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Tigo vs. Vodacom / Hybrid währt am längsten

Nachdem nun die erste Arbeitswoche bei der Feuerwehr vorüber ist, gilt es, den nächsten Eintrag einem durchaus weltbewegenden Problem zu widmen: Dem Mobilfunk. Seit unserer Ankunft schwelt nämlich ein Richtungsstreit, der die Wahl des Handynetzbetreibers betrifft. Grundsätzlich gibt es drei große Gesellschaften in Tansania: Vodacom, Tigo und Airtel. Aus mir nicht ersichtlichen Gründen schied Airtel sofort bei der Wahl aus. Ist eigentlich auch klar bei einem Betreiber, dessen Name in der hiesigen Aussprache fast wie RTL klingt. Nun also zum Kampf der Giganten: Voda gegen Tigo.

Hier herrscht auch bei unseren Mentoren keine Einigkeit. Daniel hat einige Jahre bei Vodacom gearbeitet und er schwört auf dieses Netz. Spricht man ihn auf Tigo an, lächelt er fein. Adson dagegen hält Vodacom für völlig überteuert und hält Tigo für die smartere Lösung. Tigo wirbt außerdem mit seinem neuen LTE-Netz und bietet Studententarife, in die man sich allerdings nur über Funkzellen in der Nähe der Uni einwählen kann. Kein Problem für die Feuerwehrleute, da der Campus zwei Blocks weiter ist. Also waren wir im Quality Center, einer großen Einkaufsmeile, und haben beide Stores besucht. Vodacom: Kleiner Laden, aber qualifiziertes Personal, das schmunzelt, als ich frage, wieviel Geld ich auf mein M-Pesa-Konto einzahlen soll. Ich lade es mit 10.000 Shilling (ca. 4 Euro) auf, das scheint schon eher die Obergrenze zu sein. Ich komme mir etwas hilflos vor, aber inzwischen habe ich sogar gelernt, wie man mit USSD-Codes auf seine Tarifbuchung und den mobilen Bezahldienst M-Pesa zurückgreift. Und ich habe mit Anleitung ein Internetvolumen von 2GB für ca. 4 Euro gebucht.

Danach zu Tigo. Hinter den Kulissen war Adson schon als eifriger Lobbyist tätig und hat uns vom Plan abgebracht, vollständig auf Voda zu setzen. Viele einfache Leute verwenden Tigo, deshalb sagen wir uns, dass es aufgrund der Community-Flatrate billiger sein wird. Und tatsächlich kaufe ich auch noch zwei Tigo-Simkarten, um später auch das Internet auf Tigo umstellen zu können. Die eine Karte liegt nach wie vor in einem Haufen aus Papierkram vergraben, wer will, kann sie in Dar es Salaam abholen. Denn zu Hause kam der Showdown. Das Vodacom-Internet funktioniert reibungslos. Mit dem DSL-Anschluss zu Hause in Deutschland kam es gut mit. Bei Tigo dagegen sahen Livestreams zumindest in Ilala verdächtig Bildern von Jackson Pollock ähnlich, bei denen ein Farbeimer explodiert war. Für die Voda-Privilegierten bot sich dann die Gelegenheit, den armen Tigo-Würstchen generös seinen mobilen Hotspot anzubieten, der natürlich die Übertragung gleich um Längen aufbohrte. Während die Tigo-Leute fluchend ihre E-mails eine Stunde lang abrufen, kann man sich ganz nebenbei unterhalten, wie reibungslos der Bilder-Upload auf dem Blog doch funktioniert.

Obwohl ich also stolzer Vodacom-Benutzer bin, muss ich doch eingestehen, dass man Tigo in der Hinterhand haben sollte: Mein altes, klassisches Nokia telefoniert reibungslos und das Internet war vor seiner Zeit, sodass ich mich nicht ärgern muss. Vodacom schenkt mir jeden Tag 10 MB Gratisguthaben, um mir eine Stunde später mitzuteilen, dass es nun aufgebraucht sei. Kein Wunder, dass jemand mehr Geld verlangen muss, wenn er seinen Kunden einen solchen Service zuteil werden lässt. Ich habe auch schon mit Vodacom telefoniert. Aber zu Airtel, denn da sind die Tigo-Tarife ungünstig. Die Integration in einem neuen Land bedingt auch, dass man sein Mobilfunknetz kennt. Und wie immer ist es so, dass die am besten Angepassten überleben. Tigo-Telefonie plus Voda-Internet heißt das Erfolgsrezept. Hybrid währt eben am längsten.

G: Die ersten zwei Tage und der erste Einsatz

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G. hat angefangen, bei der Feuerwache zu arbeiten. Der Montag nach den Wahlen bestand vor allem daraus, sich einzukleiden und die Container mit den Spenden aus Deutschland zu sichten. G. hat eine deutsche Feuerwehrmontur bekommen und einen britischen Helm, der schon einige Schmauchspuren trägt, aber umso heroischer aussieht. G. und S. haben Chipsi Nyumba (Pommes Frites mit Fleisch) zu Mittag gegessen. Im Großen und Ganzen hatte noch niemand von den neuen Freiwilligen ernsthafte Magenprobleme wegen der neuen Lebensbedingungen. Nur am Sonntag war G. schlecht, das kann aber auch gut daran gelegen haben, dass er fast eine ganze Kokosnuss in sich hineingestopft hatte. Überhaupt findet G. das Essen in Tansania ziemlich fantastisch, aber wenn er an Müsli denkt, kommen ihm jetzt schon fast die Tränen. Und Milch, und Joghurt…

Doch zurück zum Thema: G. hat zusammen mit seinem Kollegen S. ein kleines Büro im Verwaltungstrakt, das sie mit einem weiteren Funktionär teilen. Gs. Arbeitsplatz ist die Schlosserwerkstatt, das Building 003, das dem Cheftechniker M. gehört. M. ist ein erfahrener Handwerker und Feuerwehrmann um die 60 Jahre, der auch große Freude an Wasserrettungsübungen hat und mit dem auch unsere Vorgänger einiges erlebt haben. M. und G. haben sich nach Kariakoo begeben, um Farbe für den Schriftzug der neu eingetroffenen Boote zu kaufen, die Preise für Stahl für einen Bootstrailer zu erfragen und nach einer passenden Achse für den Trailer zu suchen. G. hat gelernt, dass es nicht so klug ist, die Waren von Straßenhändlern zu fotografieren, da diese dann einen finanziellen Ausgleich wünschen. M. hat G. aber aus der Patsche geholfen, also hat das Greenhorn noch einmal Glück gehabt. Später haben G. und M. noch zwei Offiziere getroffen. Zurück auf der Wache, ging der Alarm los. G. und S. sind in ihr Büro gerannt, haben die Montur zusammengerafft und sind zum Fahrzeug gerannt. In der Haupthalle bei der Ausfahrt stand ein ihnen unbekannter Deutscher, der sie in Hamburger Dialekt für die lange Ausrückzeit kritisierte. Dank ihres fantastischen Fahrers, der keine Gehsteige scheute und sicher schon als Elchtester gearbeitet hatte, gewannen sie aber wieder Vorsprung vor dem Tankwagen, auf den sie kurz warten mussten, bevor sie zur Einsatzstelle irgendwo in Ilala vorrücken konnten.

Dort war eine Traktorwerkstatt bereits in Flammen, ebenso ein daneben geparktes Auto. Rund zwanzig behelmte und schwer bewaffnete Polizisten hatten die Einsatzstelle geräumt und eine Gasse gebildet, durch das unser Trüppchen, bestehend aus G., S. und D., einem weiteren Feuerwehrmann, zum Brandherd rannte. Insgesamt die Hauptwache nur mit fünf Feuerwehrleuten, darunter der unqualifizierte G., angerückt, sodass es gut war, dass sie auf die Unterstützung des Personals der Feuerwache Temeke rechnen konnten, das zwar deutlich bescheidener ausgestattet war, aber durch seine Zahl die Brandbekämpfung entscheidend erleichterte. Nachdem S. seine Handschuhe vergessen hatte, bekam er die von G., der als Helfer und Fotograf fungierte. Gs. Idee, eine Steckleiter zu verwenden, um ein Glutnest von oben besser bekämpfen zu können, wäre theoretisch sogar gut gewesen. In der Tat war die Leiter aber auf dem Dach des Feuerwehrfahrzeugs aus Temeke mit so vielen gordischen Knoten befestigt, dass die Gefahr schon durch Balanceakte auf einer einsturzgefährdeten Mauer gebannt war, als die Leiter endlich gelöst war. Zu diesem Zeitpunkt war G. bereits triefnass und der Mangel an Trinkwasser machte sich zunehmend bemerkbar. Irgendwann bekam jeder einen Liter, der wie Nektar wirkte. Nachdem sich die Menge langsam zerstreute, ging das Leben auf der Straße weiter und G. und S. bekamen von einem Kollegen ein Eis spendiert. Nachdem das Fahrzeug, mit dem G. und S. angekommen waren, neben einem Bordell parkte, konnte G. auch diesen Aspekt der Millionenstadt Dar es Salaam erleben. Dazu muss man allerdings sagen, dass G. der Zweck des Gebäudes nicht weiter aufgefallen wäre, wenn er nicht vom Fahrer darauf hingewiesen worden wäre. Schließlich fuhr die Mannschaft wieder zurück zur Wache, wo G. von seinen Kollegen freundlich gefragt wurde, wie es gewesen sei. Auf die Antwort „Yoto!“ (heiß) lachten sie sehr. G. hat inzwischen bemerkt, dass seine Kollegen sich besser an die Hitze adaptiert haben, aber entgegen allen Klischees alle in seiner Umgebung die Hitze auch als heiß wahrnehmen, wenn auch vielleicht nicht als ganz so unerträglich wie die Greenhorns aus Deutschland. Anmerkung: Den ersten Einsatz hat G. gar nicht mit seinem alten Helm absolviert, aufgrund einer großen Spendenlieferung hat er jetzt ein Upgrade auf ein neueres Modell durchführen können, dass ein reflektierendes Visier hat. C., der laut dem Vorgänger P. einer der besten Feuerwehrmänner Tansanias ist, hat G. zudem eine Menge Arbeitskleidung verschafft, über die er sehr glücklich ist.

Müde und zufrieden mit dem Tag gingen G. und S. nach Hause.

Die Bilder der ersten zwei Arbeitstage gibt es hier: Images: The first two days at City Fire

Wer lesen will, wie S. (Samuel) den ersten Einsatz erlebt hat, kann seinen Bericht unter folgendem Link lesen:

https://feuerwehrdaressalam.wordpress.com/2015/10/27/brandeinsatz-auf-tansanisch/

Wahltag

25.10.2015: Heute finden in Tansania Präsidentschaftswahlen statt. Erstmals seit der Unabhängigkeit hofft die Opposition darauf, den nächsten Präsidenten zu stellen. Dementsprechend herrschte und herrscht eine spannungsvolle Wahlkampfatmosphäre. Die politischen Lager gruppieren sich um die aktuelle Regierungspartei CCM (Chama Cha Mapinduzi / Partei der Veränderung) und das Oppositionsbündnis UKAWA mit der größten Oppositionspartei CHADEMA (Partei der Demokratie und des Fortschritts). Die CCM ist der Tradition nach sozialistisch, im Zentrum des Programms stehen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Fortschritt. Als Spitzenkandidaten stellt die CCM den ehemaligen Arbeitsminister John Magufuli als Nachfolger des Präsidenten Jakaya Kikwete, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten kann. Da die CCM als sehr korrupt gilt, steht im Wahlprogramm der CHADEMA die Korruptionsbekämpfung und die Ablösung der CCM im Vordergrund. Spitzenkandidat ist Edward Lowassa, der nach einem internen Machtkampf von der CCM zu CHADEMA gewechselt ist. Lowassa gilt allerdings ebenfalls als korrupt und trat 2008 wegen eines Korruptionsskandals als Premierminister aus dem Kabinett Kikwetes zurück.

Immer wieder finden Kundgebungen statt, in den letzten drei Tagen sind wir jeweils zufällig auf zwei Chadema-Demonstrationen gestoßen. Deren Anhänger scheinen angesichts einer möglichen Machtübernahme besonders engagiert für ihre Partei zu werben. Die derzeitige Regierungspartei CCM ist dagegen mit Plakaten deutlich stärker im Straßenbild vertreten. In den Medien ist die Wahl ein dominantes Thema, vor Fernsehbildschirmen in Läden und Restaurants versammeln sich zu den Ansprachen der Spitzenkandidaten zahlreiche Menschen. Im Privatleben werden die politischen Positionen ebenfalls offen vertreten. Allerdings zeigten sich einige Gesprächspartner auch verunsichert durch zahlreiche Gerüchte, die kursieren. So wird beispielsweise der CHADEMA vorgeworfen, im Falle ihres Siegs alle Nichtafrikaner aus Tansania vertreiben zu wollen, wie eine arabische Nachbarin im Gespräch besorgt berichtete.

Bereits gestern fiel in den Straßen die starke Polizei- und Militärpräsenz auf. Es herrscht vielerorts eine gewisse Unruhe, ob die unterlegene Partei ihre Niederlage akzeptieren wird. CHADEMA hat ihre Anhänger aufgerufen, in der Nähe der Wahllokale zu bleiben, um Wahlbetrug zu verhindern. Da es kein zentrales Wahlregister gibt, sind Mehrfachwahlen theoretisch durchführbar, sodass trotz des Einsatzes zahlreicher lokaler und europäischer Wahlbeobachter die Gefahr von Unregelmäßigkeiten besteht. Alle Gesprächspartner haben sich im Gespräch zuversichtlich gezeigt, dass es zu keinen nennenswerten Unruhen kommen wird, eine generelle Unsicherheit war dennoch zu spüren. Zahlreiche Geschäfte schlossen gestern früher.

Aufgrund der Sicherheitsempfehlungen der deutschen Botschaft und in Absprache mit unseren tansanischen Mentoren verbringen wir den Tag heute zu Hause und mit ausreichenden Vorräten. Bisher haben wir nichts ungewöhnliches bemerkt, außer einer Frau, die „People Power!“, den Slogan der CHADEMA rufend, an unserem Haus vorbeilief. Deshalb sind wir derzeit zuversichtlich, morgen wie geplant zur Arbeit gehen zu können, auch wenn bereits angekündigt wurde, dass das Fußballtraining am Abend wegen der Wahl ausfallen wird.

Nachtrag

Der kritische Tag wird wahrscheinlich erst der Mittwoch sein, da an diesem Tag die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen bekanntgegeben werden, während die Mitglieder des neuen Parlaments u.U. schon heute Abend feststehen. Aufgrund eines Gesprächs mit unserer Nachbarin vermute ich, dass CCM tendenziell von der Mittel- und Oberschicht sowie Staatsangestellten gewählt wird, während besonders Bewohner von sozial schwachen Gegenden auf CHADEMA setzen, da sie von einer CCM-Regierung keine Verbesserung der Lebensbedingungen und der Beschäftigungslage erwarten. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um Vermutungen, die empirisch nur schwach untermauert sind.

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Kundgebung von CHADEMA-Anhängern in Ilala
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Zeitungsstand
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Ein Sarg mit der Aufschrift „CCM“ wird von CHADEMA-Anhängern zu Grabe getragen.
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Blick aus unserem Innenhof über das Tor

G: 24 Stunden

G. ist um zwanzig vor sieben Uhr aufgestanden. Er hat sich pflichtbewusst von seiner Familie verabschiedet und war erstaunt, wie wenig man sich am Ende eigentlich zu sagen hat. Flughafen Nürnberg: G. verabschiedet sich von seinen Freunden. Wenn er auf eine große Reise geht, hat G. immer ein wenig das Gefühl, einen Tunnel zu betreten, in dem die Zeit auf Augenblicke schrumpft und sich gleichzeitig aufbläht auf mehrfache Länge. Dazu passend dann der Film Interstellar auf dem Flug von Istanbul nach Dar es Salaam. G. ist sich nicht sicher, ob die Special Forces-Atmosphäre, die der Film verbreitet, gut für die Vorbereitung auf die Zeit in Tansania ist. Es geht wohl eher darum, das Bild des westlichen Eliteschülers abzulegen und zu akzeptieren, dass man manchmal einfach nur ein Mensch unter vielen ist, und niemand, der andere beiseite schiebt, um ein freies Schussfeld für seinen Missile Lauscher zu bekommen. Nach Stunden des Sitzens ist G. froh, ein bisschen im Mittelgang herumzustehen und mit der Besatzung zu quatschen. Außerdem ist es nicht schlecht, wenn man, gerade für ein Jahr aufgebrochen, etwas mit Menschen macht, um das weggefallene soziale Umfeld zu kompensieren. Der Mond liegt waagerecht auf dem Horizont, das Flugzeug überquert bald den Äquator. G. schreibt seinen Nachruf zu Ende, dann beginnt der Landeanflug auf Dar es Salaam.  Aus der Schwärze tauchen Lichter auf, die sich immer mehr verdichten, irgendwann werden die einzelnen Häuser sichtbar, der Sicherheitszaun um den Flughafen und sie setzen auf der Landebahn auf. Herzlich verabschieden sich G. und seine Kollegen von der Besatzung, die Facebook-Namen sind ausgetauscht, man wünscht sich eine gute Nacht. Visa-Antrag, Gepäckscan. G. ist der erste an der Ausgangstür. Es ist warm und dunkel. Es ist der erste Moment, in dem G. bewusst wird, dass er in eine neue Welt aufgebrochen ist. Er steht in der Tür, zwei Koffer, Rucksack, westliche Kleidung. Auf der anderen Seite des Zauns Taxifahrer, Reiseführer. G. kämpft gegen ein Gefühl von Verlorenheit an. Eine Gruppe kommt auf ihn zu und G. erkennt Moses, den Mechaniker der Feuerwehr. Die Ankömmlinge werden vom Empfangskomitee herzlich begrüßt. Das Gepäck wird auf zwei Autos verteilt, G. nimmt in einem Feuerwehrtransporter Platz. Durch die nächtlichen Straßen geht es zur Wohnung der Krankenhausfreiwilligen. Leere, breite Straßen ziehen vorbei. G. ist aufgeregt und müde. Um 5 Uhr trinkt er mit Daniel, seinem Mentor, einen Tee und sie schauen auf die Dächer der Stadt, über denen der Himmel immer heller wird. Dann schläft G. auf einer Matratze ein. Er und S. werden noch ein paar Tage hierbleiben, bevor sie ihr Haus in Magomeni beziehen.

Speerwurf

Wickstadt

G. hat ein ihm neues Spiel kennengelernt. Speerboule ist eine Sportart aus Montana, bei dem es gilt, seinen Speer möglichst nahe am Speerschaft des Schweinchenspeers zu platzieren. Gar nicht so einfach. G. hat die Mittagspause genossen. Heute hat M. die Speere wieder mitgenommen, aber G. hat schon das Prinzip der Speere kopiert und wird das Design demnächst in China für den europäischen Massenmarkt in Auftrag geben. Spätestens dann, wenn er aus Tansania zurück ist und durch die interkulturellen Kompetenzen seine Skills auch im Asiengeschäft nutzen kann.

Vorbereitungsseminar in Wickstadt

Am Montag bin ich in Wickstadt angekommen. Der erste Tag des Vorbereitungsseminars war sehr intensiv. Da der praktische Teil des Programms in kürzerer Zeit als erwartet zu bewältigen war, habe ich mir ein wenig den Ort angesehen. Wickstadt ist sehr idyllisch und sehr verschlafen. Einmal in der Woche gibt es einen Boule-Abend auf dem Platz beim Dorf. Das Betreten des Grafenschlosses ist verboten, das Menu im Edelrestaurant des Anwesens ist wahrscheinlich auch keine wirkliche Option für die Weltwärts-Freiwilligen, zumindest nicht finanziell. Allerdings muss uns das nicht kränken, da wir exzellent bekocht werden.

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Materiallager der Mehlfabrik

 

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Kath. Kirche

 

 

 

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Schloss der Grafen von Assenheim

 

 

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Darstellung meiner Identität

 

G. – Zielgerade/Statusbericht

Heute morgen ist G. in Wickstadt angekommen. Eine Woche Vorbereitungsseminar steht an. Zuerst hat G. mit L. den richtigen Bahnhof verpasst, aber so hat man Offenbach wenigstens einmal vom Zug aus gesehen. G. hat seinen Vorgänger aus Dar es Salaam getroffen. Langsam nimmt das Bild von Tansania Konturen an, G. kann sich nun vorstellen, ein Jahr dort zu verbringen. Es ist noch einiges zu tun. G. wird aufatmen, wenn das Flugzeug von der Piste abhebt. Soweit der Status. G. findet, dass es Zeit ist, schlafen zu gehen.

Die Hochburg des Mittelmaßes

1.10.2015

G. hat Abschied genommen vom alten Straßenbahndepot. Er ist mit M. und E. noch einmal durch das Loch im Zaun geschlüpft und durch die leeren Hallen gegangen. Sie haben sich vorgestellt, welche Parties und Kunstausstellungen man hier veranstalten könnte. G. glaubt nicht, dass P&P Immobilien viel von solchen Träumen hält. Die neuen Tramlofts bringen sicher mehr Geld. Die tollen Tramlofts, eine Hochburg des Mittelmaßes. Wenn G. schon die Werbeplakate mit den Computerentwürfen sieht, wird ihm schlecht. Die Radikalität und Klarheit von Industriearchitektur wurde entkernt und in ein bürgerliches Format gepackt. Dort kann Biedermann vor dem UHD-Fernseher sitzen und zuschauen, wie die Flüchtlinge nach Europa kommen. Anschließend kann er im Trennungen Ökoladen noch Bio-Auberginen für ein richtig kreatives Pastagericht mit Balsamicocreme kaufen. Dass seine Bio-Auberginen von illegalen Immigranten gepflückt wurden, davon weiß Biedermann nichts. Selbst wenn er es wüsste, könnte die Information nichts an seinen Entscheidungen ändern. Access denied.

Doch die Spießer waren noch nicht da, es herrschte Dämmerlicht und der Geruch nach Schmieröl hing in der Luft. G. war klar, dass das Straßenbahndepot kein Weltwunder war, das man bis zum jüngsten Gericht hätte erhalten müssen. Aber dass sich die Mittelmäßigen, Nietzsches Viel-zu-Viele und die Stadt Nürnberg wieder einmal ein altes Haus gefangen hatten, um ihm seinen Charakter zu rauben, stimmte G. nachdenklich. Zeit, zu gehen, dachte er bei sich. Durch das Schotterbett stapften sie zurück.

Schweden I

G. ist in Stockholm Arlanda angekommen. Zusammen mit seiner Schwester sitzt er in der Lounge der Schwedischen Staatsbahn SJ und schaut aus dem Fenster auf das trübe Rollfeld, wo langsam die Lichter angehen. G. schlägt vor, ein Computerglossar für Anfänger zu beginnen. Zum Geburtstag hat er seiner Schwester einen Gutschein für das gemeinsame Zusammenbauen eines Rechners geschenkt. Es wird Zeit für sie, hatte er gedacht, mit dreizehn muss man IT langsam drauf haben, dann kommt man auf die coole Seite der Macht. Als sie zu schreiben beginnen, fallen G. die Begriffe nur spärlich ein. Er bemerkt auch, dass er von vielen Fachwörtern eigentlich keine große Ahnung hat. Klar kann er grob damit umgehen, aber ein Glossar mit einer exakten Erklärung schreiben? G. fühlt sich etwas anmaßend. Seine Freunde sehen ihn als Nerd, weil er ein bisschen mehr weiß als der Rest. Wenn G. mit richtigen Nerds zu tun hat, fühlt er sich manchmal als jemand, den man euphemistisch als Social Thinker bezeichnen könnte. Jedenfalls nicht wie jemand, der im Handumdrehen ein paar dysfunktionale Treiber patcht. Supermarkt gibt es keinen am Flughafen, nur überteuerte Schrottläden. G. hat Hunger. Mit seiner Schwester macht er sich auf den Weg zum Bahnhof. Durch lange Gänge und mit einer ewigen Rolltreppe in den Granit des skandinavischen Schildes kommen sie auf den Bahnsteig. Bei der Zugangskontrolle werden sie kurz angehalten. G. zeigt die Billetts vor und ist selbst überrascht davon, wie flüssig sein Schwedisch zumindest in den eigenen Ohren klingt. Der Bahnhof ist futuristisch und archaisch gleichzeitig. Die Deckenbeleuchtung spiegelt sich auf dem blankpolierten, etwas welligen Boden, über den Köpfen hängt mit den Jahren schwarz gewordener Spritzbeton. Zwei deutsche Backpackerinnen kommen auf den Bahnsteig. G. erkennt sie zunächst an der Sprache. Es ist aber auch so klar, denn niemand sonst läuft mit einem fetten Alpakaschal als Mantel, Leggins und Wanderschuhen herum. G.s Schubladensystem triumphiert. Lustig, dass es so klare Gattungen von Menschen gibt. Die Kreativ-Öko-Selbständig-Backpacker aus Deutschland zum Beispiel. Wahlweise kommunistisch oder unpolitisch. In jedem Fall irgendwie grün und alternativ. Schluss mit dem Sarkasmus, denkt sich G. und nimmt sich vor, ab sofort wieder menschenfreundlich und von Akzeptanz und Respekt erfüllt zu sein. Donnernd und schwarz fährt der Intercity ein. G. mag solche Züge. Das ist eine andere Art zu reisen, als mit den schmutzig-weißen Fernzügen der deutschen Bahn, die auf 21. Jahrhundert gestylt wurden, ohne richtig dort angekommen zu sein. Doch wir waren ja bei Toleranz und Weltoffenheit. Du solltest aufhören, zu haten, denkt sich G.. Er und seine Schwester steigen ein.

Unterwegs: Bernhards Porträt, eine Begegnung

Bernhard
Bernhard sitzt im ICE nach Frankfurt. Beim Durchgehen der Unterlagen merkt er, dass er seinen Geldbeutel mit Fahrschein und Bahncard im Hotel liegen gelassen hat. Scheiß Dienstreisen, denkt er sich. Bernhard hat 36 Stunden nicht geschlafen. Präsentationen beim Kunden, anschließend Geschäftsessen und in der Nacht noch die Videokonferenz beim Produzenten in Singapur. Dass er vor 8 Monaten bei einem großen Gerätehersteller den Job als Produktionscontroller übernommen hat, passt seiner Frau gar nicht. Ihr gemeinsamer Sohn Jan könnte in ihren Augen einen deutlich präsenteren Vater gebrauchen. Er wird bald vier und im Prinzip hatte Rebekka davon geträumt, dass sich Bernhard nach der Geburt ihres Kindes mehr Zeit nehmen würde. Als Kind war sie immer mit der Familie wandern gewesen. Als sie Bernhard kennengelernt hatte, war sie von seiner Kulturbegeisterung fasziniert. Das kannte sie aus ihrer Handwerkerfamilie im Taunus nicht. Aber das war mit den Jahren mehr und mehr geschwunden, je länger sich ihr Mann von Managerposten zu Managerposten hangelte. Manchmal hat sie Zweifel. Sie liebt Bernhard, keine Frage und Bernhard liebt sie doch wohl auch? Die Geschenke und Gadgets, die er nach den Reisen mitbringt, zeigen ja, dass er sich bemüht. Aber könnten sie nicht einfach einmal gemeinsam kochen und einen Abend auf der Terasse verbringen?
Bernhard denkt: Mist, wenn ich jetzt auf Dienstreise beim Schwarzfahren erwischt werde, geht das nicht. Er zahlt zähneknirschend die 136€, die ihm die bärtige Schaffnerin für ein Ticket abnimmt. Immer geht es ihm so: Irgendein Fehler, der seine Pläne über den Haufen wirft. Eigentlich hat er Ideen, kluge Pläne. Doch schon in der Schule war es so, dass ihm keiner seine Visionen so richtig abkaufen wollte. Er galt als mittelmäßig und langweilig. Daran änderten auch Ralph-Lauren-Polohemden nichts. Die Brille war ebenfalls nicht hilfreich. Bis er Rebekka kennenlernte. Sie war niemand, der auf solchen Trallala, wie sie es nannte, achtgab. In dem Viertel, in dem sie geboren war, gab es tausend schrullige Leute. Was spielte es für eine Rolle, ob der Typ, den sie in der Unimensa kennenlernte, blaue oder grüne Haare hatte. Er war ein ehrlicher Kerl, auch wenn er es oft anscheinend nicht leicht hatte. Rebekka war mehr der Beschützertyp. Als sie vor sechs Jahren geheiratet hatten, fand sie es aufregend, dass sie nun mit jemandem, der so völlig anders war als sie, ihr Leben teilen würde. Mit ihrer Stelle bei einer Bausanierungsfirma hatte sie sogar gelegentlich unter der Woche frei. Zeit, mit Bernhard etwas zu unternehmen. Meistens hatte sie an diesen Tagen seine Emails aus irgendeiner chinesischen Stadt oder aus dem Firmenhauptsitz in Berlin gelesen. Verdammt, warum musste sich Bernhard immer so in Arbeit vergraben.
Bernhard schaut aus dem Fenster. Signale und Lichter spiegeln sich in der Scheibe. Er sollte sich mal wieder rasieren. Vororte von Frankfurt ziehen vorbei. Bernhard freut sich auf zu Hause.