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G.: Vielleicht fünf Stunden

Am frühen Vormittag saß G. im Büro und konfigurierte an einem Karten-Programm für die Leitstelle herum, als ein Feuerwehrmann ins Büro gerannt kam. Er möge sofort kommen, C. wolle ihn für einen Rettungseinsatz mitnehmen. S. war gerade Computerausrüstung einkaufen, also griff G. den Notfallkoffer, seinen Helm und die Jacke und sie rannten zum Rescue Tender (ein Feuerwehrauto ohne Pumpe und Schläuche, in dem Rettungsgeräte und Werkzeug transportiert werden, darunter ein Schlauchboot, Schere und Spreizer, Atemschutzgeräte und eine Schleifkorbtrage). Die Mannschaft saß schon bereit und es ging über Gegenfahrbahnen, Verkehrsinseln und durch Schlaglöcher in ein recht abgelegenes Viertel hinter dem Flughafen. Hinter der Mauer war ein neues, weißes Passagierterminal im Bau. Auf der anderen Seite ein Hüttenviertel und ein paar Menschen, die den Weg wiesen. Als sie sich gerade durch die enge Gasse wanden und auf eine großen Menschenmenge zusteuerten, stand plötzlich S. auf dem Trittbrett, der gerade vom Einkaufen zurückgekommen war und flugs mit einem Motorrad hinterhergebracht wurde.

Der Einsatzleiter C. stieg aus und erkundigte sich nach der Lage. Die Polizisten erklärten ihm, dass eine junge Frau bereits in der Nacht in einem Wasserbehälter ertrunken sei. Auf dem Jeep der Polizisten war unter einer hellen Decke schemenhaft ein menschlicher Körper erkennbar, die Gliedmaßen angewinkelt. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt, die Rettungskräfte waren also alarmiert worden, als es für jede Hilfe schon zu spät war. Die Menschen um das Feuerwehrauto trugen düstere Mienen und schauten argwöhnisch und ein bisschen neugierig zu den Feuerwehrleuten hinauf. G. war ein bisschen unruhig. Er wollte gerne aussteigen und sich umsehen, allein um zu verstehen, wie der Unfall passieren konnte. Seine Kollegen fragten ihn, ob er schauen wollte und warnten ihn vor Steinwürfen, da die Anwohner bei spätem Eintreffen der Rettungskräfte oft wütend seien. Gemeinsam mit S., der noch von der Fahrt voller Adrenalin war und der G. angesichts der Situation ein wenig zu aktiv vorkam, ging er los. In solchen Momenten setzt G. immer darauf, die soziale Interaktion mit dem Umfeld zu minimieren. Wenn er um sich blickt, dann so, dass klar ist, dass er Informationen sammelt und jeder, der ihn aggressiv angehen will, erst einmal eine Wand aus innerer Distanziertheit und gleichzeitig hoher Wachsamkeit nach außen überwinden muss. Der Unfallort war eine runde, offene Zisterne mit ungefähr zwei Metern Durchmesser. Der Wasserspiegel lag eineinhalb Meter unter der Mauerkante. Ohne ein Seil oder die Leiter, die man zur Bergung in das Becken gestellt hatte, hätte sich vermutlich niemand selbständig aus der Zisterne retten können. Hätte die Frau schwimmen können, wäre es allerdings möglich gewesen, sich über Wasser zu halten und um Hilfe zu rufen, da ein Wohnhaus direkt nebenan war. Möglicherweise war die Frau auch durch einen unglücklichen Sturz bewusstlos geworden, sodass sie keine Möglichkeit hatte, um Hilfe zu rufen. Auch wenn die Frau nicht schwimmen konnte, verwunderte es G. ein wenig, dass niemand sie gehört hatte, vorausgesetzt, dass sie bei Bewusstsein war, da die Häuser dicht beieinander standen und der Tod durch Ertrinken meistens mit recht großer Aktivität des Opfers einhergeht, zumindest für kurze Zeit. In Gs. Gedanken tauchte kurz die Überlegung auf, ob möglicherweise jemand absichtlich herbeigeführt hatte, dass die Frau in die Zisterne fiel, doch dies war reine Spekulation und würde sich nicht überprüfen lassen. Zu welchem Nutzen auch? G. erkundigte sich, wann die Frau gefunden worden sei. Morgens. Nach der Ausprägung der Leichenstarre zu urteilen, war die Frau schon eine ganze Weile tot. Vielleicht fünf Stunden. G. drückte den Umstehenden mit knappen Worten sein Beileid aus. S. fotografierte mit seiner Helmkamera den Brunnen, was G. für einen kurzen Augenblick störte. Dann gingen sie zum Auto zurück.

Auf dem Rückweg war der Einsatz kein Thema mehr, es wurde vielmehr diskutiert, welches Essen G. in Tansania besonders möge und welche Frauen er besonders attraktiv fände. Früchte und Chapati, bei der anderen Frage war die Antwort komplizierter und G. konterte mit der Frage, was für Männer die Feuerwehrfrauen gut fänden. Auf der Eisenbahnbrücke kurz vor der Innenstadt blieb das Feuerwehrauto liegen, wegen schwacher Batterie oder Problemen mit der Zündung. Durch Anschieben wurde es wieder in Gang gebracht und das Rettungsteam kehrte auf die Wache zurück.