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G.: Ferngespräch

G. hat einmal wieder mit einer Freundin aus Deutschland telefoniert. 3G-Internet, Whatsapp und moderate Datentarife machen es möglich, bei gerade einmal einer Stunde Zeitverschiebung über 8500 km hinweg zu plaudern, als würde man am Telefon gerade einmal zwei Kilometer über die Pegnitz hinwegtelefonieren. Toll, was die Technik so kann, zumindest was die Kommunikation angeht. Natürlich ist es schön, Zeit mit sympathischen Menschen zu verbringen, denn auch ein Telefongespräch kann neudeutsche Quality Time sein. Allerdings hat die globale Vernetzung aus der Sicht von G. ein Problem mit der physischen Realität. Denn Kommunikation lebt von gemeinsamen Werten, Sichtweisen und Erlebnissen. Als G. also sein Telefon ausgeschaltet hatte, ging er schlafen, in Gedanken noch bei dem Gespräch.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich unzufrieden und die sechs verbleibenden Monate kamen ihm ewig und unerträglich vor. Denn durch das Gespräch werden gemeinsame Realitäten lebendig, die ewig weit wegliegen. Und an positiven Gespräche ist es ja auch so, dass man meistens nicht die schlimmsten Seiten der Heimat durchwühlt. Entsprechend dachte sich G. beim Aufstehen, in welchem Entwicklungsland er hier gelandet sei. Es stank nach Rauch, weil irgendwer seinen Müll verbrannte, es hatte nachts wieder geschüttet, sodass sein Fahrradsattel nass war. Ein Dach konnte man auch nicht bauen, weil die Wände so schrottig sind, dass man wohl keinen Dübel hineinbohren könnte, ohne dem Nachbarn ein neues Fenster zu verschaffen. Außerdem bräuchte man dann erst einmal Dübel und eine Bohrmaschine und Bohrer und Material für ein Dach. Tansania: Drei Tage Arbeit und jede Menge Ärger. Deutschland: Einmal Baumarkt und einen Samstagnachmittag.

Solche Gedanken gingen G. also an diesem Morgen durch den Kopf. Natürlich hätte er nun eine Moralbilanz gemäß §4, Abs. 3-5 der Weltwärts-Freiwilligen-Verordnung ziehen können:

(3) Du sollst keine Kommunikation außerhalb des Gastlandes haben. Jeder Versuch, an dein Herkunftsland zu denken, ist strafbar.

(4) Dein Gastland ist das beste Land der Welt.

(5) Nur wer sein Gastland bedingungslos liebt, ist ein guter Freiwilliger.

Wie immer hatte der konziliante und diplomatische G. einen Kompromiss bereit.

(3) Du kannst kommunizieren, mit wem du willst, aber dir sollte klar sein, wo dein echtes Leben ist und mit wem du nur virtuell verbunden bist. Du darfst dein Herkunftsland durchaus vermissen, aber du solltest dich nicht hineinsteigern. Die gelegentlichen Salamis aus Deutschland müssen reichen.

(4) Tansania eine Herausforderung, mit der man durchaus etwas anfangen kann.

(5) Es gibt keine perfekten Freiwilligen. Wer das behauptet, ist auf jeden Fall keiner. Denn wie bei Ultimate Frisbee zählt neben der Performance auch der Sportsgeist. Und jeder, der darüber verfügt, muss zugeben, dass Fehler gemacht werden. Dass Potential nicht genutzt wird, dass man manchmal einfach genau jetzt keine Lust hat.

Und mit der Kommunikation nach Hause verhält es sich ein bisschen wie mit Alkohol: Erst einmal ist es große Party, aber der Kater kommt irgendwann. Wenn einem das klar ist, kann man ja auch damit leben. Und sich zum Frühstück erstmal ein Konterbier einschenken, indem man ein Bild vom Hof der Feuerwache in der Morgensonne auf Instagram postet.