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G. war unterwegs

G. hat sich auf die lange Reise gemacht. Gemeinsam mit seinem Frisbeeteam ist er am Morgen des 25. April in einen Bus nach Mombasa gestiegen. Gut, dass der Bus direkt vor der Feuerwache abfuhr, Heimspiel. Und ein sicherer Abstellplatz für das Fahrrad. Die Fahrt nach Tiwi in der Nähe von Mombasa, Kenia, dauerte rund elf Stunden, in denen G. größere Landstriche von Tansania sah, als in den fünf Monaten davor. Endlich angekommen, wurden die Bungalows bezogen. Für G., der es aus Deutschland gewohnt ist, bei Turnieren mit Isomatte und Schlafsack in einer Turnhalle zu übernachten, war die Ferienanlage mit Pool und Palmenstrand ein ungeahnter Luxus. Als G. erfuhr, dass es ein Pickup-Team, also eine zusammengewürfelte Mannschaft, geben würde, die noch Spieler suchte, ging er in sich. Er mochte das Team aus Dar es Salaam gerne, aber er war auch ein neugieriger Mensch. Und so schloss er sich dem Pickup-Team an, das nach einer NGO mit dem Namen „One Acre“ benannt war. Nachdem keiner der Spieler von dieser Organisation auftauchte, wurde der Name beibehalten, doch mit einer französischen Note versehen, sodass das Team nun „On éa Cré“ hieß.

Team-Maskottchen war ein gelbes, aufblasbares Seeungeheuer, das Sebastian hieß und an diesem Abend auf einer Poolparty bereits die Reise in die ewigen Jagdgründe antrat. Der Rest des Wochenendes war eine Abwechslung aus Frisbee, Dosenbier, Musik, Tanz und Sonnencreme, welche von den weißen Spielern üppig verwendet wurde. Gs. Mannschaft gelang es schließlich, die Trostrunde zu erreichen, wo sie einen hervorragenden Sieg gegen das Team aus Kampala, Uganda, errangen. Anschließend ging es in das geheime Finale, ein Frisbeematch mit Regeln wie „Zombie“ (Arme und Beine nicht anwinkeln), „Dive“ (Jeder Wurf muss mit einem Hechtsprung gefangen werden) oder „Beer Point“ (Jeder Spieler hält ein Dosenbier, das so kostbar ist, dass nichts danebengehen darf). Erschöpft und guter Dinge gingen sie zum Mittagessen.
Das Team aus Dar es Salaam schied nach hartem Ringen im Halbfinale aus, was einige neue Spieler sichtlich enttäuschte. Insgesamt war auf dem Turnier aber der Ultimate-Frisbee-Spirit allgegenwärtig. Hohe Fairness, gegenseitiger Respekt, Spaß am Spiel und Ehrgeiz mit Augenmaß sind Grundsätze, mit denen man gut Sport treiben kann. Am Ende gewann schließlich das Team aus Nairobi.
Den Montag verplauderte G. dann noch mit einer Teamkollegin am Strand, bevor er mit einem Teil des Teams aus Kampala in einen Minibus stieg, um die Insel der Seligen zu verlassen. An der Fähre in Likoni verabschiedeten sie sich herzlich. Wenn alles gut ginge, würde G. sie im September in Kampala auf Ostafrikas größtem Rasenturnier wiedersehen.

Dann begann Mombasa. G. hatte eine Unterkunft beim Bekannten einer Bekannten gefunden, der davon lebt, Zimmer an Freiwillige zu vermieten und deren Leben zu organisieren. So kam es, dass G. neben der größten Hafenstadt in Ostafrika auch das Grauen des „Volontourism“, wie es seine Teamkollegin R. später nennen sollte, kennenlernte. Als G. ankam, wohnte beim Vermieter S. auch die deutsche Soziale-Arbeit-Studentin X., die gemeinsam mit ihrer Freundin Y. (ebenfalls Soziale Arbeit) einen zweimonatigen Freiwilligendienst im Stadtteil Likoni (Süd-Mombasa) absolvierte. Im Gespräch mit den beiden und unterwegs wähnte sich G. zwischendurch in einer Don’t-Liste seines Vorbereitungsseminars gefangen. Bei aller Diskretion wird G. lange in Erinnerung bleiben, wie Y. erzählte, dass sie den Kindern in ihrem Waisenhaus immer Bonbons mitbringe, weil die sie dann so lieb umarmten und überhaupt so süß seien. G. hatte sich manchmal gefragt, woher häufige Erwartungshaltung an Weiße kommt, dass sie immer etwas verschenken. Nun hatte er endlich eine der vielen Gründe gefunden. Er dankte Y. innerlich, denn beim nächsten Mal, wenn er sich über die Erwartungshaltung aufregen würde, hätte er wenigstens jemanden, auf den er seinen Hass projizieren könnte.

Ansonsten fand G. Mombasa interessant, aber nicht umwerfend. Ein bisschen wie Stone Town auf Sansibar, nur urbaner. Er naschte sich durch ein paar indische Restaurants und schaute bei der Feuerwehr vorbei, die ihn zum Löschen eines brennenden Heizölbeckens mitnahm. Die Feuerwehrleute arbeiteten genauso ineffizient und risikoreich wie in Dar es Salaam. G. fühlte sich wie zu Hause. Ansonsten wurde er herzlich eingeladen, wiederzukommen, was ihn freute, denn auch wenn Behörden Behörden sind, hat es schon etwas, in der Fremde jemanden zu haben, der einem weiterhilft und einen als zugehörig betrachtet. Fort Jesus und die Altstadt schaute G. natürlich auch an. Er nahm sich viel Zeit zum Schreiben und Nachdenken und als die Zeit gekommen war, zurückzufahren, freute er sich auf das heimatliche Magomeni. Nach einem Tee und zwei Halfcakes stieg er in den Fernbus. Zwölf Stunden später rannte er mit seinem Rucksack über die Morogoro Road und bog im Laufschritt in die Dosi Street ein, dem Zuhause entgegen. S. kochte Nudeln und G. schrieb wieder eine E-mail auf einer richtigen Tastatur. Welch ein Genuss.

Am Montag ging es dann zurück auf die Arbeit. Dort waren seit der letzten Woche neun japanische Feuerwehrautos angeliefert worden, die darauf warteten, auf Tansania verteilt zu werden. Für den Tag sah es eindrucksvoll aus. G. stellte sich vor, wie es wäre, wenn bei einem Alarm wenigstens auf drei oder vier dieser Autos gut ausgerüstete Feuerwehrleute springen würden und innerhalb von einer Minute unter Sirenengeheul die Wache verlassen würden, die dann noch nicht einmal verwaist daläge. In der Tat saßen zwei neue Feuerwehrleute den ganzen Tag in Schutzausrüstung da und warteten auf den Einsatz, der nicht kam. G. bewunderte sie für ihren Mut und freute sich, dass sie die Faulheit der Vielen noch nicht kannten. Gs. tansanischer Kollege Sw. erklärte ihm später noch die drei Feuerwehrmann-Typen, die es in Dar es Salaam gäbe: Der erste sei motiviert, übe viel und nehme seine Dienstkleidung zum Pflegen und Waschen mit nach Hause. Der zweite sei Soldat und könne Salutieren und seine Uniform bügeln, leider auch nicht mehr. Der dritte säße typischerweise im Hauptquartier und spiele auf seinem Smartphone herum. G. musste Sw. recht geben. Nachdem auf der Feuerwache strenge Führungskräfte und Routine weitgehend fehlen, entfallen nach Gs. Beobachtung bis zu 95 Prozent der Einsatzkräfte auf Typ 2 und 3. Das ist wohl kaum anders als überall, nur dass es eben keine Disziplinarstrafen gibt. Waldorfschule für Große.

Dann gab es Mittagessen, wali samaki (Reis mit Fisch). G. machte mit S. noch einen Beladungsplan für das Unfallhilfsfahrzeug und besprach ihn mit dem Rescue-Team-Chef C.. Anschließend versuchte G. noch herauszubekommen, warum der Leitstellencomputer Stromschläge verteilte (bis zu 50 Volt). Dazu konnte er auf drei solide Elektrik-Koffer der Feuerwehr Hamburg zurückgreifen. An der Feuerwache Ilala schätzt G., dass trotz der permanent prekären Situation immer wieder irgendwo solides Gerät auftaucht, mit dem sich arbeiten lässt. Es lag dann wohl nicht am Rechner, sondern am Schutzkontakt der Steckdose, der aus irgendwelchen Gründen unter Spannung stand, wie G. beim Berühren einer Schraube am Gehäuse der Steckdose bemerkte (100 Volt). Am nächsten Tag würde er den Rechner einfach in einem anderen Büro ausprobieren und sehen, ob sich das Problem beheben ließe. Dann würde er den Techniker rufen, damit er die Steckdose reparieren sollte. Der Techniker würde feststellen, dass ja nur ein zweiadriges Kabel an der Schutzkontakt-Steckdose angeschlossen sei, was ja verboten sei. Dann würde der Wachleiter informiert und das Hauptquartier würde eine Elektrik-Sanierung der gesamten Feuerwache in Auftrag geben. Anschließend würden noch alle Dachflächen saniert, das Einsatzbudget würde verdoppelt, die Hälfte der Bürokräfte würde entlassen und die Fortbildung der Feuerwehrleute würde forciert werden. Die Welt wäre wieder heile. G. steckte die Kabel vom Rechner ab und stellte ihn in die Ecke. Genug für heute. Er freute sich auf eine Dusche.