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G.: Back to work

Mittwoch, der 6. Januar

G. hatte seinen dritten Arbeitstag seit dem Urlaub. Wehmütig dachte er, als um sechs Uhr (oder genaugenommen 6.20 Uhr, aber 6.00 klingt martialischer) der Wecker klingelte, dass in Bayern heute Feiertag wäre. Er stand auf, duschte sich, trank ein Glas Wasser und suchte sein Zeug zusammen, wobei er den Büroschlüssel neben der Kamera vergaß, die er ans Ladegerät ansteckte

Diesen Missstand bemerkte er auf der Feuerwache. Dort half er beim Fahrzeugcheck und stellte fest, dass er wohl im ersten emotionalen Tief seines Aufenthaltes war. Die unqualifizierten Feuerwehrleute gingen ihm an diesem Morgen tierisch auf die Nerven, er konnte kaum lachen, als einer von ihnen versuchte, eine Sauerstoffflasche, auf der noch ein Blindstopfen war, noch dazu in der falschen Drehrichtung an die Rückenplatte des Atemschutzgerätes zu schrauben. Er fragte ihn lediglich leise, um ihn nicht zu demütigen, wie viele Monate er schon hier arbeitete. Ein Jahr, antwortete der Feuerwehrmann leicht unfreundlich. Ob Gs. schlechte Laune damit zu tun hatte, dass er den Büroschlüssel vergessen hatte, also einen absoluten Anfängerfehler gemacht hatte? Mit Sicherheit nicht. Also fuhr G. noch einmal nach Magomeni, holte den Schlüssel, ließ beim Fahrradhändler den Steuersatz seines am Vortag erworbenen Fahrrads festziehen und kehrte auf die Wache zurück. Dort suchte er den Control Room auf, um sich aus einer Abstellkammer einen alten Computer zu beschaffen, der wenigstens im Büro wieder selbständige Rechnerarbeit ermöglichen sollte. Überraschenderweise war der Vorbesitzer des Rechners bereits in Rente gegangen, sodass G. ohne Gegenwehr das Gerät mitnehmen konnte. Als er zur Werkstatt kam, um den Rechner zu testen, sah er, dass einige Techniker im Begriff waren, einen Riss an der Tür des großen Löschfahrzeugs zu schweißen. Nachdem außerdem ein Ersatzfahrzeug auf der Wache bereitstand, sah G. seine Chance gekommen, das defekte Blaulicht zu überprüfen. Als er gerade mit dem passenden Torx-Schraubenzieher ankam, ging der Alarm los.

G. rannte ins Büro und zog sich um. Als er zum Auto kam, hatte sich vor diesem bereits eine Schlange gebildet, da die drei Sitzplätze auf acht Feuerwehrleute verteilt werden müssen. Nachdem aber elf warteten, hatte G. zusammen mit zwei Kollegen das Nachsehen. Voller Zorn machte er sich auf die Suche nach dem Wachleiter, um ihn auf den Missstand anzusprechen. Er traf nur dessen Assistenten an. G. hat ein Problem an seinem Kiswahili bemerkt: Wenn er wütend ist, funktioniert der Nachschub an Vokabeln schlecht. Nach einigem Hin und Her wurde schließlich ein Volunteer (so etwas wie ein Praktikant mit Option auf eine Feuerwehrmann-Karriere) beauftragt, G. mit einem Motorrad an den Einsatzort zu bringen. Dieser war dann tatsächlich spannend, denn es handelte sich um das Hauptquartier der Polizei. Die Angestellten waren bereits in den Hof evakuiert, das Löschfahrzeug stand einsam herum, kein Feuerwehrmann zu sehen. G. rannte in den vierten Stock, wohin man ihn wies. Dort war Rauchgeruch bemerkbar. In einem Serverraum standen die meisten Feuerwehrleute, ein paar Polizisten und ein Techniker auf einer Leiter im Licht einer Handytaschenlampe und blickten sorgenvoll unter die abgenommene Deckenverkleidung, wo sich ein Kabelbrand ereignet hatte, den die Büroarbeiter aber schon vor dem Eintreffen der Feuerwehr gelöscht hatten. G. bat die Polizisten nach draußen, da es schon ziemlich giftig roch. Er fragte seine Kollegen, warum sie keine Atemschutzgeräte und allgemein gar keine Ausrüstung mit nach oben gebracht hatten, während sie alle zuschauen gingen. Er hatte immer noch schlechte Laune. Diese besserte sich, als er sein Handy zückte, um ein paar Schnappschüsse aufzunehmen. Das war immerhin ein Vorteil an seinem langsamen Transport gewesen: Er hatte Zeit, sein Handy zu holen, nachdem die Kamera, die sich in der Brusttasche seiner Einsatzjacke befände, zu Hause am Ladegerät hing. Dann kehrten G. und der Volunteer zur Wache zurück.

Dort angekommen, erzählte M., der Cheftechniker, dass R. aus dem Dogodogo-Center angerufen habe. Sie hätte einen Laptop übrig, wenn G. eine Transportmöglichkeit hätte, könne er ihn abholen. G. rief den Chef der Feuerwachen in Dar es Salaam, I., an und fragte ihn nach einem Auto. I. versprach, eines zu schicken. Kurze Zeit später kam tatsächlich ein Transporter der Wache in Lugalo (Norden von Dar Es Salaam), die allerdings erst von ihrer Mission überzeugt werden mussten. Nach einer Überredung von I. ging es los. Sie warteten noch ewig an einem Laden, wo sie versuchten, unter großem Lärm die Abdeckung der Hupe wieder auf dem Lenkrad zu befestigen, was ihnen auch schließlich gelang. Dann fuhren sie zur Wache in Lugalo, luden das Personal ab und weiter ging es zum Dogodogo-Center, einer Ausbildungsstätte für Straßenkinder. Nach einem Telefongespräch mit B., der dem Fahrer den Weg beschrieben hatte und zehn Minuten Fahrt über eine ländliche Staubpiste kamen sie an. R. begrüßte G. am Tor und gab ihm den Computer. Die Kinder grüßten G. und R. mit der Respektsform „Shikamoo“, was soviel wie „Ich küsse deine Füße“ bedeutet. In dieser Anhäufung und Selbstverständlichkeit hatte G. diesen Gruß noch nicht erlebt. Aber ja, wenn man groß wird, ist man aus der Perspektive von Kindern wohl ein Riese. Ein paar Abkürzungen später erreichten sie wieder die Wache. G. bedankte sich herzlich und bot dem Fahrer Trinken an, dass dieser aber höflich ablehnte. Alsdann machte sich G. auf den Heimweg. Er aß ein Mangomüsli, sicherte endlich seine Bilder und ging joggen. Seine Route führte ihn durch ein abgerissenes Slum in einer Hochwasserzone, in dem die Menschen die gerade die Reste ihrer Häuser zusammensuchen, um wegzuziehen. Das Ausmaß an Umweltverschmutzung durch Müll war erschreckend, die Freundlichkeit der Bewohner dagegen rührend und für G. als Eindringling unerwartet. Dass es sich um eine Hochwasserzone handelte, merkte er, als er trotz geringen Niederschlags ein Stück überfluteten Pfades entlangwaten musste, was er nach längerem Zögern widerwillig tat. Zu Hause angekommen, duschte er gründlich und installierte ein Linux-Betriebssystem auf dem neuen Laptop. Dann begrüßte er S. und dessen Familie, die aus Arusha zurückgekommen waren. Anschließend machte er sich ein Auberginen-Sandwich und packte seine Sachen. Um zwei Uhr zwanzig in der Nacht würde der Fahrer kommen. Zeit, die neue Freiwillige L. vom Flughafen abzuholen.