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G.: Ein langer Tag

G. hatte gut geschlafen, bis um 6.40 Uhr der Wecker klingelte. Das war der Luxuswecker, denn es waren Trainingswochen und sie würden ein wenig später auf die Wache kommen, weil sie gleich nach Kinondoni zur Übung aufbrechen sollten. Der Fahrer war schon früh da, gemeinsam mit T. hieß es aufsitzen (Ausdruck aus der Zeit, als die Feuerwehr noch Kutschen benutzte) und sie fuhren los. Weil sie aber im Stau stecken blieben, war das Frühstück in Kinondoni gerade schon zu Ende. Der Wachleiter verkündete ihnen, dass es aber ab dem nächsten Tag etwas zu Essen für sie geben würde. Für heute nahm G. also mit einem Flüssigessen in Form einer Limonade vorlieb. Dann besprach G. den Zustand des Lagerraums mit dem Operations Officer, der ihm freundlich zuhörte und dann gemeinsam mit seinen Kollegen mit dem Aufräumen begann, während die anderen Feuerwehrleute übten. G. ist meist vorsichtig mit Kritik, denn er möchte weniger die Umstände anprangern als ein Verständnis dafür wecken, was realistisch verbessert werden kann. Konstruktive Kritik hält er neben Panzern und Sturmgewehren für eines der wichtigsten und hilfreichsten Exportgüter der Bundesrepublik Deutschland. Trotzdem kommt er sich manchmal wie ein Besserwisser vor, was er wohl auch gelegentlich ist, wenn man sein Umfeld fragt. Anschließend ließen sich G. und T. einen Löschangriff der Tagschicht vorführen, der im Großen und Ganzen auch gut verlief, bis auf die Tatsache, dass ein inkompatibler Verteiler eingebaut wurde. Der Kampfgeist war allerdings gut, auch wenn es G. immer ein wenig stört, dass viele Feuerwehrleute für die Gäste besonders großen Elan an den Tag zu legen scheinen, der im Routinebetrieb gelegentlich abhanden zu kommen scheint. Gemeinsam gingen sie die Truppaufteilung während des Löschangriffs durch. An den kleinen Wachen schätzt G., das die Organisation weniger kompliziert ist und ein größerer Teamgeist als im Bienenstock Ilala herrscht, wo viele ihr eigenes Süppchen zu kochen scheinen und die Veruntreuung von Ressourcen und Arbeitsunwille in der Masse kaum auffallen. In Kinondoni bemerkt man dagegen schon einmal, wie das Privatauto des bei den Mannschaften als inkompetent bekannten Wachchefs mit Diesel aus dem Feuerwehrdepot betankt wird.

Dann gab es Mittagessen. Dieses war endlich fest, es gab Innereien mit Reis. Leider war das Essen schon etwas kalt, als G. und T. ins Büro kamen, weshalb G. beim Verschlingen der zähen Innereien mehrmals würgen musste. Er findet es löblich, dass alle Teile eines Tieres verwertet werden, aber gewöhnungsbedürftig ist es für ihn nach wie vor. Im nun mit reparaturbedürftigen Atemschutzgeräten und zwei Bürokräften auf dem Nachhauseweg recht eng besetzten Auto ging es wieder zurück nach Ilala. Dort angekommen, machte sich T. auf den Heimweg, nachdem sie die Atemschutzgeräte in der Werkstatt abgeliefert hatten. G. packte gerade im Büro seine Sachen zusammen, als der Alarm losging. Er brauchte ein wenig, um in seine Flammschutzkleidung zu kommen, weil alles schon zum Trocknen auf Links gewendet war. Mit dem zweiten Transporter ging es los, Richtung Mbagala, zunächst auf der Busspur. Bald war das Tankfahrzeug eingeholt, die Verfolger wurden zum Vorausfahrzeug. Ein adrenalingestärkter Offizier brüllte im Richtung Süden dichter werdenden Verkehr den Weg frei. An einem Stau schlängelten sich die beiden Einsatzfahrzeuge auf dem Mittelstreifen vorbei. Dann verpassten sie den Abzweig, wendeten und kamen auf dem Hof des Busdepots an, in dessen Hof eine Starkstromleitung gefallen war. Der Strom war inzwischen abgeschaltet, doch man konnte sehen, wie die Leitungsdrähte durch den Lichtbogen beim Bodenkontakt geschmolzen waren. Im Begriff, aufzubrechen, kam über den Funk ein neuer Einsatz herein, nicht weit entfernt. Eine im Bau befindliche Transformatorstation war vermutlich wegen des Kurzschlusses und fehlender Sicherungen in Brand geraten. Eine Tür des Gehäuses war geöffnet, giftig riechender Qualm kam heraus. Die Bedienmannschaft hatte bereits einen Pulverlöscher versprüht. Der Strom war glücklicherweise schon abgeschaltet. G. rief seine Kollegen, Atemschutz anzulegen, denn mit Trafobränden ist nicht zu spaßen. Als sie wieder hinter dem Fahrzeug hervorkamen, war bereits ein Löschangriff aufgebaut. Nur das Schaumrohr funktionierte nicht, weil jemand beim Zumischer für das Schaummittel die Durchflussrichtung nicht beachtet hatte. Außerdem parkte das Tankfahrzeug in einer Kuhle, sodass die Pumpe nicht ordnungsgemäß funktionierte, was aber rasch behoben wurde. Nur aus Gs. Schaumrohr sprühte Wasser, aus dem Schaumkanister quoll Schaum. Vielleicht nicht der gewünschte Effekt. Also behalfen sie sich erst einmal mit Wasser und knackten nach und nach mit dem Bolzenschneider die Türen des Trafogehäuses. Schließlich war alles gekühlt, mit Schaum eingesprüht und der Einsatzleiter konnte das Gelände wieder an den Netzbetreiber übergeben. Zurück auf der Wache versammelten sich die Feuerwehrleute im Büro des Operations Department und besprachen den Einsatz. Als sie fast fertig waren, klingelte wieder der Alarm alle stürzten in die Fahrzeughalle. Es war ein Rettungseinsatz. Das Kind war in den Brunnen gefallen, sprichwörtlich. Über die Busspur erreichten sie rasch den Stadtteil Manzese, der als soziales Brennpunktviertel bekannt ist. Entsprechend der Bevölkerungsdichte warteten schon geschätzt 300 Schaulustige im Umfeld der Einsatzstelle. Der Gruppenführer ging vor, G. bahnte sich mit einem Erste-Hilfe-Koffer den Weg durch die Menge. An dem gemauerten Wassertank fielen G. die Fliegen auf, die auf dem Körper des Opfers saßen. Es war am dritten Tag gefunden worden, als der Körper wegen der Verwesung wieder an die Oberfläche kam. Zivilpolizisten mit Sturmgewehren (Heckler&Koch G3) waren vor Ort und schufen auf Gs. Bitte ein wenig Platz für die Feuerwehrleute. An Leben war nichts mehr zu retten, also berieten sie sich, wie der Körper möglichst effizient und ohne große Kontamination des Einsatzmaterials aus dem Tank zu holen sei. Schließlich nahmen sie ein hölzernes Spineboard (eine Art Brett, auf dem man Verletzte bei der Rettung befestigen kann) und ein Feuerwehrmann legte Mundschutz, Latexhandschuhe und einen Einweg-Chemikalienschutzanzug an, als Schmierschutz. Ein Mann zerschnitt einen Zementsack. Der Kollege im Schutzanzug führte den Sack in die Körpermitte und stabilisierte die Beine. Das Herausheben war recht einfach, denn aufgrund der Leichenstarre war der Körper fast wie ein Brett. Dass er mit dem Gesicht nach unten lag, war positiv, denn Gesichter geben Menschen eine Identität und lassen sie emotional näher erscheinen. So legten die Feuerwehrleute den Körper auf das Spineboard und deckten ihn mit einem Stofftuch, dass ihnen einer der Umstehenden reichte, zu. Anschließend wurde die Leiche auf die Ladefläche eines Polizeijeeps verfrachtet. Die Feuerwehrleute warfen die kontaminierten Handschuhe auf einen Müllhaufen, dann stiegen sie in ihre Autos (Es waren inzwischen ein weiterer Transporter aus Ilala und das Löschfahrzeug aus Kinondoni eingetroffen). Das Blaulicht des Rescue Tenders leuchtete freundlich in der einbrechenden Dämmerung. In der Dunkelheit fuhr G. nach Hause. Es war ein langer Tag. Milch war im Kühlschrank und er kaufte noch ein paar Früchte. Unter der Dusche hörte er „Dear Old Stockholm“ von Miles Davis. Er wechselte das kaputte Speichermodul seines Laptops. Dann war es Zeit für das Abendessen.