Alle Beiträge von Jakob Lindenthal

G: Die ersten zwei Tage und der erste Einsatz

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G. hat angefangen, bei der Feuerwache zu arbeiten. Der Montag nach den Wahlen bestand vor allem daraus, sich einzukleiden und die Container mit den Spenden aus Deutschland zu sichten. G. hat eine deutsche Feuerwehrmontur bekommen und einen britischen Helm, der schon einige Schmauchspuren trägt, aber umso heroischer aussieht. G. und S. haben Chipsi Nyumba (Pommes Frites mit Fleisch) zu Mittag gegessen. Im Großen und Ganzen hatte noch niemand von den neuen Freiwilligen ernsthafte Magenprobleme wegen der neuen Lebensbedingungen. Nur am Sonntag war G. schlecht, das kann aber auch gut daran gelegen haben, dass er fast eine ganze Kokosnuss in sich hineingestopft hatte. Überhaupt findet G. das Essen in Tansania ziemlich fantastisch, aber wenn er an Müsli denkt, kommen ihm jetzt schon fast die Tränen. Und Milch, und Joghurt…

Doch zurück zum Thema: G. hat zusammen mit seinem Kollegen S. ein kleines Büro im Verwaltungstrakt, das sie mit einem weiteren Funktionär teilen. Gs. Arbeitsplatz ist die Schlosserwerkstatt, das Building 003, das dem Cheftechniker M. gehört. M. ist ein erfahrener Handwerker und Feuerwehrmann um die 60 Jahre, der auch große Freude an Wasserrettungsübungen hat und mit dem auch unsere Vorgänger einiges erlebt haben. M. und G. haben sich nach Kariakoo begeben, um Farbe für den Schriftzug der neu eingetroffenen Boote zu kaufen, die Preise für Stahl für einen Bootstrailer zu erfragen und nach einer passenden Achse für den Trailer zu suchen. G. hat gelernt, dass es nicht so klug ist, die Waren von Straßenhändlern zu fotografieren, da diese dann einen finanziellen Ausgleich wünschen. M. hat G. aber aus der Patsche geholfen, also hat das Greenhorn noch einmal Glück gehabt. Später haben G. und M. noch zwei Offiziere getroffen. Zurück auf der Wache, ging der Alarm los. G. und S. sind in ihr Büro gerannt, haben die Montur zusammengerafft und sind zum Fahrzeug gerannt. In der Haupthalle bei der Ausfahrt stand ein ihnen unbekannter Deutscher, der sie in Hamburger Dialekt für die lange Ausrückzeit kritisierte. Dank ihres fantastischen Fahrers, der keine Gehsteige scheute und sicher schon als Elchtester gearbeitet hatte, gewannen sie aber wieder Vorsprung vor dem Tankwagen, auf den sie kurz warten mussten, bevor sie zur Einsatzstelle irgendwo in Ilala vorrücken konnten.

Dort war eine Traktorwerkstatt bereits in Flammen, ebenso ein daneben geparktes Auto. Rund zwanzig behelmte und schwer bewaffnete Polizisten hatten die Einsatzstelle geräumt und eine Gasse gebildet, durch das unser Trüppchen, bestehend aus G., S. und D., einem weiteren Feuerwehrmann, zum Brandherd rannte. Insgesamt die Hauptwache nur mit fünf Feuerwehrleuten, darunter der unqualifizierte G., angerückt, sodass es gut war, dass sie auf die Unterstützung des Personals der Feuerwache Temeke rechnen konnten, das zwar deutlich bescheidener ausgestattet war, aber durch seine Zahl die Brandbekämpfung entscheidend erleichterte. Nachdem S. seine Handschuhe vergessen hatte, bekam er die von G., der als Helfer und Fotograf fungierte. Gs. Idee, eine Steckleiter zu verwenden, um ein Glutnest von oben besser bekämpfen zu können, wäre theoretisch sogar gut gewesen. In der Tat war die Leiter aber auf dem Dach des Feuerwehrfahrzeugs aus Temeke mit so vielen gordischen Knoten befestigt, dass die Gefahr schon durch Balanceakte auf einer einsturzgefährdeten Mauer gebannt war, als die Leiter endlich gelöst war. Zu diesem Zeitpunkt war G. bereits triefnass und der Mangel an Trinkwasser machte sich zunehmend bemerkbar. Irgendwann bekam jeder einen Liter, der wie Nektar wirkte. Nachdem sich die Menge langsam zerstreute, ging das Leben auf der Straße weiter und G. und S. bekamen von einem Kollegen ein Eis spendiert. Nachdem das Fahrzeug, mit dem G. und S. angekommen waren, neben einem Bordell parkte, konnte G. auch diesen Aspekt der Millionenstadt Dar es Salaam erleben. Dazu muss man allerdings sagen, dass G. der Zweck des Gebäudes nicht weiter aufgefallen wäre, wenn er nicht vom Fahrer darauf hingewiesen worden wäre. Schließlich fuhr die Mannschaft wieder zurück zur Wache, wo G. von seinen Kollegen freundlich gefragt wurde, wie es gewesen sei. Auf die Antwort „Yoto!“ (heiß) lachten sie sehr. G. hat inzwischen bemerkt, dass seine Kollegen sich besser an die Hitze adaptiert haben, aber entgegen allen Klischees alle in seiner Umgebung die Hitze auch als heiß wahrnehmen, wenn auch vielleicht nicht als ganz so unerträglich wie die Greenhorns aus Deutschland. Anmerkung: Den ersten Einsatz hat G. gar nicht mit seinem alten Helm absolviert, aufgrund einer großen Spendenlieferung hat er jetzt ein Upgrade auf ein neueres Modell durchführen können, dass ein reflektierendes Visier hat. C., der laut dem Vorgänger P. einer der besten Feuerwehrmänner Tansanias ist, hat G. zudem eine Menge Arbeitskleidung verschafft, über die er sehr glücklich ist.

Müde und zufrieden mit dem Tag gingen G. und S. nach Hause.

Die Bilder der ersten zwei Arbeitstage gibt es hier: Images: The first two days at City Fire

Wer lesen will, wie S. (Samuel) den ersten Einsatz erlebt hat, kann seinen Bericht unter folgendem Link lesen:

https://feuerwehrdaressalam.wordpress.com/2015/10/27/brandeinsatz-auf-tansanisch/

Images: The first two days at City Fire

Now I finally started working at the fire department. The elections are over and the result is to be announced tomorrow, but our mentor has issued no concerns about going to work. Furthermore, we have two bicycles now, making our way to work shorter and safer. Yesterday we received protection suits which we were today able to test as we took part in our first firefighting operation at a tractor workshop. The ongoing projects are testing hoses, sorting out equipment donations and writing the Fire and Rescue tag on the new boats, making them ready for an exercise at the beach, promised, but yet to be carried out. So the prospects are good, although some ambitions are kept secret to prevent too high expectations. But as always it is hard to predict life and the ups and downs will follow.

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Testing fire hoses

Firefighting

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On the way
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Excited
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Crowd kept back by armed police
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Smoke and fire vehicle
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The surrounding
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BA personnel
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Checking hoses

 

 

The beach and the elections

Yesterday I bought football shoes on a street market near our apartment. I got a pair of used Adidas shoes for 55,000 Shillings, equal to ca. 25€. That prepares me to take part in the daily football exercises at the fire station. Later we went to the beach in Magogoni/Mikadi, after our quick integration program during the past days it was very relaxing to chill out in a secured area although its concept was only aiming at tourists, clearly selecting between people able to pay the entrance fee and the others kept behind the fence guarded by watchmen in Massai costumes. On the way to the beach we witnessed a demonstration of opposition party supporters. They were shouting the CHADEMA slogan „People Power!“ and carrying two coffins, symbolizing the ruling party CCM. The results of the elections are to be announced by wednesday, the winner is not yet predictable.

Election campaign

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Trip to Kigamboni Beach

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Dar Es Salaam skyline
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Daniel and Adson, the best mentors we could have wished for.

 

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Postcard reality

 

At home

Yesterday we moved to our house in Magomeni. I am now living there together with Samuel, who is working for the fire department as a paramedic.

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Sleeping room
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Dedicated to my suitcase
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View from our door to Ilala

 

Wahltag

25.10.2015: Heute finden in Tansania Präsidentschaftswahlen statt. Erstmals seit der Unabhängigkeit hofft die Opposition darauf, den nächsten Präsidenten zu stellen. Dementsprechend herrschte und herrscht eine spannungsvolle Wahlkampfatmosphäre. Die politischen Lager gruppieren sich um die aktuelle Regierungspartei CCM (Chama Cha Mapinduzi / Partei der Veränderung) und das Oppositionsbündnis UKAWA mit der größten Oppositionspartei CHADEMA (Partei der Demokratie und des Fortschritts). Die CCM ist der Tradition nach sozialistisch, im Zentrum des Programms stehen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Fortschritt. Als Spitzenkandidaten stellt die CCM den ehemaligen Arbeitsminister John Magufuli als Nachfolger des Präsidenten Jakaya Kikwete, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten kann. Da die CCM als sehr korrupt gilt, steht im Wahlprogramm der CHADEMA die Korruptionsbekämpfung und die Ablösung der CCM im Vordergrund. Spitzenkandidat ist Edward Lowassa, der nach einem internen Machtkampf von der CCM zu CHADEMA gewechselt ist. Lowassa gilt allerdings ebenfalls als korrupt und trat 2008 wegen eines Korruptionsskandals als Premierminister aus dem Kabinett Kikwetes zurück.

Immer wieder finden Kundgebungen statt, in den letzten drei Tagen sind wir jeweils zufällig auf zwei Chadema-Demonstrationen gestoßen. Deren Anhänger scheinen angesichts einer möglichen Machtübernahme besonders engagiert für ihre Partei zu werben. Die derzeitige Regierungspartei CCM ist dagegen mit Plakaten deutlich stärker im Straßenbild vertreten. In den Medien ist die Wahl ein dominantes Thema, vor Fernsehbildschirmen in Läden und Restaurants versammeln sich zu den Ansprachen der Spitzenkandidaten zahlreiche Menschen. Im Privatleben werden die politischen Positionen ebenfalls offen vertreten. Allerdings zeigten sich einige Gesprächspartner auch verunsichert durch zahlreiche Gerüchte, die kursieren. So wird beispielsweise der CHADEMA vorgeworfen, im Falle ihres Siegs alle Nichtafrikaner aus Tansania vertreiben zu wollen, wie eine arabische Nachbarin im Gespräch besorgt berichtete.

Bereits gestern fiel in den Straßen die starke Polizei- und Militärpräsenz auf. Es herrscht vielerorts eine gewisse Unruhe, ob die unterlegene Partei ihre Niederlage akzeptieren wird. CHADEMA hat ihre Anhänger aufgerufen, in der Nähe der Wahllokale zu bleiben, um Wahlbetrug zu verhindern. Da es kein zentrales Wahlregister gibt, sind Mehrfachwahlen theoretisch durchführbar, sodass trotz des Einsatzes zahlreicher lokaler und europäischer Wahlbeobachter die Gefahr von Unregelmäßigkeiten besteht. Alle Gesprächspartner haben sich im Gespräch zuversichtlich gezeigt, dass es zu keinen nennenswerten Unruhen kommen wird, eine generelle Unsicherheit war dennoch zu spüren. Zahlreiche Geschäfte schlossen gestern früher.

Aufgrund der Sicherheitsempfehlungen der deutschen Botschaft und in Absprache mit unseren tansanischen Mentoren verbringen wir den Tag heute zu Hause und mit ausreichenden Vorräten. Bisher haben wir nichts ungewöhnliches bemerkt, außer einer Frau, die „People Power!“, den Slogan der CHADEMA rufend, an unserem Haus vorbeilief. Deshalb sind wir derzeit zuversichtlich, morgen wie geplant zur Arbeit gehen zu können, auch wenn bereits angekündigt wurde, dass das Fußballtraining am Abend wegen der Wahl ausfallen wird.

Nachtrag

Der kritische Tag wird wahrscheinlich erst der Mittwoch sein, da an diesem Tag die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen bekanntgegeben werden, während die Mitglieder des neuen Parlaments u.U. schon heute Abend feststehen. Aufgrund eines Gesprächs mit unserer Nachbarin vermute ich, dass CCM tendenziell von der Mittel- und Oberschicht sowie Staatsangestellten gewählt wird, während besonders Bewohner von sozial schwachen Gegenden auf CHADEMA setzen, da sie von einer CCM-Regierung keine Verbesserung der Lebensbedingungen und der Beschäftigungslage erwarten. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um Vermutungen, die empirisch nur schwach untermauert sind.

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Kundgebung von CHADEMA-Anhängern in Ilala
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Zeitungsstand
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Ein Sarg mit der Aufschrift „CCM“ wird von CHADEMA-Anhängern zu Grabe getragen.
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Blick aus unserem Innenhof über das Tor

Images: The journey and the first day

I have arrived in Dar es Salaam. I had been prepared for a cultural shock, but I felt rather like arriving at an unknown playing field for a football match. That does not mean that I was not nervous or excited. It simply felt surreal und I was surveying my moves and body functions more closely than usual. After some sleep we went to the bank, my credit card survived a system shutdown of the ATM (Windows XP, but I already knew that from Deutsche Bahn) and I saw the first real shotgun in my life, it belonged to a security guard. We were offered very good Italian ice cream and a man talked to me in French. Europe must look tiny from here. At least for me looking at the map of Tanzania in our living room is like looking at a section of outer space. And if Europe is even beyond, that is quite a lot of light years. The surreal feeling has not vanished yet. Tomorrow we are going to see the hospital, the fire department and our house. I am looking forward to it. Thanks to our great mentors Adson and Daniel, we are like children exploring the park in a new neighborhood. New people, some new rules, but humans like around the corner. Laughing, chatting, working.

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Atatürk Airport, Istanbul

 

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Nile Valley at night

 

 

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Landing in Dar es Salaam

 

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Sunset and freight yard

 

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The view from our apartment

G: 24 Stunden

G. ist um zwanzig vor sieben Uhr aufgestanden. Er hat sich pflichtbewusst von seiner Familie verabschiedet und war erstaunt, wie wenig man sich am Ende eigentlich zu sagen hat. Flughafen Nürnberg: G. verabschiedet sich von seinen Freunden. Wenn er auf eine große Reise geht, hat G. immer ein wenig das Gefühl, einen Tunnel zu betreten, in dem die Zeit auf Augenblicke schrumpft und sich gleichzeitig aufbläht auf mehrfache Länge. Dazu passend dann der Film Interstellar auf dem Flug von Istanbul nach Dar es Salaam. G. ist sich nicht sicher, ob die Special Forces-Atmosphäre, die der Film verbreitet, gut für die Vorbereitung auf die Zeit in Tansania ist. Es geht wohl eher darum, das Bild des westlichen Eliteschülers abzulegen und zu akzeptieren, dass man manchmal einfach nur ein Mensch unter vielen ist, und niemand, der andere beiseite schiebt, um ein freies Schussfeld für seinen Missile Lauscher zu bekommen. Nach Stunden des Sitzens ist G. froh, ein bisschen im Mittelgang herumzustehen und mit der Besatzung zu quatschen. Außerdem ist es nicht schlecht, wenn man, gerade für ein Jahr aufgebrochen, etwas mit Menschen macht, um das weggefallene soziale Umfeld zu kompensieren. Der Mond liegt waagerecht auf dem Horizont, das Flugzeug überquert bald den Äquator. G. schreibt seinen Nachruf zu Ende, dann beginnt der Landeanflug auf Dar es Salaam.  Aus der Schwärze tauchen Lichter auf, die sich immer mehr verdichten, irgendwann werden die einzelnen Häuser sichtbar, der Sicherheitszaun um den Flughafen und sie setzen auf der Landebahn auf. Herzlich verabschieden sich G. und seine Kollegen von der Besatzung, die Facebook-Namen sind ausgetauscht, man wünscht sich eine gute Nacht. Visa-Antrag, Gepäckscan. G. ist der erste an der Ausgangstür. Es ist warm und dunkel. Es ist der erste Moment, in dem G. bewusst wird, dass er in eine neue Welt aufgebrochen ist. Er steht in der Tür, zwei Koffer, Rucksack, westliche Kleidung. Auf der anderen Seite des Zauns Taxifahrer, Reiseführer. G. kämpft gegen ein Gefühl von Verlorenheit an. Eine Gruppe kommt auf ihn zu und G. erkennt Moses, den Mechaniker der Feuerwehr. Die Ankömmlinge werden vom Empfangskomitee herzlich begrüßt. Das Gepäck wird auf zwei Autos verteilt, G. nimmt in einem Feuerwehrtransporter Platz. Durch die nächtlichen Straßen geht es zur Wohnung der Krankenhausfreiwilligen. Leere, breite Straßen ziehen vorbei. G. ist aufgeregt und müde. Um 5 Uhr trinkt er mit Daniel, seinem Mentor, einen Tee und sie schauen auf die Dächer der Stadt, über denen der Himmel immer heller wird. Dann schläft G. auf einer Matratze ein. Er und S. werden noch ein paar Tage hierbleiben, bevor sie ihr Haus in Magomeni beziehen.

Speerwurf

Wickstadt

G. hat ein ihm neues Spiel kennengelernt. Speerboule ist eine Sportart aus Montana, bei dem es gilt, seinen Speer möglichst nahe am Speerschaft des Schweinchenspeers zu platzieren. Gar nicht so einfach. G. hat die Mittagspause genossen. Heute hat M. die Speere wieder mitgenommen, aber G. hat schon das Prinzip der Speere kopiert und wird das Design demnächst in China für den europäischen Massenmarkt in Auftrag geben. Spätestens dann, wenn er aus Tansania zurück ist und durch die interkulturellen Kompetenzen seine Skills auch im Asiengeschäft nutzen kann.

Vorbereitungsseminar in Wickstadt

Am Montag bin ich in Wickstadt angekommen. Der erste Tag des Vorbereitungsseminars war sehr intensiv. Da der praktische Teil des Programms in kürzerer Zeit als erwartet zu bewältigen war, habe ich mir ein wenig den Ort angesehen. Wickstadt ist sehr idyllisch und sehr verschlafen. Einmal in der Woche gibt es einen Boule-Abend auf dem Platz beim Dorf. Das Betreten des Grafenschlosses ist verboten, das Menu im Edelrestaurant des Anwesens ist wahrscheinlich auch keine wirkliche Option für die Weltwärts-Freiwilligen, zumindest nicht finanziell. Allerdings muss uns das nicht kränken, da wir exzellent bekocht werden.

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Materiallager der Mehlfabrik

 

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Kath. Kirche

 

 

 

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Schloss der Grafen von Assenheim

 

 

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Darstellung meiner Identität

 

G. – Zielgerade/Statusbericht

Heute morgen ist G. in Wickstadt angekommen. Eine Woche Vorbereitungsseminar steht an. Zuerst hat G. mit L. den richtigen Bahnhof verpasst, aber so hat man Offenbach wenigstens einmal vom Zug aus gesehen. G. hat seinen Vorgänger aus Dar es Salaam getroffen. Langsam nimmt das Bild von Tansania Konturen an, G. kann sich nun vorstellen, ein Jahr dort zu verbringen. Es ist noch einiges zu tun. G. wird aufatmen, wenn das Flugzeug von der Piste abhebt. Soweit der Status. G. findet, dass es Zeit ist, schlafen zu gehen.

Die Hochburg des Mittelmaßes

1.10.2015

G. hat Abschied genommen vom alten Straßenbahndepot. Er ist mit M. und E. noch einmal durch das Loch im Zaun geschlüpft und durch die leeren Hallen gegangen. Sie haben sich vorgestellt, welche Parties und Kunstausstellungen man hier veranstalten könnte. G. glaubt nicht, dass P&P Immobilien viel von solchen Träumen hält. Die neuen Tramlofts bringen sicher mehr Geld. Die tollen Tramlofts, eine Hochburg des Mittelmaßes. Wenn G. schon die Werbeplakate mit den Computerentwürfen sieht, wird ihm schlecht. Die Radikalität und Klarheit von Industriearchitektur wurde entkernt und in ein bürgerliches Format gepackt. Dort kann Biedermann vor dem UHD-Fernseher sitzen und zuschauen, wie die Flüchtlinge nach Europa kommen. Anschließend kann er im Trennungen Ökoladen noch Bio-Auberginen für ein richtig kreatives Pastagericht mit Balsamicocreme kaufen. Dass seine Bio-Auberginen von illegalen Immigranten gepflückt wurden, davon weiß Biedermann nichts. Selbst wenn er es wüsste, könnte die Information nichts an seinen Entscheidungen ändern. Access denied.

Doch die Spießer waren noch nicht da, es herrschte Dämmerlicht und der Geruch nach Schmieröl hing in der Luft. G. war klar, dass das Straßenbahndepot kein Weltwunder war, das man bis zum jüngsten Gericht hätte erhalten müssen. Aber dass sich die Mittelmäßigen, Nietzsches Viel-zu-Viele und die Stadt Nürnberg wieder einmal ein altes Haus gefangen hatten, um ihm seinen Charakter zu rauben, stimmte G. nachdenklich. Zeit, zu gehen, dachte er bei sich. Durch das Schotterbett stapften sie zurück.