimal einsteigen. Es könnte nur eben keine Gewinne erzielen, höchstens für die lokale Bevölkerung. Es gibt Distributionen, die selbst auf Rechnern vom Ende der 90er-Jahre laufen und trotzdem benutzbar sind und mit denen man im Industriestandard ODF verwertbare Dokumente erstellen sowie im Internet surfen kann. Sogar die ärmsten Anwender hätten die Möglichkeit, mit einem USB-Stick und einer Live-CD einen mit anderen geteilten Rechner autonom zu betreiben. Dazu fehlt aber das Wissen in der Bevölkerung und die Bereitschaft einer mächtigen Firma, einen Markt, den sie mit ihren Mitteln nicht bespielen kann, zu räumen. Das interessiert die Manager in Redmond kaum, aber es sollte gesagt werden. Linux is waiting around the corner. Und G. wird einiges daran setzen, dass es auf die neuen alten Rechner eines ihm bekannten, lokalen Jugendzentrums kommt, wenn sie aus Deutschland eintreffen. Redmond, der Kampf hat begonnen. Dein Don Quijote.

G.: In den Medien

Am 21. Februar erwachte die Mitglieder der WG in Magomeni zu lokaler Bekanntheit. Sie waren im Fernsehen. Gs. Kollegin L. übermittelte ihm, dass er Verehrerinnen hätte und ein Nachbar hielt mit seinem Auto neben G. an und gratulierte ihm.
Das kam so: G. und S. hatten sich angemeldet, um am Standby der Fire und Rescue Force zum großen Derby Simba gegen Yanga teilzunehmen. Simba und Yanga sind die größten tansanischen Fußballmannschaften, entsprechend war der zu erwartende Andrang. G. war gespannt, Yanga zu sehen, denn er kannte das Team noch nicht und an diesem Tag würde sich die Wahl aller Wahlen ihrem Ausgang nähern, welches Team er unterstützen solle. In Dar gibt es daneben noch das Azam-Team, aber es gehört einem großen Konzern und ist daher für G. schon von Anfang an indiskutabel gewesen. Auf dem Weg zum Stadion blieb das Feuerwehrauto wegen verstopften Kraftstofffilters zweimal liegen, doch schließlich kam das Rescue Team mit Schlepphilfe von der Wache Temeke auf dem Gelände an. Sie trugen ihre Ausrüstung an den Spielfeldrand. Dann baute sich G. einen provisorischen Stuhl aus Stadionsitzen und aß erst einmal zu Mittag. In der Menge entdeckte er mit seinem Kollegen T. noch dessen Mitfreiwillige, die ihnen zuwinkten. Das Stadion füllte sich stetig, sodass sich bei Anpfiff annähernd 60.000 Menschen versammelt hatten, die eine beeindruckende Kulisse für den Kampf der Giganten bildeten. G. war ein bisschen nervös, denn eine solche Menschenmenge bildet ein hohes statistisches Potential für Zwischenfälle. Doch zunächst war alles ruhig. Die Zuschauer waren ausgeruht und es fiel kein Tor.

Dann wurde nach einem schweren Foul ein Spieler der Simba vom Platz gestellt und kurz vor Ende der ersten Halbzeit ging Yanga mit 1:0 in Führung. Riesiger Jubel brandete auf. Dabei fiel ein Yanga-Fan in den Graben zwischen Rängen und Spielfeld, den chinesische Ingenieure neben den fehlenden Rettungsgassen und verrostender technischer Ausrüstung dem Stadion als Signatur fernöstlicher Wertarbeit mitgegeben haben. Als G., S. und T. eintrafen, war der Zuschauer noch bewusstlos, erwachte aber bald und wurde mit Hilfe der Scouts zum Krankenwagen getragen. G. und T. wurden gleich zum nächsten Einsatz gerufen, weil eine Frau im Yanga-Block ohnmächtig geworden war. Sie war aber schon wieder zu sich gekommen, als G. und T. von der Seite des Blocks zu ihr vorgedrungen waren, sodass sie zum Spielfeld zurückkehren konnten, was sich angesichts der Zuschauer, die auf das Spiel fokussiert waren, als etwas mühselig erwies. G. hatte sich auf die Bilder gefreut, die er während des Spiels aufnehmen würde. Dazu kam er ab dem ersten Einsatz nicht mehr. Zurück am Spielfeld war er kurz alleine, als er von Scouts zu einem neuen Einsatz außerhalb des Stadions gerufen wurde. Mit Trage, Stiefeln und Rucksack zu rennen, erwies sich insgesamt als anstrengend, was auch erklärte, dass G. in dieser Nacht gut schlief. Während die Patientin mit Krampfanfall stabilisiert wurde und S. und T., der nach der Alarmierung der Ambulanz ein wenig außer Atem war, auf das Eintreffen dieser warteten, stellte sich G. wieder in Bereitschaft. Insgesamt gerieten die Helfer immer mehr in zeitlichen Verzug, da die Einsatzstellen oft schwer zu erreichen waren und sie personell völlig unzureichend ausgestattet waren. Zudem hatten sie keine Funkgeräte, was die Kommunikation erheblich erschwerte, sodass sie faktisch auf Sichtkontakt angewiesen waren oder von Zuschauern zu ihren Kollegen geleitet wurden. Ein Stadion-Steward rief G. zu einem neuen Einsatz im Yanga-Block, wo wieder eine ohnmächtige Person evakuiert werden sollte. G. reichte seine Schleifkorbtrage über den Graben und ließ eine Leiter holen, um den Graben zu überbrücken. Mit Gesten zeigte er den Zuschauern, dass sie die Patientin auf der Schleifkorbtrage (faktisch eine Kunststoffwanne, praktisch für die Rettung in unwegsamen Bereichen) festschnallen sollten und dass sie sie mit Füßen zuerst über die Leiter bugsieren sollten. Quälend lange hing die Trage über dem Abgrund, doch dank vieler helfender Hände kam die Frau sicher auf die Aschenbahn und wurde in Richtung Ambulanz davongetragen. Ein Pressefoto zeigte G. später in voller Konzentration beim Transport der Trage.

Die ganze Prozedur wiederholte sich später noch einmal, dabei waren immer die Scouts eine große Hilfe, die als erste vor Ort waren und sich im Gegensatz zu den Polizisten nicht zu fein waren, mit Hand anzulegen. Mit den Polizisten wurde G. kurz ärgerlich, als sie wieder einmal im Weg standen und nicht die Trage anfassen wollten, um sie quer durch das Stadion zu einem Einsatz zu bringen. Er brüllte: „Seid ihr Kinder oder Soldaten?“, was die Polizisten nicht besonders amüsierte, aber dafür Gs. tansanischen Kollegen P. sehr freute. Kein unbedingt kluger Vorstoß, aber ein Ventil für den Druck, dem sich das Rescue Team angesichts der personellen Überforderung ausgesetzt sah. Es folgten noch einige bewusstlose Personen. Ohne die Mithilfe der Zuschauer und Scouts sowie ihrer Ausbilders H. hätten die Ersthelfer die Einsätze nicht bewältigen können. Am Ende gab es noch einen Einsatz auf der obersten Tribüne. S. und T. rannten außenherum, während G. die Leiter organisierte. Es war ein bisschen wie Bergsteigen. Die Zuschauer wollten die Person auf der Trage zunächst fast senkrecht nach unten über die Leiter ablassen, weil sie das Prinzip im Graben gesehen hatten. Das war aber zu gefährlich und ein Unfall wäre auch für die Außenwirkung der Feuerwehr fatal gewesen. Durch Ts. Überzeugungsarbeit trugen sie den Patienten aber über eine Fluchttreppe nach draußen. Das Spiel war zu Ende, G. wies die Helfer an, die Leiter zu den Krankenwagen zurückzubringen und hatte zum ersten Mal Zeit, von oben den Blick auf das sich leerende Stadion zu genießen und drei Bilder zu machen. Dann ging er zum Spielfeld zurück, sie sammelten ihre Ausrüstung ein, die trotz der zahlreichen Einsätze noch vollständig war bis auf die Handschuhe, die sie verschlissen hatten. Der Dieselfilter war gereinigt worden. Sie fuhren zurück zur Feuerwache, vorbei an feiernden Yanga-Fans. Yanga hatte 2:0 gewonnen. G. ist jetzt Yanga-Fan. Eigentlich spielt es keine Rolle, aber er mag das Yanga-Grüngelb lieber als das Simba-Rotweiß. Außerdem hat er den unfairen Simba-Spieler nach seiner Notbremse moralisch geächtet. Als Ausgleich für den anstrengenden Tag wartete eine Pizza in Dar es Salaams höchstem Restaurant mit Blick auf das Geschäftsviertel Posta. G. hatte eine gute Unterhaltung mit F., die ihm versprach, seinen englischen Text für die Open-Stage-Veranstaltung im Goethe-Institut gegenzulesen. Die Heimfahrt durch die einsame Senke am Jangwani-River war die letzte Herausforderung des Tages, doch kein Räuber war da. Morgen würde es zum Segeln gehen. Keine schlechte Aussicht. G. war im Fernsehen gewesen. Alle hatten die Weißen gesehen, die nicht nur große Geländewagen fuhren, sondern rannten, schwitzten und Hand anlegten. Zufrieden schlief er ein.

Gedicht

Der Schriftsteller in den Tropen

Ein Ventilator rauscht an der Decke
Licht flackert, Spannungsschwankung
Erst hell, dann dunkel
Und der Bildschirm blickt ins Gesicht des Verwirrten
Der geblendet im Menu
Den Bildschirm nachjustiert
Das Internet hat Notstrom
Laptop-Akku voll
Er hat alle Zeit der Welt
Und weiß nicht, was er schreiben soll.
Ruft lieber E-mails ab.
Und eine alte Freundin schreibt aus einer alten Welt,
dass vieles sich verändert und manches sich verhält,
wie er es kannte, als er aufbrach,
das Fürchten zu lernen,
Wo man es noch lernen mag.
Jetzt schwitzt er, denkt nach und schreibt eine Antwort.
Auf eine andere Mail, die freilich auch schon lange lag.
Er schwitzt und Wasser rinnt von seiner Haut, darin gelöst Insektenspray
Mit 50% DEET, das er aufgetragen hatte, um mit seinem digitalen Arbeitsblatt
Zur Straße hinzugehen
Und mit den Blicken einzufangen
Deren Gesichter, die an der Kasse stehen,
Ihm jeden Tag ein, zwei Bananen und das obligatorische Brot aus Sansibar,
Verkaufen und nun müde von der Arbeit, am Straßenrand nach Hause laufen.
Doch der Schreibende,
Besinnt sich und weiß,
Dass man nicht mit sich trägt,
Den Lohn eines Mannes,
Den dieser im Jahr zusammenträgt,
Nur um Briefe zu schreiben und Ylvis zu hören.
Und er sitzt im Haus und die Lampe ist hell und wird wieder dunkel.
Der Ventilator ist leise. Die Spannung ist niedrig und der Ausfallzähler zeigt sechs Minuten für diesen Tag.
Und der Schreibende legt den Rechner beiseite, für diesmal genügt es.
Will schlafen bis morgen und ist schon voller Pläne für den Text, der dann wohl entstehen mag.

Kommentar: Perspektiven einnehmen

Ein Bild aus Afrika. Ein armes Kind irgenwo auf einer Straße. Es sieht hungrig aus, verschwommen sieht man ärmliche Hütten im Hintergrund. Das Kind hat keinen Namen. Es ist nur ein Symbol für eine Erwartung an einen Kontinent, den sich die Berichterstattung zu bemühen erfüllt. Dabei nimmt die auf einen ungeschriebenen Standard reduzierte symbolhafte Darstellung von Hunger, Armut und Leid auch eine vergleichende Perspektive ein. Seht, wie gut es uns geht. Seht, wie viel besser wir sind, die diese Probleme schon längst nicht mehr haben. Seht, wie westliche Großkonzerne den globalen Süden zu Grunde richten. Die Botschaften können je nach Bedarf und Zweck verändert werden. Grundkomponente ist immer die Feststellung eines Wohlstandsunterschieds zwischen „ihnen“ und „uns“, kombiniert mit einer Botschaft, die sich meistens aus dem Pool Spendenaufruf, Globalisierungskritik oder Entwicklungsarbeit speist. Gleichzeitig suggeriert das Bild mit einem Menschen „von der Straße“ hohe Authentizität und Objektivität. So sieht es da aus. Tatsächlich ist inhaltlich auf diesen Bildern meist nicht viel zu sehen, es werden vielmehr Allgemeinplätze aufgerufen, die unabhängig von den Bildern existieren. Im Prinzip könnte der Fotograf auch „Afrika – Armut“ auf ein Blatt Papier schreiben, nur dass Bilder von Menschen eine stärkere emotionale Wirkung entfalten.
Über Allgemeinplätze, Klischees und Vorurteile ist viel gesagt und geschrieben worden. Ein weiterer Aspekt der Diskussion, der weitaus seltener Beachtung findet, ist dagegen die Frage nach der Perspektive, die jeder Bericht einnimmt. Egal ob für die Berliner TAZ, die Bild oder ein Infoblatt der Caritas, kein Bericht ist ohne Standpunkt. Dies gilt insbesondere für die Berichterstattung über andere Kulturkreise. Dabei eint alle, von den Erzkonservativen bis zu den linken Fundamentalisten, ihre westliche Perspektive. Sie alle schaffen aus ihrer Sicht ein Dokument von hohem Wahrheitsgehalt, geschaffen nach ihrem genuinen Werte- und Wahrnehmungssystem. Dieses Wahrnehmungssystem ist meistens aber keineswegs kompatibel mit der Realität, über die berichtet wird. Und so schafft jeder Bericht trotz der hohen Ansprüche seiner Autoren ein Zerrbild, das von einer bestimmten wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Warte aus eine spezielle Perspektive darstellt. Der Mensch ist durch Globalisierung und internationalen Austausch kein omnikulturelles Wesen geworden.
Jeder Bericht nimmt Perspektiven ein, besitzt also einen Darstellungsfehler, ganz gleich, ob er mit dem Ziel geschaffen wurde, interkulturelles Verständnis zu schaffen oder zu dokumentieren, „wie es da ist“.
Doch ist dies nicht grundlegend schlimm, denn auch aus dem verzerrten Bild einer Action-Kamera können mit der richtigen Software wertvolle Informationen entnommen werden. Vielmehr kommt es darauf an, dass es gelingt, Perspektiven zu identifizieren und dass auch die Berichterstatter ehrlich zu ihren Perspektiven stehen. Nicht immer ist das einfach, denn kaum ein Bild-Reporter wird schreiben, dass sein Artikel Klischees über ein bestimmtes Land bestätigen soll, um die Erwartung einer bestimmten Leserschaft zu erfüllen. Wenige Fotografen werden ihre Reportagen mit dem Slogan „Serengeti! Exotische Bilder für den Kleinbürger“ anpreisen, selbst wenn das die inhaltliche Leitlinie und das wirtschaftliche Konzept der Reportage sein sollte. Es sind also auch die Konsumentinnen und Konsumenten von Berichten gefragt und gerade jenen, die beanspruchen, „nur“ zu dokumentieren. Sie müssen beobachten, was der Bericht ihnen zeigt und sich besonders dafür interesssieren, was er ihnen nicht zeigt, ob in Worten oder Bildern. Dies kann geschehen, indem man seine Quellen diversifiziert. In der Welt, die immer mehr zusammenwächst, kann dies aber auch gut bedeuten, selbst einmal nachzusehen, hinzufahren, nachzufragen. Denn in unserer westlichen Demokratie sollten Perspektiven und ihre Interpretation kein Privileg sein. Vielmehr hat jede und jeder das Recht auf eine eigene. Diese kann dann mit denen der anderen verglichen werden und jeder wird für sich selbst entscheiden, wie er auf die Welt blickt. Die absolute Wahrheit gibt es nicht. Doch wenn wir uns unserer Blickwinkel bewusst werden, andere Blickwinkel hinterfragen und vielleicht sogar selbst einnehmen können, kommen wir ihr ein Stück näher.

Dieser Kommentar ist das Vorwort zu einer Reportage-Reihe, die sich mit dem Alltag in Dar es Salaam und der Arbeit im System dieser Großstadt beschäftigt.

Images: Wednesday

Basic Firefighting Training

Lessons being held in the main hall
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After the exercise
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Pump operator
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Mist
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Boat trailer - First Mission
Boat trailer – First Mission
Setting off to Kawe Beach
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Breathing apparatus games
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Exhausted 1
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Exhausted 2
Exhausted 2

Nightly build: Bag for my new camera

P1090281
The tailor’s workshop
The product
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G.: Transit

Es war Montag, der 8. Februar 2016, als G. sich aufmachte, das Ghetto zu verlassen. Er stieg auf sein Fahrrad und fuhr immer nach Norden, bis die Häuser wieder größer wurden. Es roch nach Meer. Vor einem großen Tor hielt G. an. Der Wächter sagte ihm, dies sei der Segelclub. Menschen wie G. könnten hier Arbeit finden, denn die Schiffe hungerten nach jungen Menschen aus dem Ghetto, die sie putzten und ihren Besitzern Steaks brieten. G. willigte ein, denn er war des Fahrens müde geworden. Ein Mann kam herbei, der Gs. Sprache kannte und ihn anwies, ihm auf dem Schiff zur Hand zu gehen. Sie setzten sich in eine Nussschale aus Aluminium. Nach einer schier endlosen Reise kamen sie am Schiff des Mannes an. Woran dieser es erkannte, wusste G. nicht, denn in der schier unendlichen Masse der Plastikrümpfe hob es sich nicht merklich ab. Der Mann kletterte an Bord und bedeutete G., es ihm gleich zu tun. Dann zeigte er ihm seine Arbeit. Er würde ein Segel, das nicht vom Mast herabwollte, lösen müssen. G. sollte dazu die Winsch bedienen. Er warnte G.: Das Boot kommt heute nur noch einmal vorbei, wir müssen es bis dahin schaffen. G. kurbelte und kurbelte, doch das Segel wollte nicht herab. Erst als sich das Boot bereits näherte, hatten G. und der Mann das Segel auf dem Deck zusammengefaltet und mit einer Schnur zusammengebunden. Der Mann rief dem Bootsmann zu, anzulegen. Doch die Wellen waren stark. Das Boot stieß an das Schiff des Mannes. „Steigt ein!“, rief der Bootsführer. G. und der Mann zögerten, denn das Segel war groß. Und schon fuhr das Boot weiter. Der Mann legte sich in seine Koje und G. bettete sein Haupt auf dem zusammengerollten Segel. Es war eine wolkige Nacht mit viel Wind. Am Morgen fror es G. ein wenig. Das erste Boot hatte mehr Zeit. Auf dem Weg zurück in seine Gegend wurde G. wieder warm, denn er fuhr, so schnell er konnte. Niemand sollte sehen, dass er das Ghetto verlassen hatte. Auf der Arbeit erschien er gerade noch rechtzeitig. Warum er so abgehetzt sei? Er habe einen Platten gehabt. Das Stück Segeltuch, welches er aus dem Segelverein mitgenommen hatte, stopfte er ganz unten in das Arbeitsregal. Keinen Neid riskieren. Demnächst würde er eine neue Tasche haben.

G.: In die Wildnis

An diesem Wochenende hat G. einen Traum verwirklicht, den er schon seit zwei Wochen gehegt hat: Er ist mit dem Fahrrad in die Wildnis aufgebrochen. Ziel: Die kleine Stadt Bagamoyo 50 Kilometer nördlich von Dar es Salaam, ehemaliger Sitz der deutschen Kolonialregierung und Zentrum des lokalen Sklavenhandels. Geschichte kombiniert mit wilder, unberührter Natur, das kann nur Afrika sein. Vorneweg: G. ist keinen Buschmännern begegnet, ebensowenig wie sein Freund L. von einer giftigen Schlange gebissen wurde. Es war auch nicht so, dass sie einfach in die Wildnis aufgebrochen wären. G. hat sich auf Google Maps alles genau angeschaut und die Satellitenbilder der schwierigen Stellen in Schwarz-Weiß ausgedruckt und von Hand den Weg eingezeichnet, falls die Elektronik ausfallen sollte. Es war also eigentlich eine recht moderne Tour, eine, die ohne die nur im Internet verfügbaren Informationen nicht möglich gewesen wäre. Andere Informationen waren dagegen im Internet nicht erhältlich, beispielsweise die Anzahl der zu durchquerenden Militärsperrgebiete, der platten Reifen unterwegs und der potentiell kritischen Situationen mit anderen Menschen in abgelegenen Gebieten (1/5/1). Folglich war G. schon ziemlich aufgeregt, als er am Freitagabend schlafen ging.

Um halb sechs klingelte der Wecker, Frühstück, Gepäck aufs Fahrrad laden, obenauf Pumpe, Flickzeug, Wasser und ein Holzstock (zum Öffnen von Kokosnüssen oder zum Erwecken eines wehrhaften Eindrucks). Dann ging es los. Die erste Strecke bis Mikocheni war einfach, da G. sie schon kannte. Danach ging es immer weiter durch die Vororte, G. trat in seine erste Schlammpfütze, doch er hatte Wanderstiefel an. Er klemmte sein abgefallenes Schutzblech wieder an, dann ging es weiter. Gemeinsam mit einem Rastafari, der Reggae auf seinem Ghettoblaster hörte, erklommen G. und L. einen Hügel und schlängelten sich weiter durch das Umland von Dar es Salaam, an kleinen Läden vorbei, Schulen, Häusern, Ziegen und Menschen, die ihrer Arbeit nachgingen. Sie kamen an einer Gegend vorbei, die komplett überflutet war und in der fast alle Häuser abgerissen waren. Nur eine Villa stand einsam im Wasser herum, daneben ein Auto. Wer die beiden dort wohl zurückgelassen hatte? G. sah seinen ersten Mangrovenwald, wo kleine Krebse im Schlamm herumrannten. Wasservögel flogen auf, als G. sich näherte, um sie zu fotografieren. An einem Abzweig las G. ein Schild, das irgendetwas mit dem Militär zu tun hatte und irgendeiner geschlossenen Straße. Sie fuhren auf einer sehr leeren Piste weiter. Irgendwann sahen sie zwei Männer die am Straßenrand standen. Einer trug eine Tarnhose. Achtung, Straßenräuber, dachten G. und L. und beschleunigten sie. Die Aufforderung zum Anhalten überhörten sie geflissentlich, denn das wäre ja gefährlich. Gut, dass in Tansania nur wenige Sicherheitskräfte Waffen tragen. Sie kamen an eine große Teerstraße vor einem Kasernentor. Ein Offizier in Zivil blaffte sie an, woher sie kämen und wohin sie wollten. Nachdem sie sich entschuldigt hatten und G. ein wenig seine Zugehörigkeit zum Innenministerium hatte heraushängen lassen, durften sie weiterfahren, auf einer großartigen Asphaltstraße, die allerdings öffentlich war. So kamen sie in die nächste Siedlung. G. und L. verfuhren sich ein wenig, doch sie fanden mit Internetunterstützung eine Furt, die sie überquerten, um zur Route zurückzukommen. G. durfte sich noch ein wenig verdient machen, indem er einem Motorradfahrer half, seine Maschine den schlammigen Hang hochzuwuchten. G. ist sich nicht immer sicher, aus welchen Motiven er in diesen Situationen hilft. Einerseits wäre es unfair gewesen, den Menschen mit seinem Motorrad alleine zu lassen. Andererseits könnte die Hilfe auch eine gute soziale Absicherung sein. Der Motorradfahrer erlebt einen Weißen, der nicht mit einem großen Geländewagen herumfährt und sich mit Politikern trifft, die er höchstens aus dem Fernsehen kennt, sondern etwas Handfestes zu seinen Gunsten tut. Er wird das vielleicht seinen Kollegen erzählen, wenn er sie an der nächsten Kreuzung trifft und sie werden in einem Umkreis von bis zu zehn Kilometern freundlich zu den weißen Touristen sein, wenn zufällig jemand da ist, der die Story kennt. Bei einer kurzen Rast unter einem großen Mangobaum unterhielten sich G. und L. mit dem Fahrer eines kleinen Lastwagens. Diesem begegneten sie tatsächlich im Verlauf der nächsten zehn Kilometer immer wieder und sie grüßten einander. Nach der nächsten Furt hatte G. einen Platten. Das nächste Dorf war glücklicherweise nur einen halben Kilometer entfernt. Nach einer lustigen Unterhaltung mit den Männern, die unter einem Baum Fahrräder reparierten, war der Flicken fertig und es konnte weitergehen. Die Männer fragten unter anderem auch, ob G. schon verheiratet sei. Wenn er dies verneint, herrscht oft große Ungläubigkeit, denn in Tansania liegt das durchschnittliche Heiratsalter nach Gs. Wahrnehmung deutlich tiefer als in Deutschland. Auf die Frage, ob G. denn in Tansania heiraten wolle, antwortet er meist, dass es schwer sei, zwei Heimaten zu haben. Die meisten Menschen, die G. auf der Straße getroffen hat, haben das Thema aber auch nicht mit großem Ernst vertieft, sodass meistens viel gelacht wird. Die Männer wünschten G. und L. eine gute Reise und es ging weiter. Die Straße wurde schmaler und nach einem langen Anstieg in der inzwischen fast mittäglichen Hitze beschlossen die beiden Reisenden, dass es Zeit für eine Rast wäre. Sie setzten sich in den Schatten eines Mangobaums zu einigen Benzinhändlern, die ihre Flaschen auf einem Tisch an der Straße stehen hatten. G. ging los und kaufte Reis mit Bohnen und einen frittierten Fisch, nachdem sie die komplette Schokoladentafel, die G. dabeihatte, zusammen mit den Verkäufern aufgegessen hatten. Endlich Kohlenhydrate! Zum Nachtisch gab es noch eine fantastische Mango.

Dann wurde es ernst. Die Einöde begann. Zunächst trafen sie noch einen Jungen, der in die gleiche Richtung unterwegs war und auf einer Farm wohnte. Danach kamen sie in ein Gebiet, wo eine Oberschichtsiedlung mitten ins Nichts planiert werden soll. Bisher zeugte davon eine Schotterpiste, eine Schranke mit Wachhäuschen und ein betonierter Straßengraben. Dann begann ein illegales Sandabbaugebiet. Laut dem Satellitenbild mussten sie die erste Straße links nehmen. Auch wenn G. in solchen Gegenden immer gut schaut, wird man meistens früher gesehen, als man sieht. Ein Mann rief zu ihnen hinüber, dann wurden drei weitere sichtbar und ein Mann weiter weg. Eine schlechte Piste führte hinunter in eine Sandgrube. War das schon der Abzweig? G. und L. überlegten hastig, ob sie rasch weiterfahren sollten, denn die Männer näherten sich. Dazu sollte man sagen, dass der illegale Abbau von Sand zu den weniger hoch dotierten Arbeiten in Tansania gehört. G. stellt sich soziale Kohäsion manchmal als Sandkuchen vor. Wenn das Wasser bzw. das Geld fehlt, beginnt es zu rieseln. Ein wichtiger Faktor neben den Wohlstandsunterschieden ist in Gs. Sicherheitswahrnehmung auch die Sesshaftigkeit des Gegenübers. Kein noch so armer Mensch würde einen Reisenden mitten in seinem eigenen Dorf ausrauben. Das würde zu sozialer Ächtung führen, zumindest in Tansania. Die Anwesenheit von Frauen wirkt zudem auch entschärfend. Schwieriger sieht es bei entlegenen Gegenden aus, in denen sich nur nicht-sesshafte Männer aus niederen Einkommensschichten aufhalten, in die z.B. Motorradkuriere und Sandarbeiter fallen. Deshalb waren G. und L. ein wenig nervös. Die Männer erwiesen sich aber als recht freundlich und wiesen wegen der nicht optimalen Verständigung den Reisenden den Weg zum Meer. Die grobe Richtung stimmte aber, sodass G. und L. den Abzweig fanden und durch eine Savannenlandschaft weiterfuhren. Dann hatte L. einen Platten. Da sie sich an einer Strecke befanden, wo sie weitere Menschen gesehen hatten, die zur o.g. Gruppe gehörten, schlugen sie sich ein wenig ins Gebüsch. Dort flickten sie im Halbschatten den Schlauch und setzten den Weg fort. Inzwischen war es Nachmittag, der Verkehr hatte abgenommen. Sie kamen an eine Salzgewinnungsanlage, riesige Teiche, daneben eine Hütte mit einem großen Stapel Salzsäcke. Niemand war zu sehen und G. und L. setzten den Weg fort. Es ging weiter auf einem Pfad. Hier war der Teil der Strecke, indem sie zweihundert Meter irgendwie nach Westen mussten, was auch gut klappte. So fanden sie eine Fahrspur und stellten, als sie losfahren wollten, fest, dass L. erneut einen Platten hatte. Sie versteckten sich im Unterholz und flickten auch diesen. Zurück auf der Fahrspur war dann der andere Reifen platt. Hinter einem Strauch wurde auch dieser geflickt. Als ein Motorrad auf der anderen Seite der Wiese vorbeifuhr, kauerten sich G. und L. ins Gebüsch. Dann kamen sie an eine weiter Salzfarm. Ein Hirte lag im Schatten und bewachte seine Kühe. Endlich waren sie wieder an einer Piste, die auch von Google verzeichnet wurde. Diese war allerdings extrem sandig und schwer zu fahren. Eine Frau rief den Reisenden von ihrem Gehöft einen Gruß zu. Es wurde langsam Abend. Sie hielten noch kurz bei einer Familie auf einem kleinen Hof an und bekamen die Einladung, wiederzukommen. G. möchte dies gerne irgendwann tun, um die Gegend noch ein wenig zu erkunden. Die Salzteiche und die Kleinbauern erschienen ihm deutlich freundlicher als die illegalen Sandgruben, die den unbändigen Bauhunger von Dar stillen. Zurück auf der Straße hatte L. seinen vierten Platten. Die Ankündigung, beim nächsten Platten einfach das Flickzeug hinzuwerfen und so schnell wie möglich das Weite zu suchen, löste G. nicht ein. Er fand stattdessen zum ersten Mal eine Cashew-Nuss, die noch an ihrer Frucht hing. Es gibt in der Gegend zahlreiche Bäume, was sich auch in den Snacks niederschlägt, die an der großen Landstraße angeboten werden. G. schickte C. eine Positionsmeldung, auf der nur eine Straße und die Stecknadel im Vorschaubild erschienen. Doch anschließend fanden sie rasch den richtigen Abzweig und kamen bald in ein kleines Dorf. Dort gab es wieder Trinkwasserflaschen, sodass G. und L. umringt von neugierigen Kindern ihre Vorräte wieder aufstockten. Irgendwann sahen sie das ersten Bajaj (Ape-Taxi), das schon zu Bagamoyo gehören musste, da die Gefährte auf halbwegs feste Straßen angewiesen sind. Als sie schließlich an die Teerstraße gelangten, mutete ihnen diese ein wenig wie ein Wunder an. Irgendwann endete die Teerdecke wieder, es folgte ein Rattenschwanz in der zunehmenden Dämmerung. Irgendwann kamen sie auf das Plateau vor Bagamoyo. Die über den Tag aufgebauten dunklen Wolken schickten ihnen kalten Wind entgegen, ein paar Tropfen fielen. Mit dem Blick auf das Meer und den im Wind schaukelnden Palmen genoss G. die Szenerie sehr. Irgendwann waren sie in Bagamoyo. Vor der Kunsthochschule (eine der bekanntesten in Tansania) rief G. C. an, die F. schickte, um sie abzuholen. Die italienischen Freiwilligen wohnten ganz in der Nähe. G. und L. wurden herzlich aufgenommen, es gab Pasta zum Abendessen. Etwas besseres hätten sich die beiden nicht wünschen können. Ein wenig klischeehaft war es natürlich, aber Nudeln sind doch etwas internationaler und leichter erhältlich als Kloßteig oder richtige Bratwürste, weshalb die Deutschen bei ihrem Essensplan wohl weniger an lokalen Essenstraditionen festhalten. Dankbar fielen G. und L. auf ihre Matratzen.

Am nächsten Morgen brachen sie zu einem leckeren Frühstück in einem Hotel am Meer auf. Dort gab es am Pool richtiges Müsli. Das war der luxuriöse Teil der Tour, denn anschließend fuhren sie noch an einen Strand an einer Lagune, wo es noch ein Picknick gab, bevor sich G. und L. herzlich von ihren Gastgebern verabschiedeten und nach Hause aufbrachen. Sie prügelten ihre Fahrräder die Hauptstraße hinunter, verschlangen an einem Kiosk ein weißes Toastbrot, zwei Orangen und schluckten eine wunderbar künstlich schmeckenden Limonade hinunter. In der Dämmerung kamen sie zu Hause an. Sie hatten die Wildnis überlebt.

Die Bilder der Tour sind hinter diesem Link zu finden.