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G.: Ni hao?

G. joggte die Ali Hassan Mwinyii Road entlang, als ihm ein Einfahrtstor im Pagodenstil auffiel. Auf einem Torpfosten klebte ein Plakat, welches ein Konzert anlässlich der Eröffnung des chinesischen Kulturzentrums in Dar es Salaam bewarb. Schön, dachte sich G., endlich einmal wieder Live-Musik, zu der man nicht tanzen muss oder die von benachteiligten Kindern vorgetragen wird. Er merkte sich das Datum und die Organisation und lief weiter. Er erzählte Freunden vom Konzert und man war einig, dass es sicher spannend wäre. Die Schwierigkeit, die G. nun hatte, war allerdings, dass sich das Konzert nirgendwo im Internet, weder auf Facebook noch auf der Seite der chinesischen Botschaft, finden ließ. Auch das Kulturzentrum war digital unauffindbar, was ja nicht schlimm war, offiziell existierte es ja noch gar nicht. Und so kam es, dass S. am Tag des Konzerts G. fragte, ob er denn schon die Details zum Konzert habe, es kämen noch zwei Bekannte mit. So fuhr G. wieder zum Pagodentor und siehe da, es war offen. Allerdings nicht für G., denn an jedem Pfosten war ein grimmig blickender tansanischer Wachmann mit chinesischer Fahne, chinesischem Kevlar-Helm und chinesischer Splitterschutzweste postiert (Anmerkung des Autors: Hier kommen antichinesische Vorurteile zum Ausdruck, dahingehend, dass zahlreiche chinesische Militärprodukte von minderer Qualität sind). G. erhaschte die Aufmerksamkeit eines chinesischen Funktionärs, der aus dem Gebäude kam. Dieser sprach zwar nur Chinesisch und Kiswahili, doch die Verständigung reichte immerhin so weit, dass er seinen tansanischen Assistenten holte, den G. nach dem Konzert fragte. Dieser teilte ihm den Kartenpreis und den Ort mit. Auf Anfrage bot er G. noch einen Kontakt für Rückfragen an. Dann ging er wieder ins Gebäude. Nach kurzer Zeit kam eine chinesische Funktionärin heraus, die G. freundlich begrüßte und in sehr gutem Englisch nach seinem Begehr fragte. Nach kurzem Gespräch bot sie G. vier Freikarten für das Konzert an, die er gerne mitnahm. Zufrieden fuhr er zur Feuerwache zurück.

Das Konzert selbst war in Gs. Augen eine spannende Mischung aus Tansania und China. Das Kammerorchester der Verbotenen Stadt spielte im Theater des Nationalmuseums traditionelle chinesische Stücke aus allen Landesteilen. Die Musik war allerdings teilweise nur an traditionelle Weisen angelehnt und in der Blütezeit des Kommunismus komponiert, was G. in der Melodieführung bemerkbar schien. Dazwischen gelang es einem tansanischen Ansager immer wieder, die von manchen Stücken aufgebaute andächtige Stimmung zu vertreiben, indem er viel zu laut und mit schlechten Gags und hängenden Pointen ein Publikum begeistern wollte, das wohl eher einen ruhigen Expat-Abend mit heimischer Musik erleben wollte (90% der Besucher waren nach Gs. Schätzung chinesisch oder chinesischstämmig, dazwischen ein junger Belgier, der sich augenscheinlich sehr um die Gunst der Funktionärin aus dem Kulturzentrum bemühte).

Am Ende spielte das Orchester noch ein tansanisches Volkslied. Dann wurde großer Applaus gespendet, der Direktor des Kulturzentrums stellte sich mit weiteren Funktionären für ein Gruppenfoto auf. Das Publikum ging nach draußen. G. und seine Freunde ergatterten noch drei Boxen mit wirklich fantastischem chinesischen Essen, das sie, nach tansanischer Tradition mit gemeinsamer Schüssel in der Mitte, zufrieden im Park des Museums verspeisten.

G. war zufrieden mit dem Abend. Kein Facebook hatte das Programm, das Menü und die Gesprächsthemen vorhergesagt. Ein wenig Fahrradfahren, freundliche Worte und ein bisschen Glück können manchmal doch genug sein. Zumindest in Dar es Salaam, aber das ist ja auch dritte Welt.

G.: Eintags-Odyssee

G. steht um 06.00 Uhr auf, als sein Wecker klingelt. Er macht Zimtpfannkuchen, dann geht es los zur Feuerwache. Heute würde G. mit Tauchen dran sein, zum ersten Mal in seinem jungen Leben. Mit dem Feuerwehrauto an den Strand nördlich von Posta, Dhaus dümpeln im seichten Wasser, kurzes Warten auf das Polizeiboot, das die Taucher abholen wird. Einladen, auftanken, dann Abfahrt. Unterwegs stellen die Polizisten zwei illegale Fischerboote. Zunächst sieht es so aus, als gäbe es keinen Ausweg und sie müssten wegen Fischens bzw. Motorgebrauch in einem Naturschutzgebiet sofort versenkt werden. Schließlich müssen die Fischer einen Teil ihrer Beute an die Polizisten abgeben, darunter einen großen Tintenfisch. Dann geht es weiter zur Insel Inner Sinda. Bei Ebbe legt das Schlauchboot an einem wunderbaren, weißen, weichen Strandwall an. Das Material wird an Land gebracht. G. darf sich Flossen aussuchen und legt ein Tauchgerät an. Minuten später dümpelt er im glasklaren Wasser. Schade, dass der Druckausgleich nur auf seinem linken Ohr funktioniert, aber auch das Paradies muss Macken haben. Am Strand liest er anschließend die Neue Zürcher Zeitung auf seinem Smartphone und treibt noch ein bisschen auf dem Rücken im erstaunlich kühlen, erfrischenden Meer herum. Er hat sich eingecremt, einen Sonnenbrand bekommt er natürlich trotzdem. Zum Aufbruch gibt es gegrillten Tintenfisch. Es ist Fisch, der mit den Lachsen aus der Reuse von Gs. norwegischer Großtante konkurrieren kann. Korruption kann man offenbar nicht schmecken.

Dann geht es mit dem Boot zurück zum Hafen. Die Taucher begegnen einem auslaufenden australischen Kriegsschiff. Die Soldaten sind in voller Montur, alle Maschinengewehre sind besetzt, wir werden gemustert, die Soldaten winken freundlich. Die Anspannung bei den westlichen Ländern scheint hoch zu sein, denkt sich G. und lehnt sich zurück. Dar Es Salaam ist wahrlich ein sicherer Ort. Zumindest, wenn man nicht bei einem Verkehrsunfall stirbt.

Zurück auf der Wache, läuft G. nach Kariakoo, um zwei Knopfbatterien zu beschaffen für die Gepäckwaage des Tauchkurses. 8500 Shilling, ein paar Lügen und eine Tüte Erdnüsse später steht G. wieder vor der Feuerwache. Diesmal ist fast Feierabend. G. isst eine Mango und ein paar (nicht alle) Erdnüsse, dann fährt er los nach Ubungo, wo er seine Bekannten im Ausbildungszentrum „Talent Search and Empowerment“ (TSE) besuchen will. Auf der Morogoro Road fragt er Polizisten nach dem Weg, weil das TSE nicht auf Google Maps zu finden ist und allgemein die Stadt vom digitalen Kartennetz nur rudimentär erfasst ist. G. wird zur nächsten Kreuzung eskortiert, den Teil der Strecke kannte er auch so, aber er bedankt sich herzlich und fährt weiter. Als es dunkel ist, steht er an der Bushaltestelle Ubungo Riverside und sein Smartphone-Akku ist fast leer. Dafür hat der Nokia-Knochen kein Guthaben mehr. Keiner der Wartenden kennt das TSE, aber Google hilft und er weiß nun die Straße, eine kleine Piste, die ins Nirgendwo zu führen scheint. G. wird von seiner Mitbewohnerin T. angerufen, die ihm mitteilt, dass das TSE um sechs Uhr zumacht. Es ist sieben. T. lädt G. in das Studio ihrer Freunde nach Bugurumi ein. G. denkt sich: Wo ist das denn? Er sagt: Cool, ich schaue vorbei! Tatsächlich ist es einfacher als gedacht: Die Nelson-Mandela-Road weiterfahren bis Garage Bus Stop, dort an der weiß-blauen Moschee auf T. warten. G. wartet. Und wartet (gefühlt). Nach einiger Zeit taucht ein Freund von T. auf, der G. zum Studio führt. G. kauft sich noch fünf extrem süße Kuchen, da er brüllenden Hunger hat.

Im Studio nimmt G. seinen ersten Rap-Track auf. Er handelt von Dar es Salaam und dem Fahrradfahren. Er trägt keinen Namen, doch bei sich denkt G., dass „Five Cakes Please“ ein guter Titel wäre. Dann gibt es Ugali (Maisbrei) mit einer Tomatensoße mit getrockneten Fischen, die Gs. Mitbewohner S. verabscheut. S. ist aber im Goethe-Institut zum Filmabend, also kann sich G., ohne dass seine Mitmenschen leidend zusehen oder mitmachen müssen, gütlich tun. Mit dem Fahrrad geht es nach Hause. 23.00 Uhr. Es war eine lange Reise.

Die Bilder des Tages finden sich hinter diesem Link.

G.: Dienstreise, oder was?

Dieses Wochenende war G. auf Dienstreise. Er hat sich den Ausbildern aus Hamburg angeschlossen, um die Kontakte zur Feuerwehr auf Sansibar zu pflegen. Mit den Tauchern B. und M. sowie S. hat G. am frühen Samstagmorgen die Schnellfähre nach Stone Town genommen, um dort möglichst viel Zeit zu haben. Am Hafen hat G. S. zunächst in die falsche Richtung geführt, weil seine Orientierung kurzfristig aufgrund verschiedener Bugs einen Totalausfall erlitten hatte. Dank Google Maps und einem Bajaj (dreirädriges Taxi) kamen G. und S. noch relativ rechtzeitig.

Da für die Einreise nach Sansibar eine Sicherheitskontrolle und das erneute Ausfüllen des Visumformulars nötig ist, hatten G. und S. vorsorglich ihren Plastiksprengstoff, die Sturmgewehre und ihr Taschenmesser zu Hause gelassen. Alles ging glatt und so kamen sie nach eineinhalb Stunden Fahrt mit der sehr modernen Schnellfähre des tansanischen Industriekonzerns Azam, der von Mehl bis zu Unterhosen wahrscheinlich alles verkauft, in Sansibar an. Das Grüppchen wurde auf raschem Weg von Feuerwehroffizieren durch die Kontrollen bugsiert und fand sich auf der Ladefläche eines nagelneuen VW-Geländewagens wieder, der sie zum Feuerwehrhauptquartier brachte. Dort hatten G. und seine Kollegen Gelegenheit, die Feuerwache zu besichtigen, die insgesamt besser organisiert wirkte als die in Dar es Salaam, gleichzeitig glaubten auch viele Feuerwehrleute, dass die Besucher eine Inspektion durchführen wollten und fragten nach Verbesserungsvorschlägen, welche die Gruppe in diesem Moment gar nicht liefern konnte. Dann fuhren sie weiter zu einer weiteren Unterstützungswache, wo zahlreiche defekte Fahrzeuge herumstanden, darunter ein irisches Flugfeld-Löschfahrzeug ohne Pumpe.

Anschließend wartete am Treffpunkt in Stone Town ein Bekannter von T. (Mitbewohnerin), der G. und S. zum Guesthouse brachte, während die Ausbilder in ihr Hotel fuhren. (Anmerkung: S. kommt aus Schwaben, G. aus Bayern, aber er ist trotzdem geizig, also war ein teures Hotel keine Diskussion)

Anschließend aßen sie zusammen an der Strandpromenade zu Mittag. Dann schauten sie die Sehenswürdigkeiten der Stadt an und verirrten sich in den Gassen der Altstadt von Stone Town, die schon, das muss G. sagen, an vielen Stellen fantastisch schön ist. Allerdings ist sie auch ziemlich überrannt und die Anzahl der Souvenirgeschäfte übersteigt deutlich die Zahl des wirtschaftlich Lohnenden, was die Gruppe an der Aufdringlichkeit der Verkäufer deutlich bemerken konnte. Insgesamt scheint in Gs. Augen der Tourismus zumindest Stone Town sozial völlig zerstört zu haben. Der Drogenkonsum unter den Anwohnern ist hoch, es herrschte eine teilweise aggressive Grundstimmung auf dem Lebensmittelmarkt, wo die Gruppe nach dem Besuch der Gefängnisinsel zu Abend aß. Zudem wirkte auf G. das wirtschaftliche Konzept des Tourismus extrem plump und innovationslos. Niemand wird dem zehnten Straßenhändler irgendeinen Schrott aus Tropenholz, der vom Zoll beschlagnahmt wird, abkaufen. Und wenn der Verkäufer mangels Kunden aggressiv wird, verbessert das kaum den Umsatz. Vielleicht ist das zynisch. Aber in Gs. Weltbild, das dominiert wird von der Fähigkeit des Menschen, aus gegebenen Situationen mit neuen Ideen etwas Neues zu erschaffen, ist der Zustand, in dem sich Stone Town befindet, zwar erklärbar, aber doch letztendlich kaum verständlich. Auch das pseudoindividuelle Reisekonzept vieler Touristen ging G. ziemlich auf den Keks. Am nächsten Tag unternahm er dann mit S., B. und M. eine Gewürztour zu einer kleinen Biofarm im Hinterland, abgeschieden von allem Konsumstreben und geleitet vom reinen Glück an der Freude der Besucher sowie den 10 US-Dollar Eintrittsgebühr. Das war recht interessant, auch wenn G. die meisten Gewürze schon kannte. Zanzibar in a nutshell.

Auf dem Rückweg hat das Grüppchen noch zwei holländische Studentinnen zu deren Hotel mitgenommen und dem Steward einen Korb gegeben, der für besondere Aufmerksamkeit den blonden, weiblichen Passagieren gegenüber ein Extratrinkgeld kassieren wollte. Er war leider 1:7 in der Unterzahl. Ok, auch ein bisschen fies, aber Anbaggern plus Abkassieren ist in Gs. Augen wirklich unsympathisch.

Silvester wird G. wahrscheinlich wieder auf Sansibar sein. Party am Strand und so. G. steht auf Individualreisen. Aber im Ernst: War schon ein cooles Wochenende.

G.: Der Westen hat die Routine gestohlen

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Bergungsübung des Rescue Teams

Heute hat G. gekämpft. Er hat hart gekämpft für ein Stromkabel. Ein Stromkabel, das die Landleitung mit der Schlosserei verbindet und dessen Sicherung nicht dreißig Sekunden nach dem Einschalten des Winkelschleifers herausfliegt. Denn dabei könnte die Sicherung eventuell die Eidechse gefährden, die im Sicherungskasten wohnt. Bei der Geschichte ist allerdings zu erwähnen, dass nicht G. gekämpft hat. Er hat nur pedantisch darauf beharrt, dass das Problem behoben würde. Nachdem verständlicherweise niemand aus der Werkstatt bereit war, händisch ein Kabel an die Landleitung anzuklemmen, wurde ein Techniker aus dem Hauptquartier gerufen. Dieser Techniker verhandelte dann hart mit dem Leiter des Feuerwehrbezirks, denn das passende Kabel kostete einen US-Dollar pro Meter und es wurden ca. 50 Meter benötigt. Der Chef hat schließlich nachgegeben und den Leiter der Werkstatt aufgefordert, einen detaillierten Plan einzureichen. Nach den Aussagen, die G. verstanden hat, würden die Arbeiten schon am nächsten Tag beginnen, weil der Chef sich persönlich um die Finanzierung kümmert. Und er stand weiter daneben und hörte zu. Dann war sein Arbeitstag vorüber, denn wegen eines anhaltenden Regengusses hatte er keine Teile für den geplanten Bootstrailer zuschneiden können, vom Schweißen wegen der fehlenden Leitung gar nicht zu reden. Das Frühstück war immerhin lecker gewesen (Brötchen, Süßkartoffeln und Milchreis) und nun bestand die Aussicht auf ein repariertes Fahrrad, das zur Abholung bereitstand, sowie ein leckerer Mittagssnack, bestehend aus Donuts, Kokosnuss und Banane. Das Fahrrad war in der Tat fertig und fahrtüchtig, sodass G. die 30.000 Shilling (ca. 12 Euro) gerne investierte. Am Nachmittag gingen G. und S. zum Schwimmtraining.

In der Tat ist es so, dass G. inzwischen besser gelernt hat, gegen wen man Vorurteile hegen soll, und gegen wen nicht. Die Funktionäre aus dem Hauptquartier sind allesamt Pfeifen. Wer bei ihnen ein Gesuch für Material oder Projekte einreicht, bekommt vor seiner Pensionierung keine Antwort oder eine negative, da der Commissioner in seinem Hauptberuf Fischzucht im großen Stil betreibt und nur als hochbezahlter Minijobber beim Innenministerium arbeitet. Manchmal denkt G. an die Szene aus dem James-Bond-Film „Skyfall“, in der das MI6-Hauptquartier in die Luft gesprengt wird und stellt sich dabei den Glasturm vor, in dem sich das Hauptquartier der Feuerwehr befindet. Die Feuerwehrleute auf der Wache dagegen sind differenzierter zu sehen. Es gibt Spitzenkräfte unter ihnen, versierte Experten ihres Berufs, aber auch Alkoholiker und Posteninhaber ohne Leistungs- und Verantwortungsbewusstsein, zu denen auch Teile der Führung zu zählen sind. Nach Gs. Einschätzung ließen sich wahrscheinlich bis zu zwei Drittel des Personalbestandes einsparen, ohne dass fühlbare Einbußen bei der Einsatzbereitschaft zu spüren wären. Mit der Einschätzung dieses Missstandes ist G. nicht alleine, viele seiner tansanischen Kollegen beschweren sich über ähnliche Phänomene. Heute hat G. einmal ganz schnell schlechte Laune bekommen, als jemand vorschlug, eine Anfrage an den Commissioner zu schreiben, er meinte unwirsch, dieser sei korrupt und man könne sich das Papier auch sparen. Der Gesprächspartner meinte leise, er wisse das. Für einen Moment fühlte sich G. verstanden, aber er wusste auch, dass seine Worte keine klugen waren. Denn getretener Quark wird breit, nicht stark. Und so kommt G. zu seiner Theorie, die in ihrem Kern lautet: „Der Westen hat die Routine zerstört.“

Die Kolonialzeit hat die herkömmlichen Strukturen der kolonisierten Regionen grundlegend verändert. Gleichzeitig haben die Kolonialregierungen mit wechselndem Erfolg ein Verwaltungs- und Rechtssystem nach westlichem Muster aufgebaut, das allerdings hauptsächlich mit eigenem Personal oder lokalen Eliten besetzt war. Bei der Entlassung der Kolonien in die Unabhängigkeit wurde dieses System meist mehr schlecht als recht in die Hände der neuen Machthaber übergeben. Diese strebten meist nach einer neuen nationalen Identität, die aber oft reaktionär gegen das Kolonialsystem gerichtet war und doch dessen Strukturen übernahm, da eine Rückkehr zur vorkolonialen Gesellschaftsordnung aufgrund ihrer Überprägung nicht mehr möglich war. So entstand eine Mischung aus dem Schlechten beider Systeme. Eine extrem starre und schwerfällige Verwaltung wurde fortgeführt, die sich nur durch Beziehungsnetze, die in der vorkolonialen Gesellschaft sinnvoll und nutzbringend waren, umgehen ließen. Nun aber führten sie zu Klientelismus und Korruption. Beide Systeme kollidierten, da es mit keinem eine Routine gab. Die Kolonialmächte hatten den jungen Staaten einen Crashkurs im Nation Building gegeben, der völlig ungenügend war in einer Welt, in der sich faktisch kein Staat dem Sog der Globalisierung entziehen kann. Gleichzeitig begannen die traditionellen Strukturen wieder an Bedeutung zu gewinnen, ohne, dass jemand darüber nachgedacht hätte. Für beide Systeme fehlte die Routine und ie Abgrenzung, welches gültig sei. G. ist klar, dass dies seine persönliche Sichtweise ist, die möglicherweise anmaßend ist und verallgemeinernd. Sie bewegt sich in der Nähe der Dualismustheorie, die aber eher wirtschaftliche Unterentwicklung durch die parallele Existenz moderner und traditioneller Strukturen erklären will. G. sucht dagegen das generelle Problem und den Schuldigen. Das generelle Problem ist die fehlende Routine. Routine im Umgang mit Naturkatastrophen, neuen Technologien, die neue Abfälle produzieren, dem Bevölkerungswachstum und der globalisierten Wirtschaft. Die Schuldigen sind auch und besonders der Westen. Sie haben die alten Kolonien in ihre Ordnung eingegliedert, ohne ihnen vorher die Regeln zu erklären und sie den Auftritt auf der Weltbühne, von der sie nicht mehr verschwinden können, proben zu lassen. Sie haben eigenständige Ansätze der alten Kolonien teilweise bewusst behindert, aus Angst, die Deutungshoheit zu verlieren. Und sie haben ihren Wirtschaftsakteuren nicht verboten, diejenigen zu korrumpieren, die das Spiel einigermaßen verstanden hatten und vielleicht ihre Nation darin hätten unterrichten können.

Der Westen hat die Routine gestohlen.

G.: Algerien gegen Tansania

G. ist dabei. Das Rescue Team geht in den Standby zum Länderspiel Tansania gegen Algerien, Fußball-WM-Qualifikation für 2016. G. und S. haben sich vieles überlegt, das man mitnehmen könnte, zumal vor dem Hintergrund der Anschläge in Frankreich, auf die das Nationalstadion von Dar es Salaam bei allem Kulturrelativismus nicht bis negativ vorbereitet ist. Am Ende sind es ein Bergetuch, ein fahrbarer Stuhl und zwei Löschgranaten, die helfen sollen, Leben zu retten, falls ein Notfall eintritt. Die Vorgesetzten verabschieden sich auf die VIP-Tribüne, ein Offizier begleitet G. und S. an ihren Platz. Etwas aufgeregt ist G. schon, als sie durch die Einfahrt in das Stadion treten, in dem sich immer mehr (geschätzt ca. 40.000) Menschen versammeln. Die Stimmung ist gut. Die algerischen Fans scheinen nicht aufgetaucht zu sein, oder ihre Anzahl ist sehr klein. Jedenfalls hat die Polizeikapelle Mühe, durchzudringen, als sie die Melodie der algerischen Nationalhymne anstimmt. Gesang ist keiner zu hören. Die tansanische Hymne dagegen ist ein wirkliches Erlebnis, gesungen von der Mehrzahl aller Besucher, die Haltung annehmen und anschließend ihr Team mit ohrenbetäubenden Fangesängen anfeuern. Die Taifa Stars (Nationalmannschaft von Tansania) legt ordentlich los und geht am Ende der ersten Halbzeit mit 1:0 in Führung. In der Pause kümmern sich G. und S. um eine Frau mit Kreislaufproblemen. Zu ihr zu gelangen, ist eine abenteuerliche Aufgabe, bei der S. beinahe in den Graben zwischen Tribüne und Spielfeld fällt. Die Frau erholt sich rasch, doch das Publikum zeigt sich den Helfern gegenüber dankbar. Es wird der einzige Einsatz des Nachmittags bleiben. In der zweiten Hälfte legt Tansania mit dem 2:0 ordentlich vor, es breitet sich Siegesstimmung aus. Doch ein bisschen missgönnt G. als ordentlicher Deutscher den Tansaniern schon ihren jubelnden Nationalismus. Und so kommt es, dass Algerien 30 Minuten vor Schluss der Anschlusstreffer gelingt, den G. zunächst gar nicht bemerkt, da keiner da ist, der jubeln könnte und er gerade in die andere Richtung schaut. Einige Minuten später gleicht Algerien aus. Ratlosigkeit macht sich breit. Nach einer umstrittenen Schiedsrichterentscheidung fliegen einige Flaschen auf die Aschenbahn, doch es bleibt ruhig. Die Mannschaften trennen sich mit einem Unentschieden. G. und S. packen zusammen, es wird langsam dunkel. Durch das sich leerende Stadion laufen sie zum Feuerwehrauto zurück. Morgen ist G. selber dran. Sein erstes Match mit dem City Fire Soccer Team wartet.

G.: Dar Es Salaam in drei Tönen

Als G. am Montag von seiner Arbeit zurückkehrte, dachte er nach. Es war der Beginn der dritten Arbeitswoche. Was gab es Neues für ihn in Dar Es Salaam. G. musste ein wenig überlegen. Ja, dachte er, es sind Geräusche. Geräusche, die er noch nicht gekannt hatte, als er aufgebrochen war. Als erstes fiel ihm der Soundtrack der Straßenverkäufer ein. Er ist etwas schwer zu beschreiben. Die Verkäufer machen mit ihren Lippen eine Art schmatzendes Zirpen, ähnlich, wie wenn man eine Katze lockt, das G. bereits nach wenigen Tagen furchtbar auf die Nerven ging. Ein wenig wie Werbung, die Aufmerksamkeit, aber keine Sympathie erweckt. Dennoch gehören die Straßenverkäufer und ihr Schnurpsen unweigerlich zu Gs. neuer Welt, ohne sie wäre Dar Es Salaam für G. nicht Dar Es Salaam. Werden sie verbannt, entstehen unweigerlich die kalt und steril wirkenden westlichen Einkaufszentren, in denen ein Espresso das zehnfache des Straßenpreises kostet.

Ein weiteres Geräusch, mit dem G. sich mit der Zeit angefreundet hat, ist der Gesang des Muezzin ab fünf Uhr morgens von der Moschee um die Ecke her. Eine geschätzte Mehrheit der Bevölkerung von Dar Es Salaam sind Muslime, was bedeutet, dass der Ruf zum Gebet in fast jedem Viertel gleich laut erschallt. Allerdings kann man unterschiedlich gut damit leben, denn die Qualität der Lautsprechersysteme unterscheiden sich unter den Moscheen stark. Die Qualität steigt von schlafraubender Kakophonie bis hin zu Gesängen an, die an gregorianische Choräle heranreichen und bei G. ein Gefühl von Geborgenheit und Ewigkeit hervorrufen.

Auch wenn in Dar Es Salaam fast überall und immer Menschen sind, haben sie die Natur nicht aus der Stadt vertreiben können. Wenn man abends nach einem Regenguss auf einer unbefestigten Straße läuft, kann man aus vielen Pfützen ein lautes Froschkonzert hören und vergisst für einen Moment, dass man sich in einer Fünf-Millionen-Stadt befindet, die so rasch wächst, dass kaum jemand die Namen aller Viertel kennt.

So bilden Dar Es Salaams Geräusche eine Kulisse, die das Stadtbild, das inhomogener kaum sein könnte, mit einem Klangteppich untermalt. Als diese Zeilen geschrieben werden, sitzt G. auf dem Sofa, über ihm dröhnt monoton der Ventilator. Sein pulsierendes Wummern-Heulen wird G. begleiten, bis er aufsteht, die Zähne putzt, sein Moskitonetz zurechtzupft und nach einem zufriedenen Gähnen einschläft.

G. in der Kirche

8. November: G. war mit seinen Kollegen auf dem Anfangsseminar. Sie haben ihre Mitfreiwilligen von einer anderen Organisation kennengelernt und Kontakte zur Feuerwehr im Dogodogo-Center geknüpft. Abgesehen davon haben sie sehr gut gegessen, da das Seminar im Restaurant der Frau des Teamleiters stattfand. Ein, zwei interessante Informationen gab es auch. Beispielsweise, dass es klug ist, an Straßen immer entgegen der Fahrtrichtung zu laufen, damit einem sein Besitz nicht so leicht von einem Fahrzeug aus weggerissen werden kann. Da braucht man G. aber nichts zu erzählen, denn im Bereich Tarnung und Taktik ist er ohnehin unschlagbar. Wie hätte sein Smartphone, das ungefähr vier durchschnittliche Monatslöhne kostet, es sonst überleben können, dass er es zusammen mit seiner Einsatzhose irgendwo auf der Wache zum Trocknen aufgehängt hat? Manchmal haben die Dummen eben Glück. Auf dem Rückweg haben G. und seine Kollegen Obst eingekauft.

Dann ist er etwas früher als die anderen ausgestiegen, weil er direkt nach Magomeni zurückwollte, während S. noch sein Fahrrad in Ilala abholen musste. Als er an der riesigen Rohbaukirche an der Kreuzung von Kawawa Road und Morogoro Road vorbeikam, überfiel G. der unbändige Drang, die Wachleute im Häuschen zu fragen, ob er die Kirche besichtigen könne. Sie führten ihn ins Pfarrbüro, wo sich G. eine ganze Riege an Kirchenleuten, bestehend aus Pfarrsekretär, Priesteranwärter, Mesner und Fahrer vorstellte. Alle zeigten sich sehr wohlwollend gegenüber G. und schickten gleich jemanden zum Pfarrer, um ihn wegen der Fotoerlaubnis zu fragen (G. hatte sich derweil als Architekturstudent vorgestellt, zudem war ihm seine christliche Herkunft nützlich, denn trotz unterschiedlicher Konfessionen ist Glauben ein ganz solider Club mit gegenseitiger Vertrauensbasis, denn wer dem Anderen Schlechtes tut, wird zum Gemeinschaftstarif bestraft).

Dann führte der Pfarrsekretär G. durch das ganze Gebäude und ließ ihn ausgiebig fotografieren. Kurz vor Ende der Führung gab es einen Platzregen, wie ihn G. in seiner Art bisher nur hier erlebt hat. Innerhalb von dreißig Sekunden setzte ein Regenguss ein, der alles, das in seine Nähe kommt, mit großer Wucht völlig durchnässt. G. und der Sekretär stellten sich unter und warteten. G. erfuhr, dass das neue Gebäude umgerechnet eine Million Euro kostet, die durch Spenden der Gläubigen aufgebracht wurden. Angesichts der Einkommensverhältnisse in diesem Viertel war G. sehr beeindruckt von dem Kraftakt. Es ist etwas, das G. an Religionen gut gefällt. Durch Glauben und verschiedene Kodizes werden von den Gemeinden große Kräfte und Mittel mobilisiert. Wenn sie nicht gerade für die neue Residenz eines Bischofs draufgehen oder man zu Waffen greift, um Andersgläubige zu bekämpfen, hat das Engagement der Gläubigen ein großes Potential für die Gesellschaft. In Bezug auf Andersgläubige zeigt sich Gs. Lebenswelt hier in der Tat sehr offen. Das Zusammenleben von Christen und Muslimen ist in Dar Es Salaam, soweit er es erlebt hat, kein Konfliktpunkt. Gs. muslimische Arbeitskollegen haben jedenfalls sehr gelacht, als er auf ihren scherzhaften Gruß „Salam Aleikum“ mit „Wa Aleikumu Salam“ antwortete. Auch der Gemeindesekretär bezeichnete, auf die Moschee gegenüber angesprochen, die Muslime als Brüder, die es zu achten gelte.

Als der Regen etwas nachließ, gingen G. und der Sekretär zum Büro zurück. G. nahm seinen Rucksack und seine Früchte und ging durch den Nieselregen nach Hause.

 

G.: Die Banken und die CCM sind schuld

Dienstag, 3. November: Wie jeden Morgen waren G. und S. ein wenig spät dran, doch sie kamen noch rechtzeitig. Rechtzeitig? Bisher haben sie kaum bemerkt, dass es einen absoluten Zeitpunkt gibt, den man als rechtzeitig bezeichnen könnte. Dieser ist höchstens dann, wenn man alle Personen, die man braucht, antrifft, um seine Anliegen durchzubringen. Das ist um 7 Uhr am Morgen eher selten der Fall. Trotzdem hatte G. also noch ein bisschen Zeit, um mit den Rekruten Fußball zu spielen, heute hat er sogar ein Tor geschossen, was ihn schon etwas stolz machte, da er immer noch mit dem buckligen Platz kämpft, der seine in Deutschland durch harte Arbeit erlernten Ballkünste immer wieder empfindlich schmälert. Anschließend sind G. und S. mit dem Rescue Team um den Platz gejoggt, die Sauerstoffflaschen umgeschnallt, um sich an das Gewicht zu gewöhnen. Danach haben sie erst einmal ausgiebig gefrühstückt, die Sekretärinnen hatten ihnen Toast und Ei bereitgestellt. Wunderbaren britischen Toast, der nach nichts schmeckt und sich auf 0,05 % seines Volumens reduzieren lässt, wenn man ihn zwischen Daumen und Zeigefinger etwas fester drückt. Ernsthaft, G. mag diesen Toast wirklich gerne. Und er ist den Sekretärinnen wahnsinnig dankbar, dass sie ihn und S. so fürsorglich behandeln. Da mag S. sagen, G. würde dauernd mit ihnen flirten, aber man kann doch sagen, was man möchte, ein solides Frühstück, meistens sogar mit heißem Tee, ist einiges wert. Anschließend haben sich G. und S. aufgemacht, um am Geldautomaten ihre Barvorräte aufzustocken, zumal S. sein Smartphone reparieren musste und es gleich anschließend bezahlen sollte. Also auf zum Bankautomaten der National Bank of Commerce (NBC) in der Tankstelle gegenüber. Die folgende Episode hat G. nun schon dreimal erlebt, jetzt aber soll sie in voller Länge beschrieben werden.

09.21 Uhr (fiktive Startzeit): G. schiebt seine Mastercard in den Automaten.

09.21 Uhr (gleich darauf): Der Automat sagt: Please wait.

09.23 Uhr: G. wartet.

09.24 Uhr: Der Wachmann des Automaten schaut G. fragend an. G. und er diskutieren verschiedene Möglichkeiten und beschließen, weiterhin zu warten.

09.29 Uhr: S. und der Wachmann unterhalten sich über tansanisches Kino, während G. weiterhin wartet.

09.30 Uhr: G. tippt die Servicenummer der NBC in sein Handy

09.31 Uhr: G. hat sich durch das Hotlineverzeichnis gewählt und wird mit einem schlecht Englisch sprechenden Sachbearbeiter verbunden.

Gesprächsinhalt: G. soll die Abbruchtaste drücken, was selbstverständlich nichts bringt, da keine Benutzeroberfläche geladen ist. Außerdem ist derzeit kein Servicetechniker verfügbar, G. soll seine Karte zurücklassen, die dann am Abend abgeholt wird. G. bedankt sich und legt auf.

09.33 Uhr: S. muss los, um sein Handy zur Reparatur abzugeben.

09.34 Uhr: G. ruft seinen Mentor D. an, der als Informatiker bei NBC arbeitet. D. verspricht, sich zu informieren und dann zurückzurufen.

09.35 Uhr: G. wartet.

09.36 Uhr: Der Bildschirm des ATM wird schwarz, dann erscheint die BIOS-Information, Windows XP startet. Der Automat wirft die Karte aus.

09.37 Uhr: G. verabschiedet sich vom Wachmann und begegnet S., der über die Straße zum Automaten zurücksprintet. Sie laufen zurück zur Wache.

Anmerkung: G. wurde vor seiner Abreise darin unterrichtet, wie man die eigene Berichterstattung überdenkt, um der Verbreitung von Klischees und rassistischen Vorurteilen entgegenzuwirken. Die Kreditkarten-Story möchte er keinesfalls als exemplarisches Beispiel für die marode tansanische Infrastruktur verstanden wissen.

Lediglich ärgert er sich ab und zu über Firmen, die offenbar auf essentiellen Gebieten sparen. Sämtliche drei Bankautomaten, die Gs. Mastercard bisher zum Absturz gebracht hat, stammten vom Hersteller NCR und ihr BIOS war 2004 zuletzt aktualisiert worden. Mit Windows XP waren sie auch für das heutige Internet völlig ungenügend ausgestattet, zumal der Support des Betriebssystems letztes Jahr ausgelaufen ist und es bei finanziellen Transaktionen nicht um Großmutters digitale Schnappschüsse geht. In den Grundzügen haben sich G. und S. schon überlegt, wie sie entweder mit Gs. Kreditkarte den Zahlungsverkehr in Dar Es Salaam lahmlegen werden (bis auf die Wincor-Nixdorf-Automaten von Equity Bank im Quality Center, die bisher reibungslos liefen) oder ihr Budget mit einem selbst geschriebenen Automaten-Code aufbessern, den sie beim Systemstart von Windows XP mit einbinden.

Nicht die manchmal schwierigen technischen Verhältnisse in Tansania setzen G. zu. Die ist er auch von zu Hause gewöhnt. Er versteht vielmehr nicht oder noch nicht, warum an vielen Stellen so ideenlos mit der Situation umgegangen wird. Auch auf einem Rechner von 2004 oder ein bisschen früher ließe sich Linux installieren und es gäbe bestimmt eine Firma oder eine Entwicklergemeinde, die dafür ein sichereres Bankautomaten-Betriebssystem schreiben würde, als es auf der Windows XP-Plattform jemals möglich war. Vielleicht ist das wieder Gs. westliche Prägung, aber Ideen und die Fähigkeit, aus dem Vorhandenen das Maximum herauszuholen, hält G. für eine grundlegende menschliche Qualität und nicht für ein Produkt seiner Kultur. Die Schuld daran, dass er diese Fähigkeit in seinem Gastland oft nur schwer entdecken kann, gibt er der CCM und dem allgemein korrupten und wenig am Wohlergehen seiner Bürger interessierten Staat. Alle seiner Vorstellung nach intelligenten Leute, die G. bisher getroffen hat, litten unter dem System oder haben ihre gehobene gesellschaftliche Position nicht wegen, sondern trotz der Politik erreicht.

Die Frage, die sich für G. gelegentlich stellt, ist auch, wie kompatibel die Systeme, die in Tansania parallel existieren, überhaupt sind. Wenn man durch die Viertel Posta oder Masaki läuft, sieht man viele Firmen, die nach westlichen Normen arbeiten und Häuser, die direkt aus Beverley Hills importiert wurden. Dagegen herrschen, soweit G. das erkennen konnte, in den Vierteln der breiten Bevölkerung eher kleinräumige Organisationsstrukturen und eine lokal ausgerichtete, informelle Wirtschaftsordnung. Dass sich kleine Händler, Telefonreparateure und Motorroller-Kuriere kaum in das Mühlrad der globalisierten Wirtschaftsordnung einordnen können, ist allein aus Kosten- und Verwaltungsgründen klar. Trotzdem ist es so, dass sie nicht von ihm abgekoppelt existieren. Firmen wie Coca Cola, Samsung oder Hitachi sind schon längst mit ihren Produkten vor Ort. Mit ihnen gekommen sind alle technischen Errungenschaften der Industrialisierung, wie Autos und Plastik. Oft hat G. den Eindruck, dass die Menschen den Spagat zwischen der Welt ihrer Vorfahren und dem Industriezeitalter gut meistern. Wenn G. andererseits den Grad der Umweltverschmutzung an der idyllischen Smogglocke am frühen Morgen über dem Zentrum sieht und die Plastikberge, die auf Brachen vor sich hin verrotten, macht ihn das nachdenklich. Vor 70 Jahren war hier der Großteil der Abfälle organisch, kein Problem also, sie hinter seinem Haus abzuladen und zu warten, bis sie zu Erde werden. Mit den heutigen Werkstoffen ist das anders. Ein Problem übrigens, das G. in Tansania nicht zum ersten Mal beobachtet hat. Er könnte kotzen beim Anblick von wilden Mülldeponien in der fränkischen Schweiz, wo Bauern ihren Hofmüll entsorgen. Klar, aus der Ferne zu haten, ist unfair. Worauf G. aber eigentlich hinausmöchte, ist, dass dieser Kontrast zwischen verschiedenen wirtschaftlichen Systemen nirgendwo reibungslos verläuft. In Deutschland gibt es aber einen Bund Naturschutz und eine Umweltpartei. In Tansania gibt es ebenfalls Behörden, die mit oft bescheidenen Ressourcen darum kämpfen, wenigstens die noch intakten Ökosysteme und Kulturen zu schützen.

Die Kontaktstellen zwischen Moderne und Tradition, die G. gesehen hat, sind nach seiner Einschätzung bereits jetzt sozial und wirtschaftlich schwer geschädigt und es gibt kaum jemanden, der den Menschen bei der Bewältigung der Folgen beisteht. Wenn, dann vielleicht aus dem Ausland, aber viel wichtiger noch wäre jemand von hier. Julius Nyerere hatte in den 70er Jahren mit seiner Politik ein Aufbruchssignal gegeben. Seitdem hat aber niemand sein Konzept angepasst und auch im Wahlkampf war kaum zu erkennen, dass die wirklichen Belange des Volkes irgendwie im Vordergrund standen. Die Regierungspartei CCM ist seit 1961 an der Macht. Sie hat getrödelt und war faul. Das hat sich dieses Jahr an den Wahlurnen gezeigt, auch wenn sie sich eine weitere Legislaturperiode sichern konnte. G. kann die Menschen verstehen, mit denen er gesprochen hat, und die sagen: Die CCM ist schuld.

Allerletzte Anmerkung: Im Geist diskutiert G. mit seinem Trainer für interkulturelle Fragen auf dem Vorbereitungsseminar, der einwenden würde, dass der Westen Tansania die Demokratie diktiert habe und niemand das Recht habe, die o.g. Werte als absolut wahrzunehmen. Ja und nein. G. hat sich entschieden, dieses Argument jetzt nicht gelten zu lassen.

Die Bilder der letzten Tage gibt es unter: http://jakob.lindenthal.de/index.php/2015/11/04/images-work-in-progress/

G.: Oléé, olé, olé, oléé!

G. ist in das Fußballteam des City Fire Sports Club aufgenommen worden. Am Freitag hatte ihn der Teammanager angesprochen und ihm den Captain vorgestellt. G. hat neue Puma-Schuhe bekommen sowie Stutzen und Schienbeinschoner. Diese Großzügigkeit hat G. gerührt und überrascht. Insgesamt scheint ihm das Fußballteam straffer organisiert als manch andere Abteilung der Feuerwehr, die mit deren Kernaufgabe befasst ist. Heute um vier Uhr ist G. also zum ersten Training angetrabt. Er wurde vom Trainer, der nur Kiswahili spricht, der Mannschaft vorgestellt und war froh, dass er das Affentretzen zum Aufwärmen schon kannte, sodass es keine Missverständnisse geben konnte. Der Sandacker schien direkt aus Deutschland übernommen zu sein.

Insgesamt scheint G. Fußball eine überhaupt sehr völkerverbindende Sportart zu sein. Die Ziele sind simpel, Rudelbildung ist überall Bestandteil der Mannschaftskultur und die paar Befehle zum Passen und Schießen lernt man fast so schnell wie auf der Spielkonsole. Trotzdem musste sich G. beim Trainingsspiel erst einmal eingewöhnen. Für seine Begriffe wird sehr robust gespielt. Körpereinsatz kann sich auch auf Ellenbogen oder Hände ausdehnen. Die Ballkontrolle, die seine Kollegen auf dem Sandplatz zeigten, hat G. sehr beeindruckt. Trotz allem konnte er sich ganz gut behaupten, auch mit der Strategie, den Ball rasch weiterzugeben, bevor ihn jemand umgrätschen konnte. Die Distanz der Pässe, die oft gespielt werden ist erstaunlich, die Abschlussquote dagegen eher niedrig. Die Tikitaka-Strategie könnte auch bei dieser Mannschaft vielleicht noch eine bessere Ausnutzung des Potentials erwirken. Doch G. wird sich zurückhalten. Schließlich fliegt er immer noch nach einem harmlosen Bodycheck in den Sand. Doch irgendwann, irgendwann! Wird er bestimmt ein Torjäger-Held. Oder er bleibt einfach rechter Verteidiger.

Tigo vs. Vodacom / Hybrid währt am längsten

Nachdem nun die erste Arbeitswoche bei der Feuerwehr vorüber ist, gilt es, den nächsten Eintrag einem durchaus weltbewegenden Problem zu widmen: Dem Mobilfunk. Seit unserer Ankunft schwelt nämlich ein Richtungsstreit, der die Wahl des Handynetzbetreibers betrifft. Grundsätzlich gibt es drei große Gesellschaften in Tansania: Vodacom, Tigo und Airtel. Aus mir nicht ersichtlichen Gründen schied Airtel sofort bei der Wahl aus. Ist eigentlich auch klar bei einem Betreiber, dessen Name in der hiesigen Aussprache fast wie RTL klingt. Nun also zum Kampf der Giganten: Voda gegen Tigo.

Hier herrscht auch bei unseren Mentoren keine Einigkeit. Daniel hat einige Jahre bei Vodacom gearbeitet und er schwört auf dieses Netz. Spricht man ihn auf Tigo an, lächelt er fein. Adson dagegen hält Vodacom für völlig überteuert und hält Tigo für die smartere Lösung. Tigo wirbt außerdem mit seinem neuen LTE-Netz und bietet Studententarife, in die man sich allerdings nur über Funkzellen in der Nähe der Uni einwählen kann. Kein Problem für die Feuerwehrleute, da der Campus zwei Blocks weiter ist. Also waren wir im Quality Center, einer großen Einkaufsmeile, und haben beide Stores besucht. Vodacom: Kleiner Laden, aber qualifiziertes Personal, das schmunzelt, als ich frage, wieviel Geld ich auf mein M-Pesa-Konto einzahlen soll. Ich lade es mit 10.000 Shilling (ca. 4 Euro) auf, das scheint schon eher die Obergrenze zu sein. Ich komme mir etwas hilflos vor, aber inzwischen habe ich sogar gelernt, wie man mit USSD-Codes auf seine Tarifbuchung und den mobilen Bezahldienst M-Pesa zurückgreift. Und ich habe mit Anleitung ein Internetvolumen von 2GB für ca. 4 Euro gebucht.

Danach zu Tigo. Hinter den Kulissen war Adson schon als eifriger Lobbyist tätig und hat uns vom Plan abgebracht, vollständig auf Voda zu setzen. Viele einfache Leute verwenden Tigo, deshalb sagen wir uns, dass es aufgrund der Community-Flatrate billiger sein wird. Und tatsächlich kaufe ich auch noch zwei Tigo-Simkarten, um später auch das Internet auf Tigo umstellen zu können. Die eine Karte liegt nach wie vor in einem Haufen aus Papierkram vergraben, wer will, kann sie in Dar es Salaam abholen. Denn zu Hause kam der Showdown. Das Vodacom-Internet funktioniert reibungslos. Mit dem DSL-Anschluss zu Hause in Deutschland kam es gut mit. Bei Tigo dagegen sahen Livestreams zumindest in Ilala verdächtig Bildern von Jackson Pollock ähnlich, bei denen ein Farbeimer explodiert war. Für die Voda-Privilegierten bot sich dann die Gelegenheit, den armen Tigo-Würstchen generös seinen mobilen Hotspot anzubieten, der natürlich die Übertragung gleich um Längen aufbohrte. Während die Tigo-Leute fluchend ihre E-mails eine Stunde lang abrufen, kann man sich ganz nebenbei unterhalten, wie reibungslos der Bilder-Upload auf dem Blog doch funktioniert.

Obwohl ich also stolzer Vodacom-Benutzer bin, muss ich doch eingestehen, dass man Tigo in der Hinterhand haben sollte: Mein altes, klassisches Nokia telefoniert reibungslos und das Internet war vor seiner Zeit, sodass ich mich nicht ärgern muss. Vodacom schenkt mir jeden Tag 10 MB Gratisguthaben, um mir eine Stunde später mitzuteilen, dass es nun aufgebraucht sei. Kein Wunder, dass jemand mehr Geld verlangen muss, wenn er seinen Kunden einen solchen Service zuteil werden lässt. Ich habe auch schon mit Vodacom telefoniert. Aber zu Airtel, denn da sind die Tigo-Tarife ungünstig. Die Integration in einem neuen Land bedingt auch, dass man sein Mobilfunknetz kennt. Und wie immer ist es so, dass die am besten Angepassten überleben. Tigo-Telefonie plus Voda-Internet heißt das Erfolgsrezept. Hybrid währt eben am längsten.