Die Burg des Westens

G. steht im Regen

Oysterbay
Die Burg des Westens

Als G. am Control Room vorbeiging, sah er, dass alle hektisch telefonierten. Mr. M. wies G. an, seine Sachen zu holen, sie würden zu einem Brand ausrücken. Durch den strömenden Regen rannte G. ins Büro, zog seine Montur an und stieg sogar als Dritter ins Auto. Schließlich fuhren sie zu sechst los, eigentlich Unterbesetzung für einen Dreisitzer. Der Control Room gibt immer einen Zettel mit auf dem Weg, der die Adresse des Einsatzortes, die Telefonnummer und eine grobe Einsatzbeschreibung enthält. Heute stand dort keine Telefonnummer und eine widersprüchliche Adresse. Die Straße kannte G., aber sie lag in einem anderen Stadtteil als angegeben. Das alles merkten sie, als sie über die nach dem starken Regen überschwemmte United Nations Road pflügten. Als der Fahrer fragte, wohin sie jetzt abbiegen sollten, kam sich G. ein wenig verloren vor in der großen Stadt. Er schlug vor, dass man einfach zu der Straße fahren sollte, die irgendwo in Masaki oder Oysterbay lag. Eine andere Chance gäbe es ohne digitale Karte nicht. Also fuhr das große Feuerwehrauto (Mercedes Actros mit 10.000 Liter Wassertank) durch die Villensiedlung auf der Suche nach der richtigen Straße. Schließlich kamen sie wieder an der Küste an, die an dieser Stelle einen Bogen macht. Sie fuhren die Straße hinunter und schafften im zweiten Anlauf das Abbiegen in die richtige Straße. Das Löschfahrzeug der Wache Kinondoni war bereits eingetroffen und stand blinkend im Regen. Als die Feuerwehrleute ausstiegen, bemerkten sie, dass überhaupt keine Aktivität herrschte. Vielmehr waren die Leute aus Kinondoni in eine Verhandlung mit Wachmännern einer Gated Community verwickelt, die sie nicht auf das Gelände vorlassen wollten. Die Ilala-Mannschaft stellte sich in der Schlange an. Einer der Wachleute bemerkte G. und fragte, wer der Weiße sei. Die Stimmung war bereits angespannt. Ein findiger Kollege antwortete darauf, das sei der Gruppenführer und G. erklärte, dass sie das Einsatzteam der anderen Wache seien. Nachdem sich G. am Wachhäuschen registriert hatte, wurde er auf eine amerikanische Vorortstraße gelassen, wo reges Treiben herrschte. Durchnässte Weiße und Wachleute in Regenmänteln liefen durcheinander. Feuer war nicht zu sehen. Der weiße Besitzer des Hauses begrüßte G. und erklärte ihm, im Badezimmer sei ein kleines Feuer ausgebrochen, welches aber bereits gelöscht sei. Er solle es einmal anschauen. G. ging nach oben, wo noch beißender Rauch unter der Decke hing. In einer Ecke des Badezimmers stand verkohltes Gerümpel herum. Wieder draußen angekommen, bot G. dem Hausbesitzer an, das ohnehin in Mitleidenschaft gezogene Badezimmerfenster einzuschlagen, damit der Rauch besser entweichen könne. Der Besitzer stimmte zu und meinte, er solle alle Leute mitbringen, die dazu nötig seien. Draußen vor dem Tor war die Stimmung bereits unter Null. Gs. Kollegen meinten, sie sollten aufbrechen, wenn man sie so bei der Arbeit behindere. G. nahm ein Seil und eine Axt aus dem Auto und erklärte, dass die Feuerwehr für alle da sei und man sich nicht wegen schlechten Benehmens aus dem Staub machen könne. Der Gruppenführer war sauer, weil er ignoriert worden war, er meinte, G. könne alleine machen, sie würden zur Wache zurückkehren. Eine bessere Verquickung von Rassismus, Bürokratie und beleidigtem Stolz konnte sich G. kaum vorstellen. Er stand im Regen und dachte kurz nach. Dann drohte er den unwilligen Kollegen eine Disziplinarbeschwerde an, falls sie die Einsatzstelle verließen und versprach, das Problem anzusprechen und später auf der Wache zu diskutieren. Zwei Feuerwehrleute aus Kinondoni nahmen eine Leiter mit, sodass G., der im Klettern am geübtesten war, auf das Garagendach steigen und mit dem Einreißhaken das Fenster einschlagen konnte. Ob das wirklich sinnvoll war, bezweifelte er im Nachhinein, aber anhand des geringen Bruchwiderstandes war ohnehin erkennbar, dass das Glas unter der Hitze arg gelitten hatte. Die integrierte Schutzbrille seines Helms erwies sich für G. hilfreich, als ein heißer Glassplitter daran abprallte. G. sprach den Hausbesitzer auf das Rassismus-Problem bei der Einlasskontrolle an. Diesem war der Fehler des Wachdienstes sichtlich peinlich, doch er versprach, dass man eine andere Prozedur einführen werde, damit die Rettungskräft nach Bedarf einrücken könnten. Er bot sogar eine gemeinsame Übung an. Der Besitzer fragte, ob die Feuerwehr noch zwei angekohlte Matratzen nach unten bringen könne. G. diskutierte mit seinen Kollegen, ob sie zwei Feuerwehrleute unter Atemschutz hinaufschicken sollten, um die Aufgabe zu erledigen. Langsam hatten sie es eilig, denn es war unsinnig, zwei von drei Feuerwachen mit einem Nichtmehr-Notfall zu binden. Als die Kinondoni-Leute einwilligten, ihre Geräte zu holen, stellten sie fest, dass bereits Sicherheitsleute die Matratzen vor die Tür geschafft hatten. Der tansanische Arbeitsschutz hatte gewonnen. Anschließend stellte sich der Hausbesitzer als hoher Sicherheitsoffizier der amerikanischen Botschaft vor, was zumindest im Nachhinein einen Teil der Paranoia erklärte und bei den Feuerwehrleuten in der Diskussion auf der Heimfahrt ein wenig für Beschwichtigung sorgte. Auf der Wache versammelte G. schließlich das Team noch für eine Nachbesprechung, da er die Erlebnisse insbesondere im Zusammenhang mit offenem Rassismus nicht einfach auf sich beruhen lassen wollte. Im heimeligen Büro des Operations Department fanden sich auch der Wachleiter und der Head of Operations sowie zwei wachhabende Offiziere ein. G. versuchte, deutlich zu machen, dass es sich einerseits klar um Rassismus handelte, der aber letztlich durch eine Erwartung der Wachleute an ihre Auftraggeber ausgelöst war. Diesen war es völlig egal, ob die Helfer schwarz oder weiß seien, solange sie ihre Probleme lösten. Die Wachleute führten dagegen ihren Auftrag, die westliche Bastion gegen alles zu verteidigen, was tansanisch schien, geflissentlich aus. Sie hatten und haben nach Gs. Beobachtung vor allem Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie einen Fehler machen. Die fehlende Kommunikation innerhalb der Gated Community wurde von allen Seiten kritisiert. Als Konsequenzen wurde beschlossen, die Feuerwehrleute besser mit offiziellen Markierungen auszustatten, die sie auf ihrer Kleidung als staatliche Feuerwehrleute kenntlich machen würde. Für das Vorgehen in ähnlichen Fällen wurde ein Mahnungsschreiben an den Sicherheitsdienst angekündigt und die Option, Personen, welche die Feuerwehrarbeit behindern, umgehend verhaften zu lassen, was G. angesichts der guten Vernetzung von Militär und Polizei durchaus realistisch, wenn auch wegen der aufgewühlten Stimmung etwas martialisch erschien. Anschließend brach noch ein Streit zwischen dem Wachleiter und der Feuerwehrmannschaft aus, es ging um unzulängliche Schutzausrüstung. Der Wachleiter warf den Mannschaften vor, ihre Ausrüstung auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, jeder sei genügend ausgestattet worden. G. schlug vor, angesichts der langen Erfahrung mit der Mangelwirtschaft auf den nächsten Spendencontainer zu warten und dann alles ausgegebene Material zu registrieren und die Ausrüstung regelmäßig zu überprüfen. Dann schlug er noch vor, dass die Führungskräfte in den Büros ihre Einsatzkleidung zur Verfügung stellen sollten, was aber beim Wachleiter eine gereizte Reaktion hervorrief, weil ja alles Bürokräfte pro forma in Bereitschaft seien. Nach Gs. Eindruck ging es vor allem darum, Machtbereiche zu markieren, doch er fand es eindrucksvoll, dass die Feuerwehrleute es geschafft hatten, Mängel offen zu kritisieren und nicht permanent vor der Obrigkeit zu ducken. Nachdem G. noch ein paar situationsbezogene Allgemeinplätze zu guter Personalführung, persönlichem Engagement und Disziplin verteilt hatte, ging er sich umziehen.