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G.: Wali nyama

Sechseinhalb Monate sind eine lange Zeit, wenn man auf eine Abfolge von Mittagessen zurückblickt. Die traumatische Chipsi-Mayai-Diät am Anfang der Dienstzeit war da nur eine kurze Episode. Chipsi Mayai sind ein Omelett aus Pommes Frites und zwei Eiern, serviert mit ein wenig Salat, Salz und Ketchup. Eigentlich das perfekte Handwerkeressen, aber nach zwei Wochen konnte G. das Gericht tatsächlich nicht mehr sehen und hat dann auch den nächsten Monat darauf verzichtet. Mit der Zeit hatten G. und S. dann auch die Vorurteile gegen die Küche auf dem Gelände der Feuerwache abgebaut, wo mehrere sog. Mamas unter einem Wellblechdach das tägliche Menü bestehend aus Wali (Reis) und Ugali (Maisbrei) und den optionalen Beilagen, Maharage (Bohnen), Samaki (Fisch) und Nyama (Fleisch) zubereiten. Insgesamt gibt es also sechs Kombinationsmöglichkeiten, um das perfekte Mittagessen zusammenzustellen. Dass es meistens Wali Nyama wird, Reis mit Fleisch (52%), vor Reis mit Fisch (40%), Reis mit Bohnen (5%) und Maisbrei (3%), hat verschiedene Gründe. Erstens wird man von dem vegetarischen Gericht nicht satt. Von Ugali (Maisbrei) vielleicht schon, aber dann ist man so voll, dass man vielleicht einen Verdauungsschlaf im Kyffhäuser einlegen sollte, um dann mit voller Kraft den Notleidenden zu helfen. Zumindest Gs. tansanische Kollegen behaupten, dass Ugali Kraft verleiht. G. glaubt eher, dass Friedrich Barbarossa zu viel Ugali gegessen hatte, als er im Jahr 1190 im Fluss Saleph ertrank. Außerdem hat G. oft so ölige Hände, dass er besser keinen Ugali bestellt, den man traditionell zu kleinen Klumpen knetet und ohne Besteck verzehrt. Und wenn man Fisch isst, muss man darauf hoffen, dass es Seife gibt, sonst hat man ein olfaktorisches Souvenir für den Rest des Arbeitstages.

Die Wahl der Gerichte erweist sich also meist weniger aufregend, dafür ist das Mittagessen auf der Feuerwache einfach ein Anker des Tages. Gegen zwölf Uhr meldet sich bei G. der erste Hunger, den er erfolgreich mit Arbeit bis ein Uhr unterdrückt. Dann denkt er sich, dass nur noch ein winziger Arbeitsschritt zu tun ist, der sich dann aber wegen unerwarteter Komplikationen bei der Materialbeschaffung oder eines fehlenden Werkzeugs bis zwanzig nach eins hinzieht, sodass G. zur Optimalzeit in der Kantine auftaucht. Denn der Zeitpunkt ist ebenfalls entscheidend für ein gelungenes Mittagessen. Kommt man zu früh, sind noch keine Tomatensoße und kein Fleisch fertig. Kommt man zu spät, sind bestimmte Beilagen wie der Salat schon aufgebraucht. Preislich macht das alles keinen Unterschied, denn jedes Gericht kostet 2.000 tansanische Schilling, etwa 0,85 Euro. Mangosaft kostet 500 Schilling und ist meistens vorrätig. Wie schnell die Portion auf dem Teller dahinschmilzt, hängt von Gs. Gesellschaft ab. Mit S. gestaltete sich das Tischgespräch meist arbeitsbezogen und das Essen dauerte ca. 15 Minuten. In den drei Wochen, als R. und H., die Hamburger Ausbilder, auch mit zu Mittag aßen, konnte sich das Essen auch einmal über eine Stunde hinziehen, wenn man in eine engagierte Diskussion über Bildung und Globalisierung vertieft war. Zumindest wenn es keinen Alarm gab, der dem Gespräch ein jähes Ende setzte. Glücklicherweise hat G. bisher erst einmal einen Alarm am Mittagstisch erlebt, als er schon aufgegessen hatte. Das wäre für ihn eine harte Probe, deren Ausgang er selbst noch nicht kennt. Ausrücken, ohne richtig zu Mittag gegessen zu haben…

Nach S. verfrühtem Abgang hat sich auch das Mittagessen etwas verkürzt, zumindest, wenn G. alleine isst. Manchmal gibt es aber auch interessante Dinge zu sehen, für die G. sich einen Moment Zeit nimmt. Zum einen sind da die Köchinnen, die zum einen mit unglaublicher Routine den Laden schmeißen und gleichzeitig die Bestellungen mit erstaunlicher Regelmäßigkeit durcheinanderbringen. Gs. Favorit ist allerdings der Polizist von der Kreuzung, der ihn immer freundlich grüßt und den Lauf seiner Maschinenpistole als Aufhänger für seine Dienstmütze nutzt, während die AK-47 auf seinem Schoß liegt. Dann trifft man manchmal auch noch Gäste wie die Bauarbeiter aus Mauritius, die nur Französisch sprechen und mit ihrem Firmenauto aus dem Norden von Dar es Salaam nur wegen des günstigen Mittagessens in die Innenstadt kommen. Oder I., eine Freiwillige aus Kimara, kommt vorbei, um Erste-Hilfe-Material für ihre Einsatzstelle, ein Kinderheim, abzuholen. Da wird man dann natürlich auch gefragt, ob sie denn eine Dada (Schwester), also ein beziehungstechnisch für G. uninteressantes Wesen sei, oder gar dessen Freundin? G. ahmte die traurige Miene des Fragenden angesichts der Antwort ab, sie sei nicht seine Freundin, danach brachen sie in lautes Lachen aus, klatschten ab und G. ging ins Büro. Mittagspause