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G.: Wali nyama

Sechseinhalb Monate sind eine lange Zeit, wenn man auf eine Abfolge von Mittagessen zurückblickt. Die traumatische Chipsi-Mayai-Diät am Anfang der Dienstzeit war da nur eine kurze Episode. Chipsi Mayai sind ein Omelett aus Pommes Frites und zwei Eiern, serviert mit ein wenig Salat, Salz und Ketchup. Eigentlich das perfekte Handwerkeressen, aber nach zwei Wochen konnte G. das Gericht tatsächlich nicht mehr sehen und hat dann auch den nächsten Monat darauf verzichtet. Mit der Zeit hatten G. und S. dann auch die Vorurteile gegen die Küche auf dem Gelände der Feuerwache abgebaut, wo mehrere sog. Mamas unter einem Wellblechdach das tägliche Menü bestehend aus Wali (Reis) und Ugali (Maisbrei) und den optionalen Beilagen, Maharage (Bohnen), Samaki (Fisch) und Nyama (Fleisch) zubereiten. Insgesamt gibt es also sechs Kombinationsmöglichkeiten, um das perfekte Mittagessen zusammenzustellen. Dass es meistens Wali Nyama wird, Reis mit Fleisch (52%), vor Reis mit Fisch (40%), Reis mit Bohnen (5%) und Maisbrei (3%), hat verschiedene Gründe. Erstens wird man von dem vegetarischen Gericht nicht satt. Von Ugali (Maisbrei) vielleicht schon, aber dann ist man so voll, dass man vielleicht einen Verdauungsschlaf im Kyffhäuser einlegen sollte, um dann mit voller Kraft den Notleidenden zu helfen. Zumindest Gs. tansanische Kollegen behaupten, dass Ugali Kraft verleiht. G. glaubt eher, dass Friedrich Barbarossa zu viel Ugali gegessen hatte, als er im Jahr 1190 im Fluss Saleph ertrank. Außerdem hat G. oft so ölige Hände, dass er besser keinen Ugali bestellt, den man traditionell zu kleinen Klumpen knetet und ohne Besteck verzehrt. Und wenn man Fisch isst, muss man darauf hoffen, dass es Seife gibt, sonst hat man ein olfaktorisches Souvenir für den Rest des Arbeitstages.

Die Wahl der Gerichte erweist sich also meist weniger aufregend, dafür ist das Mittagessen auf der Feuerwache einfach ein Anker des Tages. Gegen zwölf Uhr meldet sich bei G. der erste Hunger, den er erfolgreich mit Arbeit bis ein Uhr unterdrückt. Dann denkt er sich, dass nur noch ein winziger Arbeitsschritt zu tun ist, der sich dann aber wegen unerwarteter Komplikationen bei der Materialbeschaffung oder eines fehlenden Werkzeugs bis zwanzig nach eins hinzieht, sodass G. zur Optimalzeit in der Kantine auftaucht. Denn der Zeitpunkt ist ebenfalls entscheidend für ein gelungenes Mittagessen. Kommt man zu früh, sind noch keine Tomatensoße und kein Fleisch fertig. Kommt man zu spät, sind bestimmte Beilagen wie der Salat schon aufgebraucht. Preislich macht das alles keinen Unterschied, denn jedes Gericht kostet 2.000 tansanische Schilling, etwa 0,85 Euro. Mangosaft kostet 500 Schilling und ist meistens vorrätig. Wie schnell die Portion auf dem Teller dahinschmilzt, hängt von Gs. Gesellschaft ab. Mit S. gestaltete sich das Tischgespräch meist arbeitsbezogen und das Essen dauerte ca. 15 Minuten. In den drei Wochen, als R. und H., die Hamburger Ausbilder, auch mit zu Mittag aßen, konnte sich das Essen auch einmal über eine Stunde hinziehen, wenn man in eine engagierte Diskussion über Bildung und Globalisierung vertieft war. Zumindest wenn es keinen Alarm gab, der dem Gespräch ein jähes Ende setzte. Glücklicherweise hat G. bisher erst einmal einen Alarm am Mittagstisch erlebt, als er schon aufgegessen hatte. Das wäre für ihn eine harte Probe, deren Ausgang er selbst noch nicht kennt. Ausrücken, ohne richtig zu Mittag gegessen zu haben…

Nach S. verfrühtem Abgang hat sich auch das Mittagessen etwas verkürzt, zumindest, wenn G. alleine isst. Manchmal gibt es aber auch interessante Dinge zu sehen, für die G. sich einen Moment Zeit nimmt. Zum einen sind da die Köchinnen, die zum einen mit unglaublicher Routine den Laden schmeißen und gleichzeitig die Bestellungen mit erstaunlicher Regelmäßigkeit durcheinanderbringen. Gs. Favorit ist allerdings der Polizist von der Kreuzung, der ihn immer freundlich grüßt und den Lauf seiner Maschinenpistole als Aufhänger für seine Dienstmütze nutzt, während die AK-47 auf seinem Schoß liegt. Dann trifft man manchmal auch noch Gäste wie die Bauarbeiter aus Mauritius, die nur Französisch sprechen und mit ihrem Firmenauto aus dem Norden von Dar es Salaam nur wegen des günstigen Mittagessens in die Innenstadt kommen. Oder I., eine Freiwillige aus Kimara, kommt vorbei, um Erste-Hilfe-Material für ihre Einsatzstelle, ein Kinderheim, abzuholen. Da wird man dann natürlich auch gefragt, ob sie denn eine Dada (Schwester), also ein beziehungstechnisch für G. uninteressantes Wesen sei, oder gar dessen Freundin? G. ahmte die traurige Miene des Fragenden angesichts der Antwort ab, sie sei nicht seine Freundin, danach brachen sie in lautes Lachen aus, klatschten ab und G. ging ins Büro. Mittagspause

 

G. steht im Regen

Oysterbay
Die Burg des Westens

Als G. am Control Room vorbeiging, sah er, dass alle hektisch telefonierten. Mr. M. wies G. an, seine Sachen zu holen, sie würden zu einem Brand ausrücken. Durch den strömenden Regen rannte G. ins Büro, zog seine Montur an und stieg sogar als Dritter ins Auto. Schließlich fuhren sie zu sechst los, eigentlich Unterbesetzung für einen Dreisitzer. Der Control Room gibt immer einen Zettel mit auf dem Weg, der die Adresse des Einsatzortes, die Telefonnummer und eine grobe Einsatzbeschreibung enthält. Heute stand dort keine Telefonnummer und eine widersprüchliche Adresse. Die Straße kannte G., aber sie lag in einem anderen Stadtteil als angegeben. Das alles merkten sie, als sie über die nach dem starken Regen überschwemmte United Nations Road pflügten. Als der Fahrer fragte, wohin sie jetzt abbiegen sollten, kam sich G. ein wenig verloren vor in der großen Stadt. Er schlug vor, dass man einfach zu der Straße fahren sollte, die irgendwo in Masaki oder Oysterbay lag. Eine andere Chance gäbe es ohne digitale Karte nicht. Also fuhr das große Feuerwehrauto (Mercedes Actros mit 10.000 Liter Wassertank) durch die Villensiedlung auf der Suche nach der richtigen Straße. Schließlich kamen sie wieder an der Küste an, die an dieser Stelle einen Bogen macht. Sie fuhren die Straße hinunter und schafften im zweiten Anlauf das Abbiegen in die richtige Straße. Das Löschfahrzeug der Wache Kinondoni war bereits eingetroffen und stand blinkend im Regen. Als die Feuerwehrleute ausstiegen, bemerkten sie, dass überhaupt keine Aktivität herrschte. Vielmehr waren die Leute aus Kinondoni in eine Verhandlung mit Wachmännern einer Gated Community verwickelt, die sie nicht auf das Gelände vorlassen wollten. Die Ilala-Mannschaft stellte sich in der Schlange an. Einer der Wachleute bemerkte G. und fragte, wer der Weiße sei. Die Stimmung war bereits angespannt. Ein findiger Kollege antwortete darauf, das sei der Gruppenführer und G. erklärte, dass sie das Einsatzteam der anderen Wache seien. Nachdem sich G. am Wachhäuschen registriert hatte, wurde er auf eine amerikanische Vorortstraße gelassen, wo reges Treiben herrschte. Durchnässte Weiße und Wachleute in Regenmänteln liefen durcheinander. Feuer war nicht zu sehen. Der weiße Besitzer des Hauses begrüßte G. und erklärte ihm, im Badezimmer sei ein kleines Feuer ausgebrochen, welches aber bereits gelöscht sei. Er solle es einmal anschauen. G. ging nach oben, wo noch beißender Rauch unter der Decke hing. In einer Ecke des Badezimmers stand verkohltes Gerümpel herum. Wieder draußen angekommen, bot G. dem Hausbesitzer an, das ohnehin in Mitleidenschaft gezogene Badezimmerfenster einzuschlagen, damit der Rauch besser entweichen könne. Der Besitzer stimmte zu und meinte, er solle alle Leute mitbringen, die dazu nötig seien. Draußen vor dem Tor war die Stimmung bereits unter Null. Gs. Kollegen meinten, sie sollten aufbrechen, wenn man sie so bei der Arbeit behindere. G. nahm ein Seil und eine Axt aus dem Auto und erklärte, dass die Feuerwehr für alle da sei und man sich nicht wegen schlechten Benehmens aus dem Staub machen könne. Der Gruppenführer war sauer, weil er ignoriert worden war, er meinte, G. könne alleine machen, sie würden zur Wache zurückkehren. Eine bessere Verquickung von Rassismus, Bürokratie und beleidigtem Stolz konnte sich G. kaum vorstellen. Er stand im Regen und dachte kurz nach. Dann drohte er den unwilligen Kollegen eine Disziplinarbeschwerde an, falls sie die Einsatzstelle verließen und versprach, das Problem anzusprechen und später auf der Wache zu diskutieren. Zwei Feuerwehrleute aus Kinondoni nahmen eine Leiter mit, sodass G., der im Klettern am geübtesten war, auf das Garagendach steigen und mit dem Einreißhaken das Fenster einschlagen konnte. Ob das wirklich sinnvoll war, bezweifelte er im Nachhinein, aber anhand des geringen Bruchwiderstandes war ohnehin erkennbar, dass das Glas unter der Hitze arg gelitten hatte. Die integrierte Schutzbrille seines Helms erwies sich für G. hilfreich, als ein heißer Glassplitter daran abprallte. G. sprach den Hausbesitzer auf das Rassismus-Problem bei der Einlasskontrolle an. Diesem war der Fehler des Wachdienstes sichtlich peinlich, doch er versprach, dass man eine andere Prozedur einführen werde, damit die Rettungskräft nach Bedarf einrücken könnten. Er bot sogar eine gemeinsame Übung an. Der Besitzer fragte, ob die Feuerwehr noch zwei angekohlte Matratzen nach unten bringen könne. G. diskutierte mit seinen Kollegen, ob sie zwei Feuerwehrleute unter Atemschutz hinaufschicken sollten, um die Aufgabe zu erledigen. Langsam hatten sie es eilig, denn es war unsinnig, zwei von drei Feuerwachen mit einem Nichtmehr-Notfall zu binden. Als die Kinondoni-Leute einwilligten, ihre Geräte zu holen, stellten sie fest, dass bereits Sicherheitsleute die Matratzen vor die Tür geschafft hatten. Der tansanische Arbeitsschutz hatte gewonnen. Anschließend stellte sich der Hausbesitzer als hoher Sicherheitsoffizier der amerikanischen Botschaft vor, was zumindest im Nachhinein einen Teil der Paranoia erklärte und bei den Feuerwehrleuten in der Diskussion auf der Heimfahrt ein wenig für Beschwichtigung sorgte. Auf der Wache versammelte G. schließlich das Team noch für eine Nachbesprechung, da er die Erlebnisse insbesondere im Zusammenhang mit offenem Rassismus nicht einfach auf sich beruhen lassen wollte. Im heimeligen Büro des Operations Department fanden sich auch der Wachleiter und der Head of Operations sowie zwei wachhabende Offiziere ein. G. versuchte, deutlich zu machen, dass es sich einerseits klar um Rassismus handelte, der aber letztlich durch eine Erwartung der Wachleute an ihre Auftraggeber ausgelöst war. Diesen war es völlig egal, ob die Helfer schwarz oder weiß seien, solange sie ihre Probleme lösten. Die Wachleute führten dagegen ihren Auftrag, die westliche Bastion gegen alles zu verteidigen, was tansanisch schien, geflissentlich aus. Sie hatten und haben nach Gs. Beobachtung vor allem Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie einen Fehler machen. Die fehlende Kommunikation innerhalb der Gated Community wurde von allen Seiten kritisiert. Als Konsequenzen wurde beschlossen, die Feuerwehrleute besser mit offiziellen Markierungen auszustatten, die sie auf ihrer Kleidung als staatliche Feuerwehrleute kenntlich machen würde. Für das Vorgehen in ähnlichen Fällen wurde ein Mahnungsschreiben an den Sicherheitsdienst angekündigt und die Option, Personen, welche die Feuerwehrarbeit behindern, umgehend verhaften zu lassen, was G. angesichts der guten Vernetzung von Militär und Polizei durchaus realistisch, wenn auch wegen der aufgewühlten Stimmung etwas martialisch erschien. Anschließend brach noch ein Streit zwischen dem Wachleiter und der Feuerwehrmannschaft aus, es ging um unzulängliche Schutzausrüstung. Der Wachleiter warf den Mannschaften vor, ihre Ausrüstung auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, jeder sei genügend ausgestattet worden. G. schlug vor, angesichts der langen Erfahrung mit der Mangelwirtschaft auf den nächsten Spendencontainer zu warten und dann alles ausgegebene Material zu registrieren und die Ausrüstung regelmäßig zu überprüfen. Dann schlug er noch vor, dass die Führungskräfte in den Büros ihre Einsatzkleidung zur Verfügung stellen sollten, was aber beim Wachleiter eine gereizte Reaktion hervorrief, weil ja alles Bürokräfte pro forma in Bereitschaft seien. Nach Gs. Eindruck ging es vor allem darum, Machtbereiche zu markieren, doch er fand es eindrucksvoll, dass die Feuerwehrleute es geschafft hatten, Mängel offen zu kritisieren und nicht permanent vor der Obrigkeit zu ducken. Nachdem G. noch ein paar situationsbezogene Allgemeinplätze zu guter Personalführung, persönlichem Engagement und Disziplin verteilt hatte, ging er sich umziehen.

G.: Die nächsten sechs Monate

diehelden

Dar es Salaam: Die Helden. Zweite Staffel.

Mit seiner Rückkehr auf die Feuerwache beginnt für den jungen Freiwilligen G. der zweite Teil seines Überlebenskampfes bei der Feuerwehr in Dar es Salaam, der größten Stadt von Ostafrika, wo es von Gefahren und Abgründen nur so wimmelt. In der ersten Staffel hatte G. einen Überfall über sich ergehen lassen müssen, mehrere Krankheitsphasen und tansanische Musikvideos im Überlandbus nach Mombasa. Er hätte fast die Liebe seines Lebens kennengelernt und er ist durch die Steppe in die entlegene Ruinenstadt Bagamoyo gereist, um am Hotelpool Müsli zu essen. Am Ende der ersten Staffel mit 79 Teilen war Gs. erster Katastropheneinsatz mit mehreren Toten geboten. Für die zweite Staffel geht G. mit geupdateter Personality ins Rennen. Dank einem Psychologengespräch auf der Zwischenseminar genannten Casting-Show ist er nun seelisch völlig entschlackt.

Das Setting der zweiten Staffel

S. verlässt das Camp der Freiwilligen, die als rivalisierenden Clans in der Hood Magomeni und im Ghetto-Bunker Ilala residieren. Dadurch wird der Magomeni-Clan geschwächt im Kampf um die Vorherrschaft der Entwicklungshelfer. Diese stehen mit G. als einzigem überlebendem Vertreter nach S. Abgang kurz vor der endgültigen Niederlage. Doch der Konflikt nimmt eine neue Wendung, weil der Physiotherapeut L., der zunächst als Spion in das Lager der Feuerwehrleute eingeschleust worden war, sich auf die Seite der Rettungskräfte zu schlagen droht. Zudem ist kommt durch einen Wikileaks-Bericht das Projekt der Feuerwehr ans Licht, das die Verhältnisse umkehren soll: G. arbeitet an einer genauen Karte der ganzen Stadt. Mit Hilfe von Luftüberwachung durch Drohnen soll die Herrschaft auf der Straße wieder etabliert werden. Neue Fahrzeuge kommen auf der Seite der Feuerwehr zum Einsatz und mit L. hat der Magomeni-Clan nun einen Physiotherapeuten gewonnen, der die Verhältnisse in Ilala kennt. Die Ilala-Gang beherrscht derweil die sozialen Netzwerke. Regelmäßig stürzen Server des Nachrichtendienstes wegen überlasteter Gruppendiskussionen ab. Auf Instagram präsentiert der Clan regelmäßig seine Erfolge. Der Vermittler J. ist in Dar es Salaam eingetroffen, die Unterredung auf dem Ilala-Territorium wird mit Spannung erwartet. Wie wird sich das Blatt wenden? Kann Magomeni der Ilala-Allianz standhalten? Welche Rolle spielt die amerikanische Botschaft? Und warum funktioniert Gs. Mailausgang nicht?

Die Helden. Demnächst im Internet.

G. war wieder in Paje

Sonntagnachmittag, es regnete in Strömen und G. stand im Stadtteil Posta vor einem Kleidungsgeschäft. Er hatte sich vor der Sintflut untergestellt und war unterwegs zum Schalter der Sansibar-Fähre, die vom ebenso unsympathischen wie geschäftstüchtigen Azam-Konzern betrieben wird, um Fährtickets abzuholen. Sechs Monate waren vergangen, seitdem G. in Tansania angekommen war. Das Zwischenseminar stand an, eine Momentaufnahme und ein Ausblick nach der Hälfte der Dienstzeit. Der Mann hinter der Glasscheibe des Fährterminals beschied ihm allerdings, dass trotz der Online-Reservierung alle Ausweise im Original vorliegen müssten, um den Residents-Tarif zu gewähren. G. fuhr nach Hause. Immerhin hatte der Regen aufgehört und in der überschwemmten Jangwani-Ebene spiegelte sich ein Hochhaus.

Am frühen Montagmorgen machten sich G. und seine Kollegen dann auf zur Fähre. Es war dunkel und noch kühl. Ins Schwitzen kamen sie dann so richtig nach der Ankunft in Sansibar-Stadt, wo sie mit einem Überlandbus weiterfuhren. Am späten Vormittag kam die Gruppe dann bei drückender Hitze in Paje an. Die Unterkunft hatte aber eine gute Dusche und nachdem die anderen Teilnehmerinnen des Seminars eingetroffen waren, gab es ein schmackhaftes, wenn auch aus Gs. Sicht etwas kleines Mittagessen. Das änderte sich aber schon bald, nachdem der Koordinator J. freundlich mit der Küche gesprochen hatte. Die Weltwärts-Kolleginnen waren eine wirkliche Überraschung. Sie waren als Lehrerinnen der Deutsch-Tansanischen Partnerschaft (DTP) angekündigt worden. Damals hatte G. mit Schrecken an Gutmenschen in der Selbstfindungsphase gedacht, die gerne schwarzen Kindern helfen wollen. Natürlich handelte es sich bei den DTP-Leuten um gute Menschen, aber durchaus lustiger und umgänglicher Natur. Zudem waren sie fachlich qualifiziert für ihren Job und nicht irgendwelche Abiturientinnen, die sich einbilden, tansanischen Schülern die Welt zu erklären.

So kam es auch, dass die Freiwilligen aus Dar mit Ausnahme von S., der seine Abreise vorbereitete, am Ende des Seminars noch einen Tag in Stone Town blieben. G. hatte in den fünf Seminartagen sein soziales Netzwerk analysiert, sein Prestigeprojekt geplant, ein Gespräch mit einer Psychologin gehabt und seinem Nutella- und Papayawahn gefrönt. Da kam es ihm gerade recht, noch ein wenig mit den anderen die Winkel und Gassen von Stone Town zu erforschen, sich mit Leckereien vollzuschlagen und aus dem Hotel einen Blumentrieb mitgehen zu lassen, um zu Hause wenigstens ein pflanzliches Wesen zu kultivieren. Ein großer Vorteil war, dass die DTP-Freiwillige M. sich sehr gut in Stone Town auskannte, lag doch ihre Schule mitten in der Altstadt. So stiegen sie auf das Dach des Schulhauses, fanden kleine Imbissläden, an denen die Touristen meist vorbeigehen und genossen die Aussicht vom Balkon der Musikhochschule, vor deren Tür Arbeiter gerade eine neue Strandpromenade betonierten. Dann war es wieder Zeit, die Heimreise anzutreten. Eine gemeinsame Whatsapp-Gruppe war gegründet, Zukunftspläne gemacht. Müde und zufrieden stieg die Gruppe der Freiwilligen aus Dar wieder auf das Schiff. G. schaute sich eine Dokumentation über Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen an, während die Küste Sansibars langsam kleiner wurde. Er war unglaublich müde. Auf dem Infobildschirm lief der Film “Maze Runners”, allerdings ohne Ton, was die Freiwilligen zu einer phantasievollen Synchronfassung anregte, in der sich die Hauptdarsteller nicht zwischen Pizza und vietnamesischem Essen entscheiden konnten. Im Bus nach Magomeni stritten sich L. und G. noch mit einem lästigen Schaffner herum, der ihnen ein geringes Wechselgeld vorenthalten wollte. Es ging ums Prinzip. Nach Chapati mit sehr scharfem Mangosalat war der Tag zu Ende. G. hängte die Wäsche auf und ging schlafen.

G.: Fast Lane

Donnerstagabend, G. und S. hatten sich einen Film im Goethe-Institut angeschaut. Plaudernd fuhren sie die noch nicht eingeweihte Busspur, auch Fast Lane genannt, hinunter. Plötzlich überholte sie in atemberaubendem Tempo ein Junge auf einem klapprigen Damenrad. Er schoss an ihnen vorbei über den nassen Beton. Krass, dachte sich G.. Und dann erwachte sein Jagdtrieb. Er hatte Lust auf ein Fahrradfahrergespräch. Es gelang ihm, aufzuholen und sie plauderten, ihre Geschwindigkeit und Kraft genießend. S. kam von hinten angerast und überholte sie. Die nasse Fahrbahn glänzte unter den Straßenlaternen. An der Kreuzung am Busdepot versuchte sich ein Auto an ihnen vorbeizuschleichen, doch S. und der andere Radfahrer klopften dem frechen Fahrer auf den Kofferraumdeckel. Nach der Jangwani-Brücke trennten sie sich, weil G. und S. in Mapipa abbiegen mussten. Der neue Bekannte wohnte in Magera, fünfhundert Meter geradeaus, dann würde auch er zu Hause sein.

G.: Ferngespräch

G. hat einmal wieder mit einer Freundin aus Deutschland telefoniert. 3G-Internet, Whatsapp und moderate Datentarife machen es möglich, bei gerade einmal einer Stunde Zeitverschiebung über 8500 km hinweg zu plaudern, als würde man am Telefon gerade einmal zwei Kilometer über die Pegnitz hinwegtelefonieren. Toll, was die Technik so kann, zumindest was die Kommunikation angeht. Natürlich ist es schön, Zeit mit sympathischen Menschen zu verbringen, denn auch ein Telefongespräch kann neudeutsche Quality Time sein. Allerdings hat die globale Vernetzung aus der Sicht von G. ein Problem mit der physischen Realität. Denn Kommunikation lebt von gemeinsamen Werten, Sichtweisen und Erlebnissen. Als G. also sein Telefon ausgeschaltet hatte, ging er schlafen, in Gedanken noch bei dem Gespräch.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich unzufrieden und die sechs verbleibenden Monate kamen ihm ewig und unerträglich vor. Denn durch das Gespräch werden gemeinsame Realitäten lebendig, die ewig weit wegliegen. Und an positiven Gespräche ist es ja auch so, dass man meistens nicht die schlimmsten Seiten der Heimat durchwühlt. Entsprechend dachte sich G. beim Aufstehen, in welchem Entwicklungsland er hier gelandet sei. Es stank nach Rauch, weil irgendwer seinen Müll verbrannte, es hatte nachts wieder geschüttet, sodass sein Fahrradsattel nass war. Ein Dach konnte man auch nicht bauen, weil die Wände so schrottig sind, dass man wohl keinen Dübel hineinbohren könnte, ohne dem Nachbarn ein neues Fenster zu verschaffen. Außerdem bräuchte man dann erst einmal Dübel und eine Bohrmaschine und Bohrer und Material für ein Dach. Tansania: Drei Tage Arbeit und jede Menge Ärger. Deutschland: Einmal Baumarkt und einen Samstagnachmittag.

Solche Gedanken gingen G. also an diesem Morgen durch den Kopf. Natürlich hätte er nun eine Moralbilanz gemäß §4, Abs. 3-5 der Weltwärts-Freiwilligen-Verordnung ziehen können:

(3) Du sollst keine Kommunikation außerhalb des Gastlandes haben. Jeder Versuch, an dein Herkunftsland zu denken, ist strafbar.

(4) Dein Gastland ist das beste Land der Welt.

(5) Nur wer sein Gastland bedingungslos liebt, ist ein guter Freiwilliger.

Wie immer hatte der konziliante und diplomatische G. einen Kompromiss bereit.

(3) Du kannst kommunizieren, mit wem du willst, aber dir sollte klar sein, wo dein echtes Leben ist und mit wem du nur virtuell verbunden bist. Du darfst dein Herkunftsland durchaus vermissen, aber du solltest dich nicht hineinsteigern. Die gelegentlichen Salamis aus Deutschland müssen reichen.

(4) Tansania eine Herausforderung, mit der man durchaus etwas anfangen kann.

(5) Es gibt keine perfekten Freiwilligen. Wer das behauptet, ist auf jeden Fall keiner. Denn wie bei Ultimate Frisbee zählt neben der Performance auch der Sportsgeist. Und jeder, der darüber verfügt, muss zugeben, dass Fehler gemacht werden. Dass Potential nicht genutzt wird, dass man manchmal einfach genau jetzt keine Lust hat.

Und mit der Kommunikation nach Hause verhält es sich ein bisschen wie mit Alkohol: Erst einmal ist es große Party, aber der Kater kommt irgendwann. Wenn einem das klar ist, kann man ja auch damit leben. Und sich zum Frühstück erstmal ein Konterbier einschenken, indem man ein Bild vom Hof der Feuerwache in der Morgensonne auf Instagram postet.

G.: Marginalsiedlung

Es war Mittwochmorgen, G. saß vor seinem Laptop und schaute nach seinen E-mails. Das Frühstück war noch nicht da. Der Alarm ging los und G. rannte nach draußen. Das Rettungsteam sollte ausrücken. G. und S. griffen ihre Helme, den Erste-Hilfe-Koffer und die Einsatztasche, in der zusätzliche Handschuhe, ein Hohlstrahlrohr und Trinkwasser liegen. Der Rescue Tender fuhr mit einem wunderbar kräftigen deutschen Martinshorn los. Wenn G. diese Sirene hört, ist er immer zuversichtlich. In Dar es Salaam gibt es tausende Sirenen mit verschiedenen Heultönen, gefühlt jeder, der Lust hat, baut eine in sein Auto. Aus Deutschland wusste G. allerdings, dass das Martinshorn das Eintreffen von professionellen Einsatzkräften ankündigt. Und das ist ja schon eine feine Sache. Nun mussten eben G. und seine Kollegen die professionellen Einsatzkräfte stellen. Der Notfall: Eine eingestürzte Hauswand. G. überlegte gemeinsam mit S., was man da unternehmen könnte. Die Autos machten diszipliniert Platz für die Feuerwehr, an manchen Stellen dachte sich G., dass man ein Schulungsvideo für die Rettungsgasse aufnehmen könnte. So erreichte das Fahrzeug nach 20 Minuten den Stadtteil Kawe. An der Stelle, zu der sie von den Anwohnern gewiesen wurden, stand bereits das Auto der Wache Kinondoni. Die Mannschaft marschierte eine lange Treppe hinunter. Als G. hörte, dass es Verletzte gäbe, schickte er zwei Mann zurück, um Tragen zu holen. An der von einer Menschenmenge umringten Einsatzstelle wurde klar, dass man sich über die Methodik der Ausgrabung keine Gedanken mehr machen müsste. Eine Schlamm- und Geröllawine hatte einen Teil eines Wohnhauses verschüttet. Wegen der leichten Bauweise war faktisch nichts mehr davon übrig außer einer Wand und dem Wellblech des Dachs, das man bereits auf die Seite geräumt hatte. Anwohner gruben mit Spaten und Hacken durch den Schutt. Drei Bewohner hatte man bereits tot geborgen. Ein Mädchen wurde vermisst. Die Chance, sie lebend zu bergen, war faktisch nicht vorhanden, denn es gab augenscheinlich keine Hohlräume in den Trümmern. Gs. Idee, die Einsatzstelle zu räumen und systematisch die Trümmer wegzuschaffen, verhallte ungehört. Die Feuerwehr hatte ohnehin kaum Autorität, die Grabung wurde mehrheitlich von den Anwohnern ausgeführt. G. nahm aus Gründen der Außendarstellung ebenfalls eine Hacke zur Hand und begann, Schutt zu durchwühlen, S. half ihm. Inzwischen war auch das Fernsehen eingetroffen und befragte Anwohner und den Einsatzleiter, der in seinem weißen Hemd herumstand und inkompetent wirkte.

So vorschnell zu urteilen, wäre allerdings vermessen gewesen. Es war faktisch klar, dass nichts mehr zu retten war. Zudem war es schwül und beim Einsatzgebiet handelte es sich um das, was Geographen als Marginalsiedlung bezeichnen würden, ein Slum also. Das Risiko, eines vorzeitigen Todes zu sterben, ist dort sehr hoch. Die Anwohner wirkten auf G. erstaunlich gelassen angesichts der Tatsache, dass gerade eine Familie mit Ausnahme der Mutter ihr Leben verloren hatte. Schließlich fand man auch das vermisste Mädchen. Sie lag weich in der Erde. Die gerufenen Ärzte hatten auch ein Leichentuch mitgebracht, das auf die Trage gelegt wurde. Die Leiche wurde noch mit einem bedruckten Stofftuch zugedeckt, dann wurde die weiße Decke darübergeschlagen und der Körper festgeschnallt. G. ging vorne links. Die Trage war leicht und doch kamen die Helfer auf der steilen und engen Treppe ins Schwitzen. Neben dem Krankenwagen wurde die Leiche noch einmal von der Umhüllung befreit und S. stellte den Tod fest. Es war zehn Uhr. Schaulustige zückten ihre Telefone. G. versuchte, sie etwas zurückzudrängen und rief ihnen zu, sie sollten nicht fotografieren. Warum wollten sie mit ihren erbärmlichen, unsinnigen Leben, die sie lebten, weil die Lawine zufällig nicht auf ihre Hütte niedergegangen war, vor ihren Freunden damit prahlen, eine Leiche gesehen zu haben? Wut wallte in G. auf und dann dachte er sich, dass es egal war. Es gab hier wohl dringendere Fragen als Persönlichkeitsrechte und die Seele des armen Kindes weilte wohl ohnehin schon im Jenseits und hatte es nicht mehr nötig, sich über die Sensationslust ihrer Mitmenschen Gedanken zu machen. Also packten die Feuerwehrleute den kleinen Körper und hoben ihn auf die Trage des Krankenwagens. Dann fuhren sie erst in das Militärkrankenhaus von Lugalo, wo allerdings niemand eingeliefert worden war. In einem anderen Krankenhaus warteten sie noch ein wenig, ein Totenschein wurde ausgefüllt und es ging zurück auf die Wache. G. hatte Hunger.

Im Nachhinein fragte sich G., wie seine Gedanken waren. Direkt vor Ort war ihm das meiste surreal erschienen, ein Dokumentarfilm in 3D. Das Kind hätte auch eine Puppe sein können. Und ein bisschen schämte er sich. Da waren also ein paar wirtschaftlich Arme gestorben, fünf von Millionen, um die sich nie jemand gekümmert hatte. Und wenn es dann nichts mehr zu retten gab, kam der Staat mit Feuerwehrleuten, darunter zwei reiche weiße Ausländer in sauberen Uniformen und mit Helmen auf dem Kopf, die ein halbes Jahreseinkommen der Menschen kosteten und zogen eine Leiche aus dem Schlamm. Wahrscheinlich das einzige Mal für das Kind, auf einer Sänfte getragen zu werden. Schade, dass es nichts mehr davon hatte. Persönlich fühlte sich G. nicht traurig oder schuldig, aber er verspürte eine gewisse Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen, dass sich an der grundlegenden Situation bald etwas ändern könnte. Er dachte andererseits, dass diese Bilder perfekt für die Werbung von Spenden wären. Elend und Not in voller Auflösung. Und er dachte daran, wie viel Voyeurismus einfachen Menschen zugemutet wird, die nicht das Glück hatten, mit guten Chancen ins Leben zu starten, nur damit ein paar Europäer vor Weihnachten ihr Wohltätigkeitsbedürfnis befriedigen können, um gleich darauf beim Discounter noch Bananen aus den alten Kolonien und eine neue Spielkonsole mit seltenen Erden für die Kinder zu kaufen. G. hatte noch viele lose Enden in seinen Gedankensträngen und viele Widersprüche. Er war dankbar, dass er hier war, als Privilegierter.

G. war unterwegs

G. hat sich auf die lange Reise gemacht. Gemeinsam mit seinem Frisbeeteam ist er am Morgen des 25. April in einen Bus nach Mombasa gestiegen. Gut, dass der Bus direkt vor der Feuerwache abfuhr, Heimspiel. Und ein sicherer Abstellplatz für das Fahrrad. Die Fahrt nach Tiwi in der Nähe von Mombasa, Kenia, dauerte rund elf Stunden, in denen G. größere Landstriche von Tansania sah, als in den fünf Monaten davor. Endlich angekommen, wurden die Bungalows bezogen. Für G., der es aus Deutschland gewohnt ist, bei Turnieren mit Isomatte und Schlafsack in einer Turnhalle zu übernachten, war die Ferienanlage mit Pool und Palmenstrand ein ungeahnter Luxus. Als G. erfuhr, dass es ein Pickup-Team, also eine zusammengewürfelte Mannschaft, geben würde, die noch Spieler suchte, ging er in sich. Er mochte das Team aus Dar es Salaam gerne, aber er war auch ein neugieriger Mensch. Und so schloss er sich dem Pickup-Team an, das nach einer NGO mit dem Namen „One Acre“ benannt war. Nachdem keiner der Spieler von dieser Organisation auftauchte, wurde der Name beibehalten, doch mit einer französischen Note versehen, sodass das Team nun „On éa Cré“ hieß.

Team-Maskottchen war ein gelbes, aufblasbares Seeungeheuer, das Sebastian hieß und an diesem Abend auf einer Poolparty bereits die Reise in die ewigen Jagdgründe antrat. Der Rest des Wochenendes war eine Abwechslung aus Frisbee, Dosenbier, Musik, Tanz und Sonnencreme, welche von den weißen Spielern üppig verwendet wurde. Gs. Mannschaft gelang es schließlich, die Trostrunde zu erreichen, wo sie einen hervorragenden Sieg gegen das Team aus Kampala, Uganda, errangen. Anschließend ging es in das geheime Finale, ein Frisbeematch mit Regeln wie „Zombie“ (Arme und Beine nicht anwinkeln), „Dive“ (Jeder Wurf muss mit einem Hechtsprung gefangen werden) oder „Beer Point“ (Jeder Spieler hält ein Dosenbier, das so kostbar ist, dass nichts danebengehen darf). Erschöpft und guter Dinge gingen sie zum Mittagessen.
Das Team aus Dar es Salaam schied nach hartem Ringen im Halbfinale aus, was einige neue Spieler sichtlich enttäuschte. Insgesamt war auf dem Turnier aber der Ultimate-Frisbee-Spirit allgegenwärtig. Hohe Fairness, gegenseitiger Respekt, Spaß am Spiel und Ehrgeiz mit Augenmaß sind Grundsätze, mit denen man gut Sport treiben kann. Am Ende gewann schließlich das Team aus Nairobi.
Den Montag verplauderte G. dann noch mit einer Teamkollegin am Strand, bevor er mit einem Teil des Teams aus Kampala in einen Minibus stieg, um die Insel der Seligen zu verlassen. An der Fähre in Likoni verabschiedeten sie sich herzlich. Wenn alles gut ginge, würde G. sie im September in Kampala auf Ostafrikas größtem Rasenturnier wiedersehen.

Dann begann Mombasa. G. hatte eine Unterkunft beim Bekannten einer Bekannten gefunden, der davon lebt, Zimmer an Freiwillige zu vermieten und deren Leben zu organisieren. So kam es, dass G. neben der größten Hafenstadt in Ostafrika auch das Grauen des „Volontourism“, wie es seine Teamkollegin R. später nennen sollte, kennenlernte. Als G. ankam, wohnte beim Vermieter S. auch die deutsche Soziale-Arbeit-Studentin X., die gemeinsam mit ihrer Freundin Y. (ebenfalls Soziale Arbeit) einen zweimonatigen Freiwilligendienst im Stadtteil Likoni (Süd-Mombasa) absolvierte. Im Gespräch mit den beiden und unterwegs wähnte sich G. zwischendurch in einer Don’t-Liste seines Vorbereitungsseminars gefangen. Bei aller Diskretion wird G. lange in Erinnerung bleiben, wie Y. erzählte, dass sie den Kindern in ihrem Waisenhaus immer Bonbons mitbringe, weil die sie dann so lieb umarmten und überhaupt so süß seien. G. hatte sich manchmal gefragt, woher häufige Erwartungshaltung an Weiße kommt, dass sie immer etwas verschenken. Nun hatte er endlich eine der vielen Gründe gefunden. Er dankte Y. innerlich, denn beim nächsten Mal, wenn er sich über die Erwartungshaltung aufregen würde, hätte er wenigstens jemanden, auf den er seinen Hass projizieren könnte.

Ansonsten fand G. Mombasa interessant, aber nicht umwerfend. Ein bisschen wie Stone Town auf Sansibar, nur urbaner. Er naschte sich durch ein paar indische Restaurants und schaute bei der Feuerwehr vorbei, die ihn zum Löschen eines brennenden Heizölbeckens mitnahm. Die Feuerwehrleute arbeiteten genauso ineffizient und risikoreich wie in Dar es Salaam. G. fühlte sich wie zu Hause. Ansonsten wurde er herzlich eingeladen, wiederzukommen, was ihn freute, denn auch wenn Behörden Behörden sind, hat es schon etwas, in der Fremde jemanden zu haben, der einem weiterhilft und einen als zugehörig betrachtet. Fort Jesus und die Altstadt schaute G. natürlich auch an. Er nahm sich viel Zeit zum Schreiben und Nachdenken und als die Zeit gekommen war, zurückzufahren, freute er sich auf das heimatliche Magomeni. Nach einem Tee und zwei Halfcakes stieg er in den Fernbus. Zwölf Stunden später rannte er mit seinem Rucksack über die Morogoro Road und bog im Laufschritt in die Dosi Street ein, dem Zuhause entgegen. S. kochte Nudeln und G. schrieb wieder eine E-mail auf einer richtigen Tastatur. Welch ein Genuss.

Am Montag ging es dann zurück auf die Arbeit. Dort waren seit der letzten Woche neun japanische Feuerwehrautos angeliefert worden, die darauf warteten, auf Tansania verteilt zu werden. Für den Tag sah es eindrucksvoll aus. G. stellte sich vor, wie es wäre, wenn bei einem Alarm wenigstens auf drei oder vier dieser Autos gut ausgerüstete Feuerwehrleute springen würden und innerhalb von einer Minute unter Sirenengeheul die Wache verlassen würden, die dann noch nicht einmal verwaist daläge. In der Tat saßen zwei neue Feuerwehrleute den ganzen Tag in Schutzausrüstung da und warteten auf den Einsatz, der nicht kam. G. bewunderte sie für ihren Mut und freute sich, dass sie die Faulheit der Vielen noch nicht kannten. Gs. tansanischer Kollege Sw. erklärte ihm später noch die drei Feuerwehrmann-Typen, die es in Dar es Salaam gäbe: Der erste sei motiviert, übe viel und nehme seine Dienstkleidung zum Pflegen und Waschen mit nach Hause. Der zweite sei Soldat und könne Salutieren und seine Uniform bügeln, leider auch nicht mehr. Der dritte säße typischerweise im Hauptquartier und spiele auf seinem Smartphone herum. G. musste Sw. recht geben. Nachdem auf der Feuerwache strenge Führungskräfte und Routine weitgehend fehlen, entfallen nach Gs. Beobachtung bis zu 95 Prozent der Einsatzkräfte auf Typ 2 und 3. Das ist wohl kaum anders als überall, nur dass es eben keine Disziplinarstrafen gibt. Waldorfschule für Große.

Dann gab es Mittagessen, wali samaki (Reis mit Fisch). G. machte mit S. noch einen Beladungsplan für das Unfallhilfsfahrzeug und besprach ihn mit dem Rescue-Team-Chef C.. Anschließend versuchte G. noch herauszubekommen, warum der Leitstellencomputer Stromschläge verteilte (bis zu 50 Volt). Dazu konnte er auf drei solide Elektrik-Koffer der Feuerwehr Hamburg zurückgreifen. An der Feuerwache Ilala schätzt G., dass trotz der permanent prekären Situation immer wieder irgendwo solides Gerät auftaucht, mit dem sich arbeiten lässt. Es lag dann wohl nicht am Rechner, sondern am Schutzkontakt der Steckdose, der aus irgendwelchen Gründen unter Spannung stand, wie G. beim Berühren einer Schraube am Gehäuse der Steckdose bemerkte (100 Volt). Am nächsten Tag würde er den Rechner einfach in einem anderen Büro ausprobieren und sehen, ob sich das Problem beheben ließe. Dann würde er den Techniker rufen, damit er die Steckdose reparieren sollte. Der Techniker würde feststellen, dass ja nur ein zweiadriges Kabel an der Schutzkontakt-Steckdose angeschlossen sei, was ja verboten sei. Dann würde der Wachleiter informiert und das Hauptquartier würde eine Elektrik-Sanierung der gesamten Feuerwache in Auftrag geben. Anschließend würden noch alle Dachflächen saniert, das Einsatzbudget würde verdoppelt, die Hälfte der Bürokräfte würde entlassen und die Fortbildung der Feuerwehrleute würde forciert werden. Die Welt wäre wieder heile. G. steckte die Kabel vom Rechner ab und stellte ihn in die Ecke. Genug für heute. Er freute sich auf eine Dusche.

G. verlässt Dar

Falls sich jemand gewundert hat, warum G. so lange nicht mehr aufgetaucht ist, dann lag das an den harten Verhandlungen, in denen er bis vor kurzem steckte. Nun ist er erleichtert, ein für ihn zufriedenstellendes Ergebnis, mithin einen großen Wandel in seiner Freiwilligen-Karriere, erreicht zu haben. Seit gestern ist er ein Freiwilliger bei der Feuerwehr von Mombasa, die er bei ihren Einsätzen begleiten wird. Nach Dar es Salaam wird G. wegen verschiedener Unstimmigkeiten mit seinen Kollegen nicht mehr kommen, eine Wohnung hat er in Kenia schon. Ab sofort lebt er in einer Acht-Zimmer-Villa mit Meerblick, alleine. Besucher sind immer willkommen

Beim ersten Einsatz, den G. bestritten hat, galt es, ein brennendes Heizölbecken zu löschen, was rasch gelang.

Ob G. nach seinem Einsatz nach Deutschland zurückkehren wird, ist noch ungewiss, da er bereits von der Stadt Mombasa einen Folgevertrag als hochbezahlter Berater angeboten bekommen hat. Es warten also spannende Zeiten.

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Reportage: Schmutzige Ausländer

Westliche Immigranten in Tansania

jl, Dar es Salaam

Tansania ist ein Einwanderungsland, ein Vielvölkerstaat. Kongolesen, Jemeniten, Ugander und eben auch: Europäer. Bei der Integration dieser Menschen, die alle in dem ostafrikanischen Staat leben und arbeiten, geht es freilich nicht immer konfliktfrei zu, die Rede ist immer wieder von ungeregelten Formalitäten, Gesetzesbrüchen und Integrationsproblemen, die zur räumlichen Segregation der Einwanderergruppen führen. Ein Augenschein vor Ort zeigt, dass besonders europäische Einwanderer große Schwierigkeiten haben, sich in Tansania zu integrieren und vor Ort eine Lebensgrundlage aufzubauen. Bei einem Besuch im Stadtteil Masaki, der für seine Dichte an europäischen und nordamerikanischen Einwohnern berüchtigt ist, sehen wir: Es wird nicht übertrieben, wenn Lokalpolitiker und Polizisten von Ghettobildung sprechen. Um 23 Uhr sind am Wochenende die Immigranten in der Gegend um das Double Tree Hotel in der Regel unter sich. Mit der Zeit gelingt es unserem Team, ein wenig Zugang zu gewinnen zu den in den auf edel getrimmten Kneipen und den schummrigen Clubs herumlungernden Einwanderern, die hier vor einem oft tristen Arbeitsalltag Zuflucht suchen. Vor einem Restaurant treffen wir einen Mann, Mitte vierzig, der aus Furcht vor Konflikten mit seinem Umfeld seinen Namen nicht nennen möchte. Er wohnt nach eigenen Angaben schon drei Jahre in Dar es Salaam. Auf unsere Nachfrage, wie es ihm in der Stadt gehe, antwortet er leise, er habe Masaki noch nie verlassen. Arbeit hat er bei einer NGO gefunden, einer sogenannten Nichtregierungsorganisation. Diese im internationalen Ermittlerjargon auch als Banden bezeichneten Zusammenschlüsse operieren auch in Tansania mit dem Ziel, Wirtschaftsmigranten verdeckt Alimente von Familienmitgliedern oder Bandenchefs aus der Heimat zukommen zu lassen. Zahlreiche NGOs tarnen sich mit einem scheinbar gemeinnützigen Zweck, der in vielen Fällen allerdings darauf ausgelegt ist, das staatliche System des Ziellandes zu unterhöhlen und für weitere Aktivitäten des Mutterkartells vorzubereiten. Auch seine Organisation sei in diesen Sumpf aus Korruption und Vorteilsnahme involviert, gibt unser Gesprächspartner, nennen wir ihn Fred, widerwillig zu. Bei Treffen mit Politikern, die als Beratungen deklariert würden, flössen oft sogenannte Tagungsgelder, für die im Gegenzug Aufträge und andere Vorteile gewährt würden. Die Straßen leeren sich, wir brechen auf. Nachts gelten die verlassenen Alleen des Viertels als unsicher. Obwohl überall Sicherheitspersonal postiert ist, kommt es regelmäßig zu schweren Straftaten. Der Ghettocharakter lässt das Viertel eben nicht los. Im gepanzerten Geländewagen erreichen wir sicher das Hotel.

Ein weiteres Problem der westlichen Immigranten zeigte sich nach der Amtsübernahme der neuen Regierung unter Präsident John Pombe Magufuli, die mit dem Schlendrian vieler Behörden gegenüber Einwanderern aufräumen will. Zahlreiche der zumeist weißen Einwanderer verfügen nämlich weder über eine Arbeitserlaubnis in ihrem Beruf noch über eine gültige Aufenthaltsberechtigung. Ein anonymer Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde, den wir in Dar es Salaam treffen konnten, meinte dazu, dass es eben immer wieder vorgekommen sei, dass Ausländer positiv diskriminiert würden, um ihnen die Integration zu erleichtern. Auch bei der Strafverfolgung schauten Behörden oft weg, kritisiert unser Informant. Doch dieses Tabu müsse ein Ende haben. Auch Einwanderer hätten sich den Maßstäben eines Rechtsstaates zu stellen. Zumal es sich zeigt, dass in vielen Fällen der kulante Umgang mit den Immigranten zu schweren Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führt und sich zahlreiche Wazungu, wie die westlichen Einwanderer auch genannt werden, trotz großen Entgegenkommens gar nicht integrieren wollen. In Tansania wird Einwanderung insbesondere von als „Freiwilligen“ deklarierten unterbezahlten Hilfsarbeitskräften zumeist unter der Auflage der Arbeitsmarktneutralität gewährt. Doch der Besuch in einem Jugendzentrum im Stadtteil Ubungo zeigt, dass dies oft umgangen wird. Eine junge Deutsche, die lediglich die Schule abgeschlossen hat und über keine weitere Ausbildung verfügt, gibt Kindern Musikunterricht. Die Leiterin des Zentrums erzählt im Gespräch, dass Unternehmer und Betreiber von öffentlichen Einrichtungen oft keine Wahl gelassen würde, da die Aufnahme von Freiwilligen politisch zu stark fehlgefördert sei, um dagegen Maßnahmen zu unternehmen. Selbstverständlich gäbe es geeignetere Kandidatinnen und Kandidaten für die Stelle, doch den Europäern und Nordamerikanern würden auch ohne Qualifikationen Stellen angeboten, auf die normale Tansanier jahrelang warten müssten. Immerhin sei sie motiviert und bemüht, die Sprache zu lernen, meint die Leiterin über die Deutsche. Zum Ende unseres Aufenthalts gelingt es uns, Zugang zu einer Einwanderergruppe zu erhalten, die nicht im Ghetto von Masaki haust, sondern eine Bleibe in einem mehrheitlich von Tansaniern bewohnten Viertel gefunden hat.

Als wir am Tor eines kleinen Hauses in Magomeni klopfen, nähern sich Schritte, ein weißes Gesicht starrt misstrauisch durch den Türspalt. Bereits in den ersten Minuten des Gesprächs wird klar, dass die Einwanderer trotz ihrer Wohnung außerhalb des Ghettos kaum in Kontakt mit ihrer Umwelt treten. Grund: Fehlende Sprachkenntnisse und Fremdheitsgefühle. Am Wochenende verbringen sie ihre Zeit lieber mit Landsleuten, tansanische Freunde haben sie wenige. Der Besitzer des lokalen Lebensmittelgeschäfts, mit dem wir nach dem bedrückenden Besuch ins Gespräch kommen, hält im Prinzip viel auf Einwanderer. Sie seien eine Bereicherung für die Kultur, in Tansania sei jeder willkommen. Bei den drei deutschen Männern, die auf der anderen Straßenseite einquartiert wurden, sieht er allerdings große Probleme. Gerade einer von ihnen könne ausreichend Kiswahili, um mit ihm ein geordnetes Gespräch zu führen und das, obwohl den Einwanderern Sprachkurse ermöglicht würden und sie Mentoren zur Integrationshilfe hätten. Vor einigen Monaten habe noch eine deutsche Frau in dem Haus gewohnt. Sie habe perfekt Kiswahili gesprochen und sich der lokalen Kultur angepasst, regelmäßig saß sie im kleinen Imbiss um die Ecke, im Gespräch mit Anwohnern. Doch dass solche Fälle der geglückten Integration Ausnahmen seien, kann auch die Chefin des lokalen Polizeipostens bestätigen, der neben dem Lebensmittelgeschäft liegt. Letzte Woche hätte sich beispielsweise gezeigt, dass es hinsichtlich der Müllentsorgung bei den Immigranten noch sehr hapere. Der Abfall von drei Monaten habe in unterschiedlichen Verfallsstadien in deren Hof herumgelegen, bis die drei Männer ihn auf Bitten der Nachbarn hin entsorgt hätten. Der Geruch hätte die drei Deutschen offenbar nicht gestört, sie seien den Schmutz wahrscheinlich schon aus ihrem Herkunftsland gewöhnt. Dass man hier seine Müllentsorgung organisieren muss und dafür einen Dienstleister benötigt, sei an den Männern völlig vorbeigegangen. In der ersten Zeit hätten sie ihren Abfall einfach vor die Tür gestellt. Wahrscheinlich mache man das in Deutschland so, erklärt die resolute Beamtin. Man habe nachbarschaftlich geholfen, doch irgendwann habe jede Geduld ein Ende. Doch das die Männer den Abfall einfach horten würden, habe sie nicht erwartet. Ihnen stünde noch ein langer Integrationsprozess bevor. Freundlich grüßen genüge auf Dauer nicht. Auch die Deutschen hätten erst nach mehreren Monaten gültige Papiere besessen, obwohl sie bereits in verschiedenen öffentlichen Behörden arbeiteten. Das läge an der positiven Diskriminierung der weißen Ausländer, die den Tansaniern die Arbeit wegnähmen. Auf unseren Einwand, auch die drei Immigranten aus dem Viertel blieben wohl nur für ein Jahr, reagiert die Polizistin unwirsch. Manche verlängerten ihren Aufenthalt, dann tauchten wieder aus dem nichts dubiose „Freunde“ der Immigranten auf, die aus- und eingingen, mit wer weiß was für Geschäften. Viele kämen zudem nach ihrem Erstaufenthalt zurück, das Problem bliebe also oft länger als für den nominal vereinbarten Zeitraum bestehen.

Wohl sei ihr bei der ganzen Sache nicht. Wer könne schon ahnen, ob man mit den ganzen Arbeitsmigranten nicht auch Kriminelle und Terroristen anzöge. Dass zwei der Deutschen häufig fotografierten, könne bereits ein Indiz für ihre Ausforschung von möglichen Tatorten sein, da sie ja bekanntermaßen mit großen Kartellen in ihrem Heimatland zusammenarbeiteten. Das Vorgehen gegen diese Banden sei allerdings schwer, räumt die Polizistin ein. Doch es sei wichtig, sich mit der Gefahr auseinanderzusetzen, selbst wenn es offenkundig die Regierung noch nicht ausreichend tue. „Wir werden jedenfalls wachsam bleiben“, verabschiedet sich die Beamtin bei uns.