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G.: Redmond, wir haben ein Problem!

Die digitale Datenspeicherung hat der Welt eine große Möglichkeit beschert: Informationen können faktisch ohne materiellen Aufwand vervielfältigt und verbreitet werden. Das haben auch die deutschen Ausbilder auf der Feuerwache erkannt und seit einigen Jahren erhalten die von ihnen ausgebildeten tansanischen Instruktoren Laptops mit dem benötigten Unterrichtsmaterial, die diese auch privat benutzen können, um sich mit wechselndem Erfolg und nach persönlichem Bildungsstand mit dem Internet zu vernetzen. Nachdem G. nun von zu Hause einen Rechner erhalten hatte, war sein Ersatzrechner aus den Beständen der Hamburger Stadtverwaltung überflüssig und sollte für einen solchen Zweck verwendet werden. Nun hatte G. allerdings bereits eine Linux-Distribution auf dem Rechner installiert, alle Software gratis, anpassbar und sicher. Aber kein Problem, neue Linux-Installation, anderes Festplatten-Passwort, ein paar Zusatzprogramme und fertig für den Anwender, einen Inspektor der Feuerwache.
Doch es gab ein Problem, auf das R. G. hinwies. Kein Mensch will Linux haben. Der flächendeckende Standard ist Windows, oft in den Versionen abwärts von sieben. Ein paar DJs und die Oberschicht verwenden Apple, das war es. Linux existiert in der Nerd-Community des Fablab, in der freien Wildbahn sucht man es so vergeblich wie einen Kaktus am Südpol. G. protestierte und ließ den Inspektor entscheiden. Beim Wort Linux schaute ihn dieser an, als habe er ihm gerade auf Fränkisch die Bestandteile eines Elisenlebkuchens erläutert. Keine Chance, dass er schon einmal von der Betriebssystem-Plattform gehört hatte. Beim Wort Windows zauberte sich dagegen ein dankbares Lächeln auf das Gesicht des Feuerwehrmanns und die Sache war entschieden.
R. drückte G. eine Windows-7-Installations-DVD in die Hand. G. steckte eine Festplatte an, sicherte seine Daten, überschrieb die Festplatte und startete die Installation des Software-Dinosauriers. Keine Auswahl des Dateisystems, 32-bit-Betriebssystem auf einem 64-bit-Rechner, keine Verschlüsselungsoptionen, kein Office-Paket. Am Ende gab es dann zur Belohnung ein hässlich animiertes florales Motiv als Hintergrundbild, gemeinsam mit der halbtransparenten Optik in Baby-Blau, die so aussieht, als habe man ein Foto von einer Einbauküche abstrahiert und dann mit einer GoPro im Swimmingpool abfotografiert. G. war also nicht wirklich mit dem Ausgang zufrieden. Im Gespräch mit seinem Kollegen S. lobte G. immerhin die Bedienbarkeit des Systems. Die findet er zwar schlecht, aber das ist auch Gewöhnungssache und außerdem ist es wohl kein Wunder, dass tausende von überbezahlten Ingenieuren irgendwie eine halbwegs verwendbare Benutzeroberfläche hinbekommen.
Egal, Open Office und VLC-Mediaplayer verwandelten das Ganze dann doch in ein verwendbares Gerät. Als einzige Schikane baute G. einen separaten Administrator-Account ein, damit nicht gleich der erste Virus das komplette System lahmlegen würde.

*Anmerkung des Autors: Hier ist der noch halbwegs deskriptive Teil des Textes zu Ende. Wer weiterliest, wird einer globalisierungskritischen und Microsoft-feindlichen Tirade Gs. ausgesetzt.*

Der Computer hat die Menschheit vorangebracht. Richtig angewendet, kann man digitale Datenverarbeitung bedingungslos als Fortschritt bezeichnen. Doch wie bei jedem Fortschritt ist es auch beim Computer so, dass diejenigen am meisten davon profitieren, die das größte Wissen besitzen. G. ist wahrscheinlich ein Nerd, aber er kann Gegenstände in 3D drucken, er kann kleinere Systemprobleme durch geeignete Kommando-Eingaben beheben und weiß, wie man ein Daten-Backup erstellt. Ok, kann man anfügen, muss er auch wissen, wenn er schon so blöd ist, Linux zu benutzen. Da lebt es sich für viele Mitmenschen doch besser mit dem seit drei Jahren nicht aktualisierten Windows-Betriebssystem und dem neuesten Smartphone, mit dem man 20-Megapixel-Whatsapp-Bilder von seinem zerbröckelten Geburtstagskuchen verschicken kann. Sie machen sich keine digitalen Sorgen und haben folglich auch keine, zumindest, bis sie einen APN einrichten müssen oder ihre Festplatte nach dem fünften Sturz kaputt ist, ohne Backup. Aber dann rennen sie in einen von irgendwelchen Immigranten betriebenen Elektronikladen und lassen das machen. Große Teile der Angehörigen dieser
Benutzergruppe kommen aus sozialen Milieus mit speziellen Herausforderungen, herkömmlich auch als Unterschicht bezeichnet. Oder sie kommen aus der digitalen Unterschicht, Generation 40+. An dieser Stelle könnte man ein Streitgespräch über die Durchlässigkeit sozialer Schichten in Deutschland anfügen und ob es gerecht ist, dass G. aufgrund seiner guten Ausbildung ein kostenfreies und allgemein zugängliches Linux-System benutzen darf. Und ob man die älteren Menschen verurteilen kann, weil sie keine Ahnung von diesem neuen Zeug haben. Auch wenn dieses Streitgespräch wegen Uferlosigkeit auslässt, kann man doch konstatieren, dass die meisten Menschen in Deutschland relativ guten Zugang zu digitalen Ressourcen besitzen. Weiterhin kann man feststellen, dass sie angesichts der massenhaft und teilweise kostenfrei zur Verfügung stehenden Bildungsangeboten tatsächlich recht einfach die Möglichkeit hätten, digitale Arbeitsgänge zu erlernen. Zudem stellt der Internetzugang in der sozialen Grundsicherung faktisch ein Grundbedürfnis dar.

Das ist in Tansania nicht so. Eine soziale Grundsicherung gibt es nicht. Und ein Recht auf Internetzugang schon gar nicht. Die Bildungslandschaft ist eine Katastrophe und der Staat ist zerfressen von den Interessen nationaler und internationaler Unternehmen, die sich mit Korruption und Vetternwirtschaft eine goldene Nase verdienen. Kein schönes Feld also für eine bürgerrechtsorientierte, individualistische, akademische Bewegung, aus der auch die Idee für Software wie Linux hervorgebracht wurde. An dieser Stelle kann man hinterfragen, ob Individualismus und die tansanische Kultur überhaupt zueinanderpassen. Bevor das getan wird, fragt G. lieber: Welche tansanische Kultur? Die der von Kolonialismus, Revolution und Kapitalismus zerrütteten Gesellschaft? Die der vom Tourismus korrumpierten Massai? Oder die der reaktionär-islamistischen Splittergruppen Sansibars, die gerne nach der Scharia leben würden? Individualismus als Motor für gesellschaftliches Bewusstsein wird in Tansania dringend benötigt. Insbesondere digital, denn das Internet ist in Ländern, wo die nächste Bibliothek oft geographisch unerreichbar und veraltet ist, eine essentielle Bildungsquelle. Insgesamt vermutet G., dass Tansania im Bereich der Internet-Infrastruktur, Datensicherheit und Software-Innovation im Allgemeinen um mindestens zehn Jahre hinter dem Westen liegt. Und hier kommen Unternehmen wie Microsoft ins Spiel. Auch im Westen bombardiert das Unternehmen den Markt mit schrottigen Anwendungen, Dumping-Lizenzen und Software, die die Benutzer gläsern macht. Allerdings gibt es Kundenschützer und Gerichte, die den Konzern zu schmerzhaften Strafen verurteilen, wenn er z.B. bestimmte Quellcodes den Drittentwicklern absichtlich nicht offenlegt, um sie vom Markt fernzuhalten. In Tansania geschieht eine solche Überwachung durch Staat und Öffentlichkeit faktisch nicht. Und so entsteht wie auf vielen Gebieten eine Vernachlässigung und Ausbeutung des globalen Südens durch die Wirtschaft, weil niemand da ist, grundlegende Rechte einzufordern. Das bedingt im digitalen Bereich eine problematische Kette.
Welcher Computer hält in Tansania die klimatischen Strapazen lange durch? Wenige. Wer kann sich in Tansania einen fabrikneuen Computer mit der OEM-Installation des Windows-Betriebssystems leisten? Kaum jemand. Wer macht sich die Mühe, für jeden seiner klapprigen Rechner alle proprietären Lizenzen beim inexistenten Windows-Store für ein halbes Jahresgehalt nachzukaufen? Absolut gar keiner.
Verständlich also, dass es auf dem tansanischen Elektronikmarkt faktisch nur B-Ware oder veraltete Produkte gibt. Die Software wird grundlegend raubkopiert und ist ebenfalls veraltet, was Konzerne wie Microsoft wegen ausbleibender Gewinne nicht zu Investitionen in diesen Markt lockt, den sie trotzdem wegen der Firmenkunden und der Hoffnung auf zukünftiges Wachstum nicht aus der Hand geben wollen. Marktwirtschaftlich ist dies verständlich, technologisch ist es fatal. Denn in die Nische alter Hardware und fehlender Mittel könnte Linux optimal einsteigen. Es könnte nur eben keine Gewinne erzielen, höchstens für die lokale Bevölkerung. Es gibt Distributionen, die selbst auf Rechnern vom Ende der 90er-Jahre laufen und trotzdem benutzbar sind und mit denen man im Industriestandard ODF verwertbare Dokumente erstellen sowie im Internet surfen kann. Sogar die ärmsten Anwender hätten die Möglichkeit, mit einem USB-Stick und einer Live-CD einen mit anderen geteilten Rechner autonom zu betreiben. Dazu fehlt aber das Wissen in der Bevölkerung und die Bereitschaft einer mächtigen Firma, einen Markt, den sie mit ihren Mitteln nicht bespielen kann, zu räumen. Das interessiert die Manager in Redmond kaum, aber es sollte gesagt werden. Linux is waiting around the corner. Und G. wird einiges daran setzen, dass es auf die neuen alten Rechner eines ihm bekannten, lokalen Jugendzentrums kommt, wenn sie aus Deutschland eintreffen. Redmond, der Kampf hat begonnen. Dein Don Quijote.

Images: Mbagala Fire

Fire at a house in Mbagala area

Quickly setting out after alert

Public address system and rather disciplined behaviour of other drivers letting the firefighters advance rather quickly

Due to 15km distance from the fire station to the scene 25 minutes delay from alarm to arrival

Fire already put out on arrival

Assisting in cooling the affected part of the building

Inspecting
Inspecting
Putting out the last flames
Putting out the last flames
Policeman guarding the scene
Policeman guarding the scene
Helmets
Helmets
Neighbours watching
Neighbours watching

Images: Rescue Team Standby – Simba vs. Yanga

Technical problems with fire engine on the way to the stadium

Facing trouble evacuating ca. 13 people from different incidents during the second half as resuce staff consist of only four firefighters

Result: Simba vs. Yanga – 0:2

On the way to the stadium
On the way to the stadium
Rescue equipment
Rescue equipment
Full ranks
Full ranks
Players entering the stadium
Players entering the stadium
Watching
Watching
Cheering Yanga supporters
Cheering Yanga supporters
External press image - Evacuating a patient over the divide between the field and the ranks
External press image – Evacuating a patient over the divide between the field and the ranks
Leaving the stadium
Leaving the stadium

G.: In den Medien

Am 21. Februar erwachte die Mitglieder der WG in Magomeni zu lokaler Bekanntheit. Sie waren im Fernsehen. Gs. Kollegin L. übermittelte ihm, dass er Verehrerinnen hätte und ein Nachbar hielt mit seinem Auto neben G. an und gratulierte ihm.
Das kam so: G. und S. hatten sich angemeldet, um am Standby der Fire und Rescue Force zum großen Derby Simba gegen Yanga teilzunehmen. Simba und Yanga sind die größten tansanischen Fußballmannschaften, entsprechend war der zu erwartende Andrang. G. war gespannt, Yanga zu sehen, denn er kannte das Team noch nicht und an diesem Tag würde sich die Wahl aller Wahlen ihrem Ausgang nähern, welches Team er unterstützen solle. In Dar gibt es daneben noch das Azam-Team, aber es gehört einem großen Konzern und ist daher für G. schon von Anfang an indiskutabel gewesen. Auf dem Weg zum Stadion blieb das Feuerwehrauto wegen verstopften Kraftstofffilters zweimal liegen, doch schließlich kam das Rescue Team mit Schlepphilfe von der Wache Temeke auf dem Gelände an. Sie trugen ihre Ausrüstung an den Spielfeldrand. Dann baute sich G. einen provisorischen Stuhl aus Stadionsitzen und aß erst einmal zu Mittag. In der Menge entdeckte er mit seinem Kollegen T. noch dessen Mitfreiwillige, die ihnen zuwinkten. Das Stadion füllte sich stetig, sodass sich bei Anpfiff annähernd 60.000 Menschen versammelt hatten, die eine beeindruckende Kulisse für den Kampf der Giganten bildeten. G. war ein bisschen nervös, denn eine solche Menschenmenge bildet ein hohes statistisches Potential für Zwischenfälle. Doch zunächst war alles ruhig. Die Zuschauer waren ausgeruht und es fiel kein Tor.

Dann wurde nach einem schweren Foul ein Spieler der Simba vom Platz gestellt und kurz vor Ende der ersten Halbzeit ging Yanga mit 1:0 in Führung. Riesiger Jubel brandete auf. Dabei fiel ein Yanga-Fan in den Graben zwischen Rängen und Spielfeld, den chinesische Ingenieure neben den fehlenden Rettungsgassen und verrostender technischer Ausrüstung dem Stadion als Signatur fernöstlicher Wertarbeit mitgegeben haben. Als G., S. und T. eintrafen, war der Zuschauer noch bewusstlos, erwachte aber bald und wurde mit Hilfe der Scouts zum Krankenwagen getragen. G. und T. wurden gleich zum nächsten Einsatz gerufen, weil eine Frau im Yanga-Block ohnmächtig geworden war. Sie war aber schon wieder zu sich gekommen, als G. und T. von der Seite des Blocks zu ihr vorgedrungen waren, sodass sie zum Spielfeld zurückkehren konnten, was sich angesichts der Zuschauer, die auf das Spiel fokussiert waren, als etwas mühselig erwies. G. hatte sich auf die Bilder gefreut, die er während des Spiels aufnehmen würde. Dazu kam er ab dem ersten Einsatz nicht mehr. Zurück am Spielfeld war er kurz alleine, als er von Scouts zu einem neuen Einsatz außerhalb des Stadions gerufen wurde. Mit Trage, Stiefeln und Rucksack zu rennen, erwies sich insgesamt als anstrengend, was auch erklärte, dass G. in dieser Nacht gut schlief. Während die Patientin mit Krampfanfall stabilisiert wurde und S. und T., der nach der Alarmierung der Ambulanz ein wenig außer Atem war, auf das Eintreffen dieser warteten, stellte sich G. wieder in Bereitschaft. Insgesamt gerieten die Helfer immer mehr in zeitlichen Verzug, da die Einsatzstellen oft schwer zu erreichen waren und sie personell völlig unzureichend ausgestattet waren. Zudem hatten sie keine Funkgeräte, was die Kommunikation erheblich erschwerte, sodass sie faktisch auf Sichtkontakt angewiesen waren oder von Zuschauern zu ihren Kollegen geleitet wurden. Ein Stadion-Steward rief G. zu einem neuen Einsatz im Yanga-Block, wo wieder eine ohnmächtige Person evakuiert werden sollte. G. reichte seine Schleifkorbtrage über den Graben und ließ eine Leiter holen, um den Graben zu überbrücken. Mit Gesten zeigte er den Zuschauern, dass sie die Patientin auf der Schleifkorbtrage (faktisch eine Kunststoffwanne, praktisch für die Rettung in unwegsamen Bereichen) festschnallen sollten und dass sie sie mit Füßen zuerst über die Leiter bugsieren sollten. Quälend lange hing die Trage über dem Abgrund, doch dank vieler helfender Hände kam die Frau sicher auf die Aschenbahn und wurde in Richtung Ambulanz davongetragen. Ein Pressefoto zeigte G. später in voller Konzentration beim Transport der Trage.

Die ganze Prozedur wiederholte sich später noch einmal, dabei waren immer die Scouts eine große Hilfe, die als erste vor Ort waren und sich im Gegensatz zu den Polizisten nicht zu fein waren, mit Hand anzulegen. Mit den Polizisten wurde G. kurz ärgerlich, als sie wieder einmal im Weg standen und nicht die Trage anfassen wollten, um sie quer durch das Stadion zu einem Einsatz zu bringen. Er brüllte: „Seid ihr Kinder oder Soldaten?“, was die Polizisten nicht besonders amüsierte, aber dafür Gs. tansanischen Kollegen P. sehr freute. Kein unbedingt kluger Vorstoß, aber ein Ventil für den Druck, dem sich das Rescue Team angesichts der personellen Überforderung ausgesetzt sah. Es folgten noch einige bewusstlose Personen. Ohne die Mithilfe der Zuschauer und Scouts sowie ihrer Ausbilders H. hätten die Ersthelfer die Einsätze nicht bewältigen können. Am Ende gab es noch einen Einsatz auf der obersten Tribüne. S. und T. rannten außenherum, während G. die Leiter organisierte. Es war ein bisschen wie Bergsteigen. Die Zuschauer wollten die Person auf der Trage zunächst fast senkrecht nach unten über die Leiter ablassen, weil sie das Prinzip im Graben gesehen hatten. Das war aber zu gefährlich und ein Unfall wäre auch für die Außenwirkung der Feuerwehr fatal gewesen. Durch Ts. Überzeugungsarbeit trugen sie den Patienten aber über eine Fluchttreppe nach draußen. Das Spiel war zu Ende, G. wies die Helfer an, die Leiter zu den Krankenwagen zurückzubringen und hatte zum ersten Mal Zeit, von oben den Blick auf das sich leerende Stadion zu genießen und drei Bilder zu machen. Dann ging er zum Spielfeld zurück, sie sammelten ihre Ausrüstung ein, die trotz der zahlreichen Einsätze noch vollständig war bis auf die Handschuhe, die sie verschlissen hatten. Der Dieselfilter war gereinigt worden. Sie fuhren zurück zur Feuerwache, vorbei an feiernden Yanga-Fans. Yanga hatte 2:0 gewonnen. G. ist jetzt Yanga-Fan. Eigentlich spielt es keine Rolle, aber er mag das Yanga-Grüngelb lieber als das Simba-Rotweiß. Außerdem hat er den unfairen Simba-Spieler nach seiner Notbremse moralisch geächtet. Als Ausgleich für den anstrengenden Tag wartete eine Pizza in Dar es Salaams höchstem Restaurant mit Blick auf das Geschäftsviertel Posta. G. hatte eine gute Unterhaltung mit F., die ihm versprach, seinen englischen Text für die Open-Stage-Veranstaltung im Goethe-Institut gegenzulesen. Die Heimfahrt durch die einsame Senke am Jangwani-River war die letzte Herausforderung des Tages, doch kein Räuber war da. Morgen würde es zum Segeln gehen. Keine schlechte Aussicht. G. war im Fernsehen gewesen. Alle hatten die Weißen gesehen, die nicht nur große Geländewagen fuhren, sondern rannten, schwitzten und Hand anlegten. Zufrieden schlief er ein.

Gedicht

Der Schriftsteller in den Tropen

Ein Ventilator rauscht an der Decke
Licht flackert, Spannungsschwankung
Erst hell, dann dunkel
Und der Bildschirm blickt ins Gesicht des Verwirrten
Der geblendet im Menu
Den Bildschirm nachjustiert
Das Internet hat Notstrom
Laptop-Akku voll
Er hat alle Zeit der Welt
Und weiß nicht, was er schreiben soll.
Ruft lieber E-mails ab.
Und eine alte Freundin schreibt aus einer alten Welt,
dass vieles sich verändert und manches sich verhält,
wie er es kannte, als er aufbrach,
das Fürchten zu lernen,
Wo man es noch lernen mag.
Jetzt schwitzt er, denkt nach und schreibt eine Antwort.
Auf eine andere Mail, die freilich auch schon lange lag.
Er schwitzt und Wasser rinnt von seiner Haut, darin gelöst Insektenspray
Mit 50% DEET, das er aufgetragen hatte, um mit seinem digitalen Arbeitsblatt
Zur Straße hinzugehen
Und mit den Blicken einzufangen
Deren Gesichter, die an der Kasse stehen,
Ihm jeden Tag ein, zwei Bananen und das obligatorische Brot aus Sansibar,
Verkaufen und nun müde von der Arbeit, am Straßenrand nach Hause laufen.
Doch der Schreibende,
Besinnt sich und weiß,
Dass man nicht mit sich trägt,
Den Lohn eines Mannes,
Den dieser im Jahr zusammenträgt,
Nur um Briefe zu schreiben und Ylvis zu hören.
Und er sitzt im Haus und die Lampe ist hell und wird wieder dunkel.
Der Ventilator ist leise. Die Spannung ist niedrig und der Ausfallzähler zeigt sechs Minuten für diesen Tag.
Und der Schreibende legt den Rechner beiseite, für diesmal genügt es.
Will schlafen bis morgen und ist schon voller Pläne für den Text, der dann wohl entstehen mag.

Kommentar: Perspektiven einnehmen

Ein Bild aus Afrika. Ein armes Kind irgenwo auf einer Straße. Es sieht hungrig aus, verschwommen sieht man ärmliche Hütten im Hintergrund. Das Kind hat keinen Namen. Es ist nur ein Symbol für eine Erwartung an einen Kontinent, den sich die Berichterstattung zu bemühen erfüllt. Dabei nimmt die auf einen ungeschriebenen Standard reduzierte symbolhafte Darstellung von Hunger, Armut und Leid auch eine vergleichende Perspektive ein. Seht, wie gut es uns geht. Seht, wie viel besser wir sind, die diese Probleme schon längst nicht mehr haben. Seht, wie westliche Großkonzerne den globalen Süden zu Grunde richten. Die Botschaften können je nach Bedarf und Zweck verändert werden. Grundkomponente ist immer die Feststellung eines Wohlstandsunterschieds zwischen „ihnen“ und „uns“, kombiniert mit einer Botschaft, die sich meistens aus dem Pool Spendenaufruf, Globalisierungskritik oder Entwicklungsarbeit speist. Gleichzeitig suggeriert das Bild mit einem Menschen „von der Straße“ hohe Authentizität und Objektivität. So sieht es da aus. Tatsächlich ist inhaltlich auf diesen Bildern meist nicht viel zu sehen, es werden vielmehr Allgemeinplätze aufgerufen, die unabhängig von den Bildern existieren. Im Prinzip könnte der Fotograf auch „Afrika – Armut“ auf ein Blatt Papier schreiben, nur dass Bilder von Menschen eine stärkere emotionale Wirkung entfalten.
Über Allgemeinplätze, Klischees und Vorurteile ist viel gesagt und geschrieben worden. Ein weiterer Aspekt der Diskussion, der weitaus seltener Beachtung findet, ist dagegen die Frage nach der Perspektive, die jeder Bericht einnimmt. Egal ob für die Berliner TAZ, die Bild oder ein Infoblatt der Caritas, kein Bericht ist ohne Standpunkt. Dies gilt insbesondere für die Berichterstattung über andere Kulturkreise. Dabei eint alle, von den Erzkonservativen bis zu den linken Fundamentalisten, ihre westliche Perspektive. Sie alle schaffen aus ihrer Sicht ein Dokument von hohem Wahrheitsgehalt, geschaffen nach ihrem genuinen Werte- und Wahrnehmungssystem. Dieses Wahrnehmungssystem ist meistens aber keineswegs kompatibel mit der Realität, über die berichtet wird. Und so schafft jeder Bericht trotz der hohen Ansprüche seiner Autoren ein Zerrbild, das von einer bestimmten wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Warte aus eine spezielle Perspektive darstellt. Der Mensch ist durch Globalisierung und internationalen Austausch kein omnikulturelles Wesen geworden.
Jeder Bericht nimmt Perspektiven ein, besitzt also einen Darstellungsfehler, ganz gleich, ob er mit dem Ziel geschaffen wurde, interkulturelles Verständnis zu schaffen oder zu dokumentieren, „wie es da ist“.
Doch ist dies nicht grundlegend schlimm, denn auch aus dem verzerrten Bild einer Action-Kamera können mit der richtigen Software wertvolle Informationen entnommen werden. Vielmehr kommt es darauf an, dass es gelingt, Perspektiven zu identifizieren und dass auch die Berichterstatter ehrlich zu ihren Perspektiven stehen. Nicht immer ist das einfach, denn kaum ein Bild-Reporter wird schreiben, dass sein Artikel Klischees über ein bestimmtes Land bestätigen soll, um die Erwartung einer bestimmten Leserschaft zu erfüllen. Wenige Fotografen werden ihre Reportagen mit dem Slogan „Serengeti! Exotische Bilder für den Kleinbürger“ anpreisen, selbst wenn das die inhaltliche Leitlinie und das wirtschaftliche Konzept der Reportage sein sollte. Es sind also auch die Konsumentinnen und Konsumenten von Berichten gefragt und gerade jenen, die beanspruchen, „nur“ zu dokumentieren. Sie müssen beobachten, was der Bericht ihnen zeigt und sich besonders dafür interesssieren, was er ihnen nicht zeigt, ob in Worten oder Bildern. Dies kann geschehen, indem man seine Quellen diversifiziert. In der Welt, die immer mehr zusammenwächst, kann dies aber auch gut bedeuten, selbst einmal nachzusehen, hinzufahren, nachzufragen. Denn in unserer westlichen Demokratie sollten Perspektiven und ihre Interpretation kein Privileg sein. Vielmehr hat jede und jeder das Recht auf eine eigene. Diese kann dann mit denen der anderen verglichen werden und jeder wird für sich selbst entscheiden, wie er auf die Welt blickt. Die absolute Wahrheit gibt es nicht. Doch wenn wir uns unserer Blickwinkel bewusst werden, andere Blickwinkel hinterfragen und vielleicht sogar selbst einnehmen können, kommen wir ihr ein Stück näher.

Dieser Kommentar ist das Vorwort zu einer Reportage-Reihe, die sich mit dem Alltag in Dar es Salaam und der Arbeit im System dieser Großstadt beschäftigt.

Images: Dar es Salaam seaport

The port of Dar es Salaam is the third-largest in East Africa, ranking after Mombasa and Maputo. During a meeting with the seaport fire service commander we had the possibility to take pictures in the security zone where access and documentation is strictly regulated.

P1090689
Inspecting fire engine
Control room
Control room
Petrol station
Petrol station
Crossroads
Crossroads
Freight yard
Freight yard
Staff
Staff

Images: Tazara and Tanzania Railways

Tanzania Railways Corporation and Tanzania Zambia Railway are state-owned railway operators. Therefore it proved difficult taking pictures on their premises. After some negotiations I was allowed to photograph abandoned locomotives and the Tazara main building. A better photographer’s permit may be obtained next week. Hopefully these images will be the preview to a series to follow.

Tanzania Railways

TRC I
TRC I
TRC II
TRC II
TRC III
TRC III

Tazara Building

Tazara I
Tazara I
Tazara II
Tazara II
Tazara III
Tazara III
Tazara IV
Tazara IV
Tazara V
Tazara V
Tazara VI
Tazara VI

Images: Wednesday

Basic Firefighting Training

Lessons being held in the main hall
Lessons being held in the main hall
After the exercise
After the exercise
Pump operator
Pump operator
Mist
Mist
Boat trailer - First Mission
Boat trailer – First Mission
Setting off to Kawe Beach
Setting off to Kawe Beach
Breathing apparatus games
Breathing apparatus games
Exhausted 1
Exhausted 1
Exhausted 2
Exhausted 2

Nightly build: Bag for my new camera

P1090281
The tailor’s workshop
The product
The product

G.: Transit

Es war Montag, der 8. Februar 2016, als G. sich aufmachte, das Ghetto zu verlassen. Er stieg auf sein Fahrrad und fuhr immer nach Norden, bis die Häuser wieder größer wurden. Es roch nach Meer. Vor einem großen Tor hielt G. an. Der Wächter sagte ihm, dies sei der Segelclub. Menschen wie G. könnten hier Arbeit finden, denn die Schiffe hungerten nach jungen Menschen aus dem Ghetto, die sie putzten und ihren Besitzern Steaks brieten. G. willigte ein, denn er war des Fahrens müde geworden. Ein Mann kam herbei, der Gs. Sprache kannte und ihn anwies, ihm auf dem Schiff zur Hand zu gehen. Sie setzten sich in eine Nussschale aus Aluminium. Nach einer schier endlosen Reise kamen sie am Schiff des Mannes an. Woran dieser es erkannte, wusste G. nicht, denn in der schier unendlichen Masse der Plastikrümpfe hob es sich nicht merklich ab. Der Mann kletterte an Bord und bedeutete G., es ihm gleich zu tun. Dann zeigte er ihm seine Arbeit. Er würde ein Segel, das nicht vom Mast herabwollte, lösen müssen. G. sollte dazu die Winsch bedienen. Er warnte G.: Das Boot kommt heute nur noch einmal vorbei, wir müssen es bis dahin schaffen. G. kurbelte und kurbelte, doch das Segel wollte nicht herab. Erst als sich das Boot bereits näherte, hatten G. und der Mann das Segel auf dem Deck zusammengefaltet und mit einer Schnur zusammengebunden. Der Mann rief dem Bootsmann zu, anzulegen. Doch die Wellen waren stark. Das Boot stieß an das Schiff des Mannes. „Steigt ein!“, rief der Bootsführer. G. und der Mann zögerten, denn das Segel war groß. Und schon fuhr das Boot weiter. Der Mann legte sich in seine Koje und G. bettete sein Haupt auf dem zusammengerollten Segel. Es war eine wolkige Nacht mit viel Wind. Am Morgen fror es G. ein wenig. Das erste Boot hatte mehr Zeit. Auf dem Weg zurück in seine Gegend wurde G. wieder warm, denn er fuhr, so schnell er konnte. Niemand sollte sehen, dass er das Ghetto verlassen hatte. Auf der Arbeit erschien er gerade noch rechtzeitig. Warum er so abgehetzt sei? Er habe einen Platten gehabt. Das Stück Segeltuch, welches er aus dem Segelverein mitgenommen hatte, stopfte er ganz unten in das Arbeitsregal. Keinen Neid riskieren. Demnächst würde er eine neue Tasche haben.