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G.: In den Medien

Am 21. Februar erwachte die Mitglieder der WG in Magomeni zu lokaler Bekanntheit. Sie waren im Fernsehen. Gs. Kollegin L. übermittelte ihm, dass er Verehrerinnen hätte und ein Nachbar hielt mit seinem Auto neben G. an und gratulierte ihm.
Das kam so: G. und S. hatten sich angemeldet, um am Standby der Fire und Rescue Force zum großen Derby Simba gegen Yanga teilzunehmen. Simba und Yanga sind die größten tansanischen Fußballmannschaften, entsprechend war der zu erwartende Andrang. G. war gespannt, Yanga zu sehen, denn er kannte das Team noch nicht und an diesem Tag würde sich die Wahl aller Wahlen ihrem Ausgang nähern, welches Team er unterstützen solle. In Dar gibt es daneben noch das Azam-Team, aber es gehört einem großen Konzern und ist daher für G. schon von Anfang an indiskutabel gewesen. Auf dem Weg zum Stadion blieb das Feuerwehrauto wegen verstopften Kraftstofffilters zweimal liegen, doch schließlich kam das Rescue Team mit Schlepphilfe von der Wache Temeke auf dem Gelände an. Sie trugen ihre Ausrüstung an den Spielfeldrand. Dann baute sich G. einen provisorischen Stuhl aus Stadionsitzen und aß erst einmal zu Mittag. In der Menge entdeckte er mit seinem Kollegen T. noch dessen Mitfreiwillige, die ihnen zuwinkten. Das Stadion füllte sich stetig, sodass sich bei Anpfiff annähernd 60.000 Menschen versammelt hatten, die eine beeindruckende Kulisse für den Kampf der Giganten bildeten. G. war ein bisschen nervös, denn eine solche Menschenmenge bildet ein hohes statistisches Potential für Zwischenfälle. Doch zunächst war alles ruhig. Die Zuschauer waren ausgeruht und es fiel kein Tor.

Dann wurde nach einem schweren Foul ein Spieler der Simba vom Platz gestellt und kurz vor Ende der ersten Halbzeit ging Yanga mit 1:0 in Führung. Riesiger Jubel brandete auf. Dabei fiel ein Yanga-Fan in den Graben zwischen Rängen und Spielfeld, den chinesische Ingenieure neben den fehlenden Rettungsgassen und verrostender technischer Ausrüstung dem Stadion als Signatur fernöstlicher Wertarbeit mitgegeben haben. Als G., S. und T. eintrafen, war der Zuschauer noch bewusstlos, erwachte aber bald und wurde mit Hilfe der Scouts zum Krankenwagen getragen. G. und T. wurden gleich zum nächsten Einsatz gerufen, weil eine Frau im Yanga-Block ohnmächtig geworden war. Sie war aber schon wieder zu sich gekommen, als G. und T. von der Seite des Blocks zu ihr vorgedrungen waren, sodass sie zum Spielfeld zurückkehren konnten, was sich angesichts der Zuschauer, die auf das Spiel fokussiert waren, als etwas mühselig erwies. G. hatte sich auf die Bilder gefreut, die er während des Spiels aufnehmen würde. Dazu kam er ab dem ersten Einsatz nicht mehr. Zurück am Spielfeld war er kurz alleine, als er von Scouts zu einem neuen Einsatz außerhalb des Stadions gerufen wurde. Mit Trage, Stiefeln und Rucksack zu rennen, erwies sich insgesamt als anstrengend, was auch erklärte, dass G. in dieser Nacht gut schlief. Während die Patientin mit Krampfanfall stabilisiert wurde und S. und T., der nach der Alarmierung der Ambulanz ein wenig außer Atem war, auf das Eintreffen dieser warteten, stellte sich G. wieder in Bereitschaft. Insgesamt gerieten die Helfer immer mehr in zeitlichen Verzug, da die Einsatzstellen oft schwer zu erreichen waren und sie personell völlig unzureichend ausgestattet waren. Zudem hatten sie keine Funkgeräte, was die Kommunikation erheblich erschwerte, sodass sie faktisch auf Sichtkontakt angewiesen waren oder von Zuschauern zu ihren Kollegen geleitet wurden. Ein Stadion-Steward rief G. zu einem neuen Einsatz im Yanga-Block, wo wieder eine ohnmächtige Person evakuiert werden sollte. G. reichte seine Schleifkorbtrage über den Graben und ließ eine Leiter holen, um den Graben zu überbrücken. Mit Gesten zeigte er den Zuschauern, dass sie die Patientin auf der Schleifkorbtrage (faktisch eine Kunststoffwanne, praktisch für die Rettung in unwegsamen Bereichen) festschnallen sollten und dass sie sie mit Füßen zuerst über die Leiter bugsieren sollten. Quälend lange hing die Trage über dem Abgrund, doch dank vieler helfender Hände kam die Frau sicher auf die Aschenbahn und wurde in Richtung Ambulanz davongetragen. Ein Pressefoto zeigte G. später in voller Konzentration beim Transport der Trage.

Die ganze Prozedur wiederholte sich später noch einmal, dabei waren immer die Scouts eine große Hilfe, die als erste vor Ort waren und sich im Gegensatz zu den Polizisten nicht zu fein waren, mit Hand anzulegen. Mit den Polizisten wurde G. kurz ärgerlich, als sie wieder einmal im Weg standen und nicht die Trage anfassen wollten, um sie quer durch das Stadion zu einem Einsatz zu bringen. Er brüllte: „Seid ihr Kinder oder Soldaten?“, was die Polizisten nicht besonders amüsierte, aber dafür Gs. tansanischen Kollegen P. sehr freute. Kein unbedingt kluger Vorstoß, aber ein Ventil für den Druck, dem sich das Rescue Team angesichts der personellen Überforderung ausgesetzt sah. Es folgten noch einige bewusstlose Personen. Ohne die Mithilfe der Zuschauer und Scouts sowie ihrer Ausbilders H. hätten die Ersthelfer die Einsätze nicht bewältigen können. Am Ende gab es noch einen Einsatz auf der obersten Tribüne. S. und T. rannten außenherum, während G. die Leiter organisierte. Es war ein bisschen wie Bergsteigen. Die Zuschauer wollten die Person auf der Trage zunächst fast senkrecht nach unten über die Leiter ablassen, weil sie das Prinzip im Graben gesehen hatten. Das war aber zu gefährlich und ein Unfall wäre auch für die Außenwirkung der Feuerwehr fatal gewesen. Durch Ts. Überzeugungsarbeit trugen sie den Patienten aber über eine Fluchttreppe nach draußen. Das Spiel war zu Ende, G. wies die Helfer an, die Leiter zu den Krankenwagen zurückzubringen und hatte zum ersten Mal Zeit, von oben den Blick auf das sich leerende Stadion zu genießen und drei Bilder zu machen. Dann ging er zum Spielfeld zurück, sie sammelten ihre Ausrüstung ein, die trotz der zahlreichen Einsätze noch vollständig war bis auf die Handschuhe, die sie verschlissen hatten. Der Dieselfilter war gereinigt worden. Sie fuhren zurück zur Feuerwache, vorbei an feiernden Yanga-Fans. Yanga hatte 2:0 gewonnen. G. ist jetzt Yanga-Fan. Eigentlich spielt es keine Rolle, aber er mag das Yanga-Grüngelb lieber als das Simba-Rotweiß. Außerdem hat er den unfairen Simba-Spieler nach seiner Notbremse moralisch geächtet. Als Ausgleich für den anstrengenden Tag wartete eine Pizza in Dar es Salaams höchstem Restaurant mit Blick auf das Geschäftsviertel Posta. G. hatte eine gute Unterhaltung mit F., die ihm versprach, seinen englischen Text für die Open-Stage-Veranstaltung im Goethe-Institut gegenzulesen. Die Heimfahrt durch die einsame Senke am Jangwani-River war die letzte Herausforderung des Tages, doch kein Räuber war da. Morgen würde es zum Segeln gehen. Keine schlechte Aussicht. G. war im Fernsehen gewesen. Alle hatten die Weißen gesehen, die nicht nur große Geländewagen fuhren, sondern rannten, schwitzten und Hand anlegten. Zufrieden schlief er ein.