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G.: Zeit für das Wochenende

Freitag, den 8. Januar 2015

G. hat keinen guten Tag. Er ist auf die Wache gekommen, wo alle wie wild putzten, weil ein Besuch des Innenministers angekündigt war. Er hat kopfschüttelnd seinen Frühsport absolviert und ist dann ins Büro gegangen, um ein Betriebssystem auf seinem Laptop zu installieren, da er endlich seinen Quartalsbericht für Weltwärts schreiben und die Daten seiner Kamera sichern muss. Unbemerkt von ihm ist der Minister auf der Wache angekommen, hat sich alles angeschaut und ist wieder gegangen.

Als G. das Büro verließ, fuhr der Minister gerade weg, jede Menge Medienleute standen herum und interviewten die hohen Offiziere. Eine Party tansanischer Staatlichkeit, wie er sie schon auf der Militärparade erlebt hatte. G. kam sich fremd vor. C. sprach ihn an, wo er gewesen sei. G. antwortete, er habe seinen Rechner installiert, ein Ministerbesuch halte die Zeit nicht an. C. ist einer der obrigkeitsskeptischen Feuerwehrleute, ausgebildet in Tokio und Hamburg. G. sprach mit Kollegen, die meinten, der Innenminister sei nicht besonders erfreut gewesen über den Zustand der Wache. Offenbar hatte das Löschfahrzeug in der Anwesenheit des Ministers eine Panne beim Ausrücken, die gerade noch behoben werden konnte. Andererseits hatte der Minister mit einem Werkstattleiter gesprochen und eine Liste an benötigtem Werkzeug und Veränderungen angefordert, an der G. jetzt schreibt. Klar war der Besuch des Ministers eine reine Show, letztlich bedeutungslos und doch auch nicht. Hätte G. mit dem Minister sprechen können? Es sind diese Tage, an denen G. sich verletzlich, dumm und ungeschickt fühlt. Er hat den Besuch des Innenministers verpasst, um Linux auf seinem Rechner zu installieren und mit GIMP herumzuspielen. Er ist nicht mit zum Einsatz gefahren, weil er im Büro saß. Beides besitzt im globalen Zusammenhang betrachtet eine Bedeutung in der Nähe von Null. Doch G. stört es, und ihm Augenblick zwar sehr. Er hat ein Weltwärts-Ziel verfehlt, nämlich, sich ins Team zu integrieren. Er hätte auf dem Hof stehen sollen, dem Minister zuhören sollen, er hätte sehen sollen und gesehen werden. Stattdessen saß er am Schreibtisch und installierte ein Icon Theme. Er hatte ein persönliches Ziel verfehlt, Erlebnisse zu sammeln und Erfahrungen zu machen und hatte stattdessen auf einen Bildschirm gestarrt. Klar kann man das erklären. Die neue Freiwillige war in der vorigen Nacht angekommen und G. hatte den fehlenden Schlaf noch nicht aufgeholt. Er war müde und matschig im Kopf. Andererseits ist das auch eine mittelmäßige Erklärung und G. will nicht mittelmäßig sein. Gestern war er wie auf Wolken, diskutierte mit Freunden, hatte die Welt im Griff. Heute hatte er das Gefühl, dass ihm die Welt davongerannt war, während er Erbsen gezählt hatte. Nicht dass dies von großer Tragik wäre. Ein Haus wird aus vielen Steinen gebaut. Wenn einer porös ist, bringt das noch wenig zum Einsturz.Ein Jahr hat 365 Tage.  Andererseits verlangt jeder Stein, jeder Tag Aufmerksamkeit und G. merkt immer wieder, dass auf das Gefühl der Größe und Unangreifbarkeit allzu rasch Ernüchterung folgt, wenn man zu lange wartet und die Augen und Ohren nicht offen hält.

G. sitzt im Büro und beschließt, sich nicht mehr zu sehr zu ärgern. Er hat heute seinen Dienst nicht besonders gut erledigt, ja. Jetzt sind aber noch zwei Stunden übrig, in denen G. tatsächlich einen brauchbaren Materialplan erstellen und den Weltwärts-Bericht beginnen kann. Und jeder Tag ist eine neue Chance, sich zu bewähren. Fehler werden wieder passieren. Und es wird wieder die Gelegenheit geben, aus ihnen zu lernen und es besser zu machen. Es ist Zeit für eine Pause. Wochenende. Vielleicht trifft er A. noch einmal, bevor sie nach Hause fliegt. Er würde sich gerne noch ein bisschen mit ihr unterhalten.