Alle Beiträge von Jakob Lindenthal

G.: Back to work

Mittwoch, der 6. Januar

G. hatte seinen dritten Arbeitstag seit dem Urlaub. Wehmütig dachte er, als um sechs Uhr (oder genaugenommen 6.20 Uhr, aber 6.00 klingt martialischer) der Wecker klingelte, dass in Bayern heute Feiertag wäre. Er stand auf, duschte sich, trank ein Glas Wasser und suchte sein Zeug zusammen, wobei er den Büroschlüssel neben der Kamera vergaß, die er ans Ladegerät ansteckte

Diesen Missstand bemerkte er auf der Feuerwache. Dort half er beim Fahrzeugcheck und stellte fest, dass er wohl im ersten emotionalen Tief seines Aufenthaltes war. Die unqualifizierten Feuerwehrleute gingen ihm an diesem Morgen tierisch auf die Nerven, er konnte kaum lachen, als einer von ihnen versuchte, eine Sauerstoffflasche, auf der noch ein Blindstopfen war, noch dazu in der falschen Drehrichtung an die Rückenplatte des Atemschutzgerätes zu schrauben. Er fragte ihn lediglich leise, um ihn nicht zu demütigen, wie viele Monate er schon hier arbeitete. Ein Jahr, antwortete der Feuerwehrmann leicht unfreundlich. Ob Gs. schlechte Laune damit zu tun hatte, dass er den Büroschlüssel vergessen hatte, also einen absoluten Anfängerfehler gemacht hatte? Mit Sicherheit nicht. Also fuhr G. noch einmal nach Magomeni, holte den Schlüssel, ließ beim Fahrradhändler den Steuersatz seines am Vortag erworbenen Fahrrads festziehen und kehrte auf die Wache zurück. Dort suchte er den Control Room auf, um sich aus einer Abstellkammer einen alten Computer zu beschaffen, der wenigstens im Büro wieder selbständige Rechnerarbeit ermöglichen sollte. Überraschenderweise war der Vorbesitzer des Rechners bereits in Rente gegangen, sodass G. ohne Gegenwehr das Gerät mitnehmen konnte. Als er zur Werkstatt kam, um den Rechner zu testen, sah er, dass einige Techniker im Begriff waren, einen Riss an der Tür des großen Löschfahrzeugs zu schweißen. Nachdem außerdem ein Ersatzfahrzeug auf der Wache bereitstand, sah G. seine Chance gekommen, das defekte Blaulicht zu überprüfen. Als er gerade mit dem passenden Torx-Schraubenzieher ankam, ging der Alarm los.

G. rannte ins Büro und zog sich um. Als er zum Auto kam, hatte sich vor diesem bereits eine Schlange gebildet, da die drei Sitzplätze auf acht Feuerwehrleute verteilt werden müssen. Nachdem aber elf warteten, hatte G. zusammen mit zwei Kollegen das Nachsehen. Voller Zorn machte er sich auf die Suche nach dem Wachleiter, um ihn auf den Missstand anzusprechen. Er traf nur dessen Assistenten an. G. hat ein Problem an seinem Kiswahili bemerkt: Wenn er wütend ist, funktioniert der Nachschub an Vokabeln schlecht. Nach einigem Hin und Her wurde schließlich ein Volunteer (so etwas wie ein Praktikant mit Option auf eine Feuerwehrmann-Karriere) beauftragt, G. mit einem Motorrad an den Einsatzort zu bringen. Dieser war dann tatsächlich spannend, denn es handelte sich um das Hauptquartier der Polizei. Die Angestellten waren bereits in den Hof evakuiert, das Löschfahrzeug stand einsam herum, kein Feuerwehrmann zu sehen. G. rannte in den vierten Stock, wohin man ihn wies. Dort war Rauchgeruch bemerkbar. In einem Serverraum standen die meisten Feuerwehrleute, ein paar Polizisten und ein Techniker auf einer Leiter im Licht einer Handytaschenlampe und blickten sorgenvoll unter die abgenommene Deckenverkleidung, wo sich ein Kabelbrand ereignet hatte, den die Büroarbeiter aber schon vor dem Eintreffen der Feuerwehr gelöscht hatten. G. bat die Polizisten nach draußen, da es schon ziemlich giftig roch. Er fragte seine Kollegen, warum sie keine Atemschutzgeräte und allgemein gar keine Ausrüstung mit nach oben gebracht hatten, während sie alle zuschauen gingen. Er hatte immer noch schlechte Laune. Diese besserte sich, als er sein Handy zückte, um ein paar Schnappschüsse aufzunehmen. Das war immerhin ein Vorteil an seinem langsamen Transport gewesen: Er hatte Zeit, sein Handy zu holen, nachdem die Kamera, die sich in der Brusttasche seiner Einsatzjacke befände, zu Hause am Ladegerät hing. Dann kehrten G. und der Volunteer zur Wache zurück.

Dort angekommen, erzählte M., der Cheftechniker, dass R. aus dem Dogodogo-Center angerufen habe. Sie hätte einen Laptop übrig, wenn G. eine Transportmöglichkeit hätte, könne er ihn abholen. G. rief den Chef der Feuerwachen in Dar es Salaam, I., an und fragte ihn nach einem Auto. I. versprach, eines zu schicken. Kurze Zeit später kam tatsächlich ein Transporter der Wache in Lugalo (Norden von Dar Es Salaam), die allerdings erst von ihrer Mission überzeugt werden mussten. Nach einer Überredung von I. ging es los. Sie warteten noch ewig an einem Laden, wo sie versuchten, unter großem Lärm die Abdeckung der Hupe wieder auf dem Lenkrad zu befestigen, was ihnen auch schließlich gelang. Dann fuhren sie zur Wache in Lugalo, luden das Personal ab und weiter ging es zum Dogodogo-Center, einer Ausbildungsstätte für Straßenkinder. Nach einem Telefongespräch mit B., der dem Fahrer den Weg beschrieben hatte und zehn Minuten Fahrt über eine ländliche Staubpiste kamen sie an. R. begrüßte G. am Tor und gab ihm den Computer. Die Kinder grüßten G. und R. mit der Respektsform „Shikamoo“, was soviel wie „Ich küsse deine Füße“ bedeutet. In dieser Anhäufung und Selbstverständlichkeit hatte G. diesen Gruß noch nicht erlebt. Aber ja, wenn man groß wird, ist man aus der Perspektive von Kindern wohl ein Riese. Ein paar Abkürzungen später erreichten sie wieder die Wache. G. bedankte sich herzlich und bot dem Fahrer Trinken an, dass dieser aber höflich ablehnte. Alsdann machte sich G. auf den Heimweg. Er aß ein Mangomüsli, sicherte endlich seine Bilder und ging joggen. Seine Route führte ihn durch ein abgerissenes Slum in einer Hochwasserzone, in dem die Menschen die gerade die Reste ihrer Häuser zusammensuchen, um wegzuziehen. Das Ausmaß an Umweltverschmutzung durch Müll war erschreckend, die Freundlichkeit der Bewohner dagegen rührend und für G. als Eindringling unerwartet. Dass es sich um eine Hochwasserzone handelte, merkte er, als er trotz geringen Niederschlags ein Stück überfluteten Pfades entlangwaten musste, was er nach längerem Zögern widerwillig tat. Zu Hause angekommen, duschte er gründlich und installierte ein Linux-Betriebssystem auf dem neuen Laptop. Dann begrüßte er S. und dessen Familie, die aus Arusha zurückgekommen waren. Anschließend machte er sich ein Auberginen-Sandwich und packte seine Sachen. Um zwei Uhr zwanzig in der Nacht würde der Fahrer kommen. Zeit, die neue Freiwillige L. vom Flughafen abzuholen.

Your Computer as you have never seen it before

Nachdem wir ein schönes Weihnachtsfest am Strand gefeiert haben, habe ich heute meinen ersten Urlaubstag genossen, mit viel Organisationskram, um morgen nach Sansibar aufzubrechen. Schnorchel und Hängematte sind im Gepäck. Unter anderem war ich auch beim Apple-Store, wo die Techniker meinem Macbook einen Defekt der Hauptplatine diagnostiziert haben. Nun habe ich einen Aluminiumklumpen im Regal liegen, der auf seine Rückführung nach Deutschland wartet.

Zu Hause erfolgte dann die Standard-Prozedur für defekte Rechner, Forensik. Doch ich konnte den Defekt nicht finden. Zu klein die Komponenten, zu komplex die Platine. Doch es ist auch interessant, wenn die Apple-Produkte entmystifiziert und nackt vor einem liegen. Eine Apple-Experience der neuen Art. Platinen sehen überall gleich aus. Die ganzen aufgelöteten Komponenten wirken wie eine kleine Stadt, eine kleine Stadt, in der Stromausfall herrscht.

DVD-Laufwerk
DVD-Laufwerk
Ethernet-Port
Ethernet-Port
Kühlelement
Kühlelement
Arbeitsspeicher-Steckplatz
Arbeitsspeicher-Steckplatz
Gehäuse
Gehäuse

Jetzt ist es spät. Ich habe meine Sachen zusammengesucht. Einen Ersatzrechner werde ich dieser Tage bestellen. Hat jemand zufällig ein Lenovo Thinkpad zu Hause, das er oder sie nicht mehr braucht? Sonst kaufe ich eins auf Ebay. Diese Geräte werden immerhin auf der ISS eingesetzt, da können sie mit Dar es Salaam vielleicht gerade so klarkommen. Das einzige, was mir fehlen wird, ist Apples eifrige Autokorrektur, die es bei Opensuse nicht gibt. Da muss ich wieder auf meine Finger aufpassen. Dafür habe ich aber die Gnome-Benutzeroberfläche, die um Längen innovativer ist als die von OS X. Genug des Sinnierens über den Weltenwechsel. Unix bleibt Unix.

Morgen um fünf klingelt der Wecker, dann ist es Zeit, zur Fähre zu gehen. Der Empfehlungsbrief wegen der reduzierten Tickets hat natürlich mal wieder versagt. Vielleicht schafft es das Ministerium ja, die Aufenthaltserlaubnis auszustellen, bis wir wieder abreisen. Aber das machen die schon. Wir haben jetzt ja Magufuli. Der säubert die Straßen.

G.: Weihnachten

 

G. steht an Deck der Fähre nach Kigamboni, wo er mit seinen Kollegen den heiligen Abend verbringen wird. Die Schrottwichtelgeschenke liegen noch in seiner Hosentasche, er muss sie noch loswerden. Über dem Wasser glänzen die Silhouetten von Dar Es Salaam, in Gs. Kopf klingen noch die Lieder aus der Kirche nach. Es ist ein unreales Weihnachtsfest. Und eines, das G. wohl lange in Erinnerung bleiben wird. Die Fähre ist fast da. G. wird seinen Rucksack den Kollegen mitgeben und sich dann auf den Weg machen, den Strand mit dem Fahrrad zu erreichen. Er hat das Kuhhorn dabei.

Hilferuf: Digitaler Notstand

Policemen at National Stadium
Policemen at National Stadium

Es gibt zahlreiche Probleme, die sich nicht durch Licht und Schall bemerkbar machen, sondern gerade durch ihre Abwesenheit. Als ich heute Abend mein Macbook aus dem Ruhezustand wecken wollte, musste ich feststellen, dass sich dieser still und leise aus dem Betriebsdienst verabschiedet hatte und nicht mehr aufwachen wollte. Die kurze Liste an Troubleshooting-Möglichkeiten war bald abgearbeitet. Auch der zu Hilfe geeilte Informatiker, unser Mentor Daniel, konnte dem Computer kein neues Leben einhauchen. Ein Abnehmen der Unterseite des Laptops führte zu keiner Fehlerdiagnose, sodass ich mich gezwungen sehe, an diesem Mittwoch um 00.37 Uhr ostafrikanischer Zeit den digitalen Notstand auszurufen. Der Protagonist G. und die Bildstrecken sind in Gefahr. Grundlegende Funktionen des digitalen Alltags werden dagegen von meinem Smartphone abgedeckt. Dieses eignet sich aber kaum zur Bearbeitung des Blogs, sodass ich nun meine Bitte um Unterstützung in die Welt und an meine Leser schicke:

Wenn ihr einen Laptop habt, den ihr nicht mehr braucht oder den ihr verkaufen wollt, habe ich großes Interesse. Der Transport lässt sich bewältigen. Gebraucht und am besten möglichst günstig deswegen, weil Verluste in diesem Einsatz zu erwarten sind. Leider behindern sie dann trotzdem stark den Alltag. Mir hat G. als Figur gefallen und es hat mir große Freude bereitet, an ihm zu stricken. Wenn ihr G. helft, aus der angesichts von Touch-Tastaturen drohenden Eiszeit aufzuwachen, werden er und sein Autor sich sehr freuen.

Warum suche ich in Deutschland, 8500 Kilometer entfernt, nach einem Computer? Tansania ist eine digitale Wüste. Wer Elektronik sucht, bekommt schlechte Ware zu überteuerten Preisen. Deutschlands Dachböden und Keller dagegen ächzen unter der Last abgelegter Rechenhardware. Wenn ein Gerät entbehrlich ist, werde ich mich darum kümmern, dass es seinen Weg nach Dar Es Salaam findet. Als Belohnung warten Bilderstrecken mit Kühen am Strand und Gs. Erlebnisse mit den Stromdieben.

PS: Linux-DVD ist vorhanden, ebenso eine funktionsfähige Mac OS X-Festplatte. Dazu gesellen sich Ideen, Bastelbereitschaft und die Überzeugung, dass G. wieder neue Abenteuer erleben wird, spätestens, wenn sein Autor aus Sansibar zurück ist.

Wenn ihr mir antworten mögt, freue ich mich über eine E-Mail an fvl.mobile@mnet-mail.de.

Images: BA exams and a wreck

Tuesday, 15th December

Visit to headquarter, trying to accelerate immigration procedure, enjoying view from neighbor building’s roof

Wednesday, 16th December

Welding goes on for boat trailer

Thursday, 17th December

Taking part in the firefighting academy’s final breathing apparatus (BA) exams

Declining a repair request for Temeke fire vehicle due to lack of spare parts, search for steel still going on

Vainly trying to tailor a mobile phone sleeve from an old fire hose at Africraft

Friday, 18th December

Welding trailer parts, due to problematic electricity conditions explosion of an extension cable, work postponed

Staying at a beach resort in Kunduchi in the north of Dar Es Salaam together with friends from an NGO

Saturday, 19th December

Enjoying western breakfast at beach hotel

Exploring wreck off Kunduchi beach

Cycling to Kigamboni, staying near South Beach

Sunday, 20th December

Returning to Posta, attending advent mass at St. Joseph’s cathedral

Making christmas cookies at home

 

Breathing apparatus exams

Our equipment
Our equipment
Recruits being instructed by supervisor
Recruits being instructed by a supervisor
Recruit and officer handling air cylinder
Recruit and officer handling air cylinder
Receiving help to adjust face mask
Receiving help to adjust face mask
Masks on!
Masks on!
Samuel climbing training tower
Samuel climbing training tower
Preparing to abseil
Preparing to abseil
Recruits waiting in the shadow of workshop building
Recruits waiting in the shadow of workshop building
Fastening gear to descend
Fastening gear to descend

Wreck off Kunduchi beach

In the shallow water 300 meters from Kunduchi beach there is a freight vessel’s wreck. We swam the last 100 meters to the hull and boarded the ship through a ladder on the starboard side. The wreck had apparently sustained heavy damage from fire, the traces where still visible on the superstructures. Most of the rescue equipment was still in place, only the rescue boat was missing and one life raft box had burned down. The steel superstructures where deformed by the heat, in general moving on the wreck required close attention because of unstable sections, open hatches and glass shards. The superstructures were already partly dismantled, a great number of gas cylinders and defective work boots for welding showed regular activity of workers disassembling the wreck.

View from the beach
View from the beach
Wheelhouse seen from the bow
Wheelhouse seen from the bow
Abandoned fire extinguisher box
Abandoned fire extinguisher box
Ladder
Ladder
Safety first
Safety first
Stern
Stern
Staircase between chimney and wheelhouse
Staircase between chimney and wheelhouse
Houston, we have a problem!
Houston, we have a problem!
Life raft
Life raft
Top deck
Top deck
Traces of fire
Traces of fire
Paint/Rust
Paint/Rust
Life boat crane
Life boat crane
Wheelhouse detail
Wheelhouse detail
Rope coil
Rope coil

Images: Military Parade

Friday, 10th December 2015

Attending a parade for Fire and Rescue Force recruits having passed their exams

Taking part in a rescue show

Suffering from sunburns after hours of watching the ceremony on Kimbiji exercise field

Having coffee
Having coffee
Ferry to Kigamboni
Ferry to Kigamboni
Drummers
Marching
Soldiers watching ceremony
Soldiers watching ceremony
Officer
Officer
Silhouettes of soldiers marching
Silhouettes of soldiers marching
Parade dissolving
Parade dissolving
Before the rescue show
Before the rescue show
Spectators watching fire exercise
Spectators watching fire exercise
Cheering soldiers
Cheering soldiers
Back to the barracks
Back to the barracks
Taking pictures (by Samuel)
Taking pictures (by Samuel)

G.: Staub

Staub-Cover

Manchmal sind gesprochene Worte besser als geschriebene, um Eindrücke zu vermitteln, denkt sich G., der ewig geschlafen hat und öffnet seinen Laptop. Um heute einen Rap-Track aufzunehmen. Der Titel des Textes ist „Staub“, geschrieben im Bus auf der Rückfahrt von Bagamoyo, wo er einen Freund besucht hat. Natürlich liebt G. das Dramatisieren, die Wirklichkeit in Dar es Salaam beschreibt sein Text nicht. Dass Staub ein Charakteristikum der Stadt ist, kann man aber auch nicht in Abrede stellen und so baut sich G. aus Apple-Loops und dem integrierten Mikrofon eine Staub-Welt.

PS: Mit Kopfhörern oder einer soliden Musikanlage klingt das Lied am besten, sonst ist der Beat etwas matt. Low-Budget-Podcast eben.

 

Ich: Will Europa?

Die Perspektive aus der Distanz erlaubt einem, andere Blickwinkel auf die europäische Heimat einzunehmen. Ich behaupte keinesfalls, dass diese Blickwinkel besonders enthüllend sind oder große Objektivität generieren. Allerdings muss ich sagen, dass ich aus meinem Kontext beschämt und enttäuscht darüber bin, wie die europäische Politik und Teile der europäischen Öffentlichkeit auf die aktuellen Herausforderungen aus Flüchtlingskrise und Terrorismus reagieren. Und in der Tat glaube ich, ob innerhalb oder außerhalb von Europa, dass einige der Fehler und deren Verursacher klar identifizierbar sind und es Debatten gibt, die geführt werden müssen. Deshalb schreibe ich diesen Kommentar, ohne G. dazwischenzuschalten, sondern aus Jakob Lindenthal aus Dar es Salaam, Tansania. Er hat nicht den Anspruch der Vollständigkeit, sondern ist eher als Bestandsaufnahme zu sehen. Manche Fäden sind noch lose, doch wie sollte man sie weiterspinnen, wenn sie unsichtbar blieben?

Will Europa?

Als die Attentäter in Paris am 13. November 2015 das Feuer auf Zuhörer eines Konzerts eröffneten, schossen sie nicht nur auf Menschen, nein, sie schossen direkt auf Europas Identität. Doch Europa ließ nicht auf Antwort warten. Europa zeigte Stärke. Europa schlug zurück. Zunächst verbal, dann militärisch. Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy erklärte den Islamisten den „Totalen Krieg“, geistig an seiner Seite stand Marine Le Pen, deren rechtsextreme Front National schon lange vor den Gefahren der Anwesenheit von Muslimen in Frankreich warnt. Und dann kam die militärische Offensive. Brüssel wurde vom Notstand lahmgelegt, in ganz Europa verhaftete die Polizei Verdächtige und Kampfjets starteten, um Basislager der Terroristen in Syrien zu zerstören. Erinnerungen an die Zeit des RAF-Terrors wurden wach, Kriegsszenarien durchgespielt. Es war und ist Krieg. Ein Krieg, den man mit klassischen Mitteln führen kann, von Hauptquartieren aus, mit Spezialeinheiten, Hubschraubern und Luft-Boden-Raketen.

Doch ist es ein Krieg, der zeitgemäß ist? Ein Krieg, der zu geführt werden sich lohnt? Sicherlich, die Anschläge in Paris waren unfassbar grausam und ein derartiger Angriff auf Europas Werte kann niemals ohne Konsequenzen bleiben, auch militärisch nicht, da die Bannung einer akuten Gefahr letztlich immer über die mittel- und langfristigen Ziele siegt. Dennoch muss man sich fragen, ob der Krieg, der geführt und fortgesetzt wird, zeitgemäß ist und besonders, ob er als augenscheinlich recht einsames Mittel der Gefahrenbekämpfung einen Sinn hat. Ist es nicht fraglich, ob pure Gewalt nicht nur neue Gewalt erzeugt, auch bei denen, die sie als erste ausgeübt haben? Eine europäische Gesellschaft, die ständig gefühlt nach außen und gegen die Fremden im Inneren in Abwehrstellung steht, wird verhärten in ihrem Ergötzen an der eigenen Kraft. Und sie wird kaum bemerken, wie langsam ihr Kern verblasst, bis nur noch ein hohles Gerüst, eine Hülle dasteht, in denen die Dämonen des Hasses, der Angst und der Vergeltung wohnen. Was Europa auszeichnet und es groß gemacht hat, sind mutige Menschen, Menschen mit Ideen, Menschen, die eine wache und kritische Bürgerschaft bilden. Menschen, die sich an der Politik beteiligen und Menschen, die sich nicht mit der erstbesten, einfach erscheinenden Lösung zufriedenstellen lassen. Vielleicht sind diese Menschen immer eine Minderheit gewesen, doch sie waren eine mächtige Gruppe. Sie waren eine mächtige Gruppe. Immer lauter hört man in den Straßen und in den Debatten den Ruf nach Härte und nach Führern, nach der Abwehr alles Fremden. Es wird mehr Repression, mehr Aktionismus gefordert im selbstgerechten Gewissen, dass man zur guten, weißen Seite gehört, die vom Durchgreifen der starken Hand, ob es nun Putins, Bachmanns oder Le Pens sein mag, in jedem Fall profitieren wird. Teile der Öffentlichkeit und der Politik rufen zur friedlichen Beilegung der Konflikte auf, im Wissen, dass die Amerikaner im Zweifelsfall Soldaten, Geheimdienste und Kampfdrohnen haben, auf die man sich verlassen kann, wenn es wirklich brenzlig wird. Davor kann man sich öffentlich von den traditionellen Alliierten distanzieren und ihnen die hohen zivilen Verluste ihrer Einsätze vorwerfen. Über die Unausweichlichkeit des Bluts an den eigenen Händen wird nachgedacht, aber kaum gesprochen. Zu groß die Angst, dass das sorgsam gehütete Trio aus Pazifismus, Frauenrechten und Umweltschutz, das seit den siebziger Jahren gepflegt wird, den Kräften der Gegenwart ausgesetzt werden könnte. Die Tabus der politischen Mitte werden von jenen, die sich mit ihren scheinbar weltrettenden Lösungen zu profilieren suchen, schamlos ausgenutzt. Die, welche aus ihrem Nachdenken mit etwas mehr Mut vielleicht Handlungen für eine langfristige Veränderung der Lage anstoßen könnten, werden je nach Couleur als Landesverräter, Feiglinge oder Rassisten bezeichnet. Doch der Lärm der „Enthüller“ kann nicht verbergen, dass ihre scheinbar visionären Rezepte dumm und plump sind, genauso wie ihre Protagonisten, die sich als Emporkömmlinge einer geistigen Ochlokratie im neuen Rampenlicht sonnen. Wer Marine Le Pen schon sieht, dem sollte eigentlich klar sein, dass von ihr nicht mehr als populistisches Gebell und Schminktipps für Frauen über fünfzig zu erwarten sind. In der deutschen AfD gab es anfänglich möglicherweise eine Denker-Fraktion, die bedacht und ergebnisoffen diskutieren wollte, inzwischen sind ihre Mitglieder jedenfalls dem Pegida-Pöbel gewichen, der sich an seiner eigenen völkischen Genuinität erlabt und sich geistig unabhängig wähnt, während er den Rattenfängern des Nationalsozialismus eifrig hinterhertrabt und eine Rückbesinnung auf alte Werte fordert.

Die Frage ist jedoch, welche Werte man als alt bezeichnen möchte. Es sind sicher nicht die Weihnachtslieder, deren Texte die Demonstranten nicht beherrschen oder das Sauerkraut, das man bei Aldi in der Dose kaufen kann. Nein, eigentlich ist die Rückbesinnung auf die alten, echten Werte gut. Europa ist seit der Neuzeit ein Kontinent der Ideen und der Macher gewesen. Der Humanismus begründete das Vertrauen in den menschlichen Geist zur Lösung von Problemen und die Gewissheit, dass die Fragen der Menschheit nur von ihr selbst beantwortet werden können. In Europa wohnten Menschen, die so frei denken und handeln wollten, dass sie sogar bereit waren, ihr Land zu verlassen und wie die Amerika-Auswanderer ihr Glück dort zu versuchen, wo ihnen die Freiheit größer erscheint. Denen Selbstbestimmung so wichtig ist, dass sie eine Demokratie entwickelt haben, deren Modell aus den USA reimportiert wurde und in seinen Variationen laut Winston Churchill zwar eine schlechte, doch immerhin die beste Staatsform sei, die es gäbe. Eine Staatsform, die nach wie vor nicht fertiggestellt ist. An ihr weiterzubauen, erfordert Besonnenheit und Mut. Und die Bereitschaft zu Leistung und Selbstanspruch. Europa steht an der Wegscheide. Wenn die Dummen gewinnen, wird sich Europa einmauern und geistig stehenbleiben, wenn die letzten Klugen gehen. Die Zahl der Anschläge wird durch mehr Repression und militärischen Krafteinsatz nicht sinken und die Gesellschaft durch mehr Hass gegenüber Nichteuropäern keineswegs wohlhabender und zufriedener werden, im Gegenteil. Dieser Dunkelheit entgegen stehen die positiven Eigenschaften des Menschen, deren Entfaltung im Europa der alten Werte wohl einen kaum zu übertreffenden Stellenwert besitzt. Mit Debatte, Demokratie und Demut, gepaart mit Leistungsbereitschaft und Intelligenz, wird Europa auch die aktuelle Krise meistern. Dabei wird es starke und mutige Anführer brauchen. Wenn Europa klug ist, wird es diese Anführer nach ihren geistigen Fähigkeiten und nicht nach ihrem Willen, Führer zu spielen, wählen, auch nicht nach ihrem Geschick, Tabus zu umgehen. Härte wird sich nicht vermeiden lassen. Ohne Solidarität mit Flüchtlingen und Bündnispartnern wird es ebenfalls nicht funktionieren. Der Berg der Herausforderungen und Widersprüche ist groß. Doch Europa hat die Menschen, die ihn bewältigen können. Wenn sie es wollen.

Images: Mabibo Fire and Anti-Theft Bag

Activities

Fire Station Cleanup,  firefighters nearly burning a tree when disposing of rubbish in fire

Constructing boat trailer, lack of electrodes and power delaying progress

Meeting with manager from Africraft, discussing new products

Farewell dinner for Johanna, a former Fire Department volunteer, going back to Germany after a two week stay in Dar Es Salaam

Attending the opening concert of the Chinese cultural center (traditional Chinese music), snatching three bowls of delicious Chinese food

 Going out to a fire in Mabibo lower class area, communication problems and reduced accessibility lead to delayed arrival, fire already extinguished by inhabitants who had apparently been burning trash inside their house

Nicolaus Day party at our colleagues‘ in Ilala

Designing an anti-theft rucksack prototype for Africraft, yet to be thought over again to improve details

Writing Christmas letters for family and friends at home, first time to go to the power line bar, recommended by Philipp (former volunteer from Magomeni)

 

Mabibo Fire

Breathing apparatus mask
Breathing apparatus mask
Dedicated to GoPro
Dedicated to GoPro
Mabibo fire, Samuel running
Samuel running to the scene
Samuel inspecting site
Samuel inspecting fire scene

 

Africraft

Rucksack front
Rucksack front
Rucksack back
Rucksack back
Africraft front yard
Africraft front yard

Fire Station

Welding boat trailer
Welding boat trailer
Exercise
Exercise
Rescue Team lesson
Rescue Team lesson

G.: Der erste Prototyp

Es ist Sonntag, der 2. Advent. G. ist am Morgen nach der Nikolausparty in Ilala wieder nach Magomeni aufgebrochen, weil er sich mit M. von Africraft treffen wollte. G. ist jetzt nämlich zum Produktdesigner aufgestiegen und gestaltet Recycling-Gegenstände für Africraft, eine NGO zur Unterstützung lokaler Handwerker, mit. Das Ganze verzögerte sich aber und so beschloss G., einen kleinen Mittagsschlaf zu halten. Dann machte er sich ein paar Pfannkuchen (eintönig, dachte er sich, immer dieser fettige Teig, aber leider legendär einfach und so lecker). Überhaupt war ihm gestern in der Nierengegend so eine Speckschicht aufgefallen. Das gehörte wohl auch zum Erwachsenwerden dazu. Die Spargelzeit wäre dann vorbei. Egal, zumindest jetzt.  Zum Essen hörte G. das Album „Das Leben ist grausam“ von den Prinzen, 90er-Jahre pur. G. war sehr zufrieden. Dann wollte er losfahren. Den Schlüssel hätte er bei den Nachbarn deponieren wollen, doch die waren nicht da, sonst hätte er sich auch noch mit A. für einen Kinobesuch verabreden können. Naja, dachte G., dann gebe ich den Schlüssel eben dem Kioskbesitzer, der ist auch vertrauenswürdig. Statt seiner waren aber nur zwei dubiose Aushilfen im Laden. Den Torschlüssel zu verstecken, kam nicht in Frage, da man als Ausländer in einem traditionellen Viertel fast immer beobachtet wird, nicht einmal argwöhnisch, aber in der Öffentlichkeit ist man in Magomeni einfach wirklich öffentlich. Also ging G. wieder ins Haus, packte den Schlüssel in ein Stück Zeitungspapier, nahm noch einige weitere ablenkende Gegenstände (ein Stück Zimtbaumrinde und irgendeine tropische Nuss) und stopfte alles in eine Plastiktüte, die er der Tochter des Schneiders anvertraute und sie bat, das Päckchen Samuel auszuhändigen. Sie versprach es und G. machte sich auf den Weg, verspätet wie immer. Unterwegs dachte er noch nach, ob er den Schlüssel vielleicht in einem Hefebrötchen hätte verstecken sollen, das wäre noch unauffälliger gewesen, aber dann kam er sich paranoid vor. Außerdem musste er sich konzentrieren, um mit seinem Fahrrad nicht überfahren zu werden. Als er schließlich bei Africraft ankam, war M. noch nicht da, aber ein Arbeiter öffnete ihm und G. begann, an seinem Prototyp für den Anti-Diebstahl-Rucksack mit dem Codenamen ATB DSM (Anti-Theft Bag Dar Es Salaam) zu arbeiten. Dazu konnte er auf eine chinesische Industrienähmaschine zurückgreifen, die mit atemberaubender Geschwindigkeit alles zusammennähte, was ihr unter die Nadel kam. Zumindest, wenn der Unterfaden gereicht hätte, den G. wegen seiner Faulheit beim Aufwickeln zweimal tauschen musste. Zwischendurch kam M. und brachte G. Wasser, sie unterhielten sich kurz, dann musst M. wieder los zum Einkaufen. Nach gut drei Stunden war das Behältnis dann fertig. Der Schneider hätte es sicher besser gekonnt, aber G. hatte ja die Idee gehabt und für die Erklärung einzelner Nähte reichte sein Kiswahili doch nicht ganz. Als dann immer mehr Moskitos G. das Leben zusetzten, fotografierte er im Licht der Neonröhre noch sein Werk und brach wieder auf. Der Arbeiter war gerade dabei, auf einem Feuer Ugali (Maisbrei) zu kochen, aber G. hatte richtigen Hunger und keinen, den er mit Stärkemehl stillen wollte.

Sie verabschiedeten sich herzlich voneinander und G. fuhr los. Den ganzen Weg über dachte er darüber nach, wie er den Rucksack optimieren könne, da der Prototyp noch keineswegs marktreif war. Zu viel Produktionsaufwand bei zu wenig Präzision und Funktion sind leider keine Verkaufsargumente. Auf der Kawawa Road hatte er dann die Idee, die Seitenteile des Rucksacks einzeln zu fertigen und durch Nähte zu verbinden, um die Zugänglichkeit zu den einzelnen aufzunähenden Gurten zu verbessern. Andererseits würde das die Gefahr bergen, dass das Material ausfranst, was bei den verwendeten alten Zement- und Reissäcken kritisch ist. Und der Boden wäre schwächer. Aber wie viel schwächer. Über diese Gedanken hätte G. fast einen Bus gerammt. Auf jeden Fall würden sie Gurte brauchen, denn ein Tragesystem ohne Gurte wäre umständlich und böte keine Vorteile. Irgendwann schloss G. die Akte Rucksack in seinem Kopf. Er brauchte noch Mangos, irgendwelche pikanten Mangos zum Abendessen wären definitiv sehr lecker. Und Zucker brauchten sie auch. G. kaufte beides ein. S. war auch schon zu Hause. L. war auch da, zum Wäschewaschen. Mit dem Schlüssel hatte alles funktioniert. G. war insgesamt überrascht, dass S. angesichts der unsicheren Übergabestrategie nichts gesagt hatte. Vielleicht hätte er doch den Schlüssel in dem Brötchen verstecken sollen? Stattdessen aß der das Brötchen mit Kakao als Nachtisch zu seinem Mangogemüse. Dann loggte G. in seinen Blog ein. Der letzte Eintrag war schon fünf Tage her. Himmel, wie die Zeit vergeht. Schon zehn Uhr abends. Morgen würde wieder der Alltag beginnen. Zu dem bald vielleicht mehr Africraft und mehr Prototypen gehören würden.

ATB DSM Frontseite
ATB DSM Frontseite
ATB DSM Rückseite