Unterwegs: Bernhards Porträt, eine Begegnung

Bernhard
Bernhard sitzt im ICE nach Frankfurt. Beim Durchgehen der Unterlagen merkt er, dass er seinen Geldbeutel mit Fahrschein und Bahncard im Hotel liegen gelassen hat. Scheiß Dienstreisen, denkt er sich. Bernhard hat 36 Stunden nicht geschlafen. Präsentationen beim Kunden, anschließend Geschäftsessen und in der Nacht noch die Videokonferenz beim Produzenten in Singapur. Dass er vor 8 Monaten bei einem großen Gerätehersteller den Job als Produktionscontroller übernommen hat, passt seiner Frau gar nicht. Ihr gemeinsamer Sohn Jan könnte in ihren Augen einen deutlich präsenteren Vater gebrauchen. Er wird bald vier und im Prinzip hatte Rebekka davon geträumt, dass sich Bernhard nach der Geburt ihres Kindes mehr Zeit nehmen würde. Als Kind war sie immer mit der Familie wandern gewesen. Als sie Bernhard kennengelernt hatte, war sie von seiner Kulturbegeisterung fasziniert. Das kannte sie aus ihrer Handwerkerfamilie im Taunus nicht. Aber das war mit den Jahren mehr und mehr geschwunden, je länger sich ihr Mann von Managerposten zu Managerposten hangelte. Manchmal hat sie Zweifel. Sie liebt Bernhard, keine Frage und Bernhard liebt sie doch wohl auch? Die Geschenke und Gadgets, die er nach den Reisen mitbringt, zeigen ja, dass er sich bemüht. Aber könnten sie nicht einfach einmal gemeinsam kochen und einen Abend auf der Terasse verbringen?
Bernhard denkt: Mist, wenn ich jetzt auf Dienstreise beim Schwarzfahren erwischt werde, geht das nicht. Er zahlt zähneknirschend die 136€, die ihm die bärtige Schaffnerin für ein Ticket abnimmt. Immer geht es ihm so: Irgendein Fehler, der seine Pläne über den Haufen wirft. Eigentlich hat er Ideen, kluge Pläne. Doch schon in der Schule war es so, dass ihm keiner seine Visionen so richtig abkaufen wollte. Er galt als mittelmäßig und langweilig. Daran änderten auch Ralph-Lauren-Polohemden nichts. Die Brille war ebenfalls nicht hilfreich. Bis er Rebekka kennenlernte. Sie war niemand, der auf solchen Trallala, wie sie es nannte, achtgab. In dem Viertel, in dem sie geboren war, gab es tausend schrullige Leute. Was spielte es für eine Rolle, ob der Typ, den sie in der Unimensa kennenlernte, blaue oder grüne Haare hatte. Er war ein ehrlicher Kerl, auch wenn er es oft anscheinend nicht leicht hatte. Rebekka war mehr der Beschützertyp. Als sie vor sechs Jahren geheiratet hatten, fand sie es aufregend, dass sie nun mit jemandem, der so völlig anders war als sie, ihr Leben teilen würde. Mit ihrer Stelle bei einer Bausanierungsfirma hatte sie sogar gelegentlich unter der Woche frei. Zeit, mit Bernhard etwas zu unternehmen. Meistens hatte sie an diesen Tagen seine Emails aus irgendeiner chinesischen Stadt oder aus dem Firmenhauptsitz in Berlin gelesen. Verdammt, warum musste sich Bernhard immer so in Arbeit vergraben.
Bernhard schaut aus dem Fenster. Signale und Lichter spiegeln sich in der Scheibe. Er sollte sich mal wieder rasieren. Vororte von Frankfurt ziehen vorbei. Bernhard freut sich auf zu Hause.