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G.: Let’s go to the movies!

Fallnummer 209

Msimbazi Police Station, Raubüberfall, Fallnummer 209, 2016 – Die Quittung

Samstagabend

Es war ein fauler Samstag. Nicht direkt nach Gs. Geschmack, aber immerhin so, dass er wieder etwas Verschnaufpause in dem sonst recht vollen Alltag bekam. Abends wollte er mit So. und A., ihrer Freundin, ins Kino gehen, es sollte Gs. erster Bollywoodfilm werden. Rechtzeitig und bevor das Date von S. und B. richtig Fahrt gewann, brach G. also nach Kariakoo auf, um sich indisches Kino zu Gemüte zu führen. Das wurde allerdings nichts, denn an der Kasse des Kinos stellten die Freunde fest, dass der Film auf Hindi ohne Untertitel sein würde. Also kaufte So. eine Karte für den Bollywoodfilm und A. und G. entschieden sich für „Concussion“, wo es um die lädierten Gehirne von Footballspielern geht. Das Thema fand G. mäßig interessant, die Aussicht auf einen Kinoabend mit A. dagegen umso mehr, denn er mochte sie gerne. Nachdem sie allerdings noch fast zwei Stunden bis zum Filmbeginn Zeit hatten, entschieden sich So., A. und G., noch in eine Kneipe zu gehen.

Das hätten sie nicht tun sollen. Denn erstens gab es dort nur Mangosaft aus der Tüte, nicht einmal gekühlt. Und außerdem wurden die drei auf dem Rückweg zum Kino überfallen. Zunächst sah es nur so aus, als würden ein paar Jungs die Mädchen anquatschen wollen, was ungefähr so außergewöhnlich ist wie die Punkte auf einem Fliegenpilz. Wenn die Verehrer allerdings eine Machete hervorziehen und Leuten Handtaschen wegnehmen, gehört das nicht mehr zu den gewöhnlichen Strategien. G. reagierte unbewusst mit der Routine, mit der er sich schon im Kindergarten gegen die großen Bösen verteidigt hatte: Chaos stiften und irgendwie durchwühlen. Erst brüllten er und der Machetenmann sich an, dann merkte G., dass ihn mehrere Hände packten. Er riss sich los und fiel hin. Eigentlich hatte er im Besonderen einen Gedanken im Kopf: Diese Hurensöhne kriegen mein Smartphone nicht. Er dachte an die schönen glatten Konturen seines Sony, das er diesen „Jugendlichen“ (eines der Synonyme für große, unberechenbare andere Kinder aus Gs. Kindheit) nicht geben wollte. Wie demütigend das wäre. Schlimmer noch, als den Besuch des Innenministers zu verpassen. Er rappelte sich noch einmal auf und sprang ein paar Meter weg von den Verfolgern. Dann schaltete sich Gs. Gewissen ein, das ihm sagte, dass er seine Freundinnen nicht im Stich lassen könnte. G. drehte sich um. Die Täter hatten mit As. Smartphone, Sos. Kreditkarte, etwas Bargeld und beiden Handtaschen ihr Plansoll offenbar erfüllt, denn sie rannten weg in eine Seitengasse. So., A. und G. rannten über die Straße auf einen bewachten Parkplatz, wo G. erst vergeblich den Polizeinotruf wählte und schließlich, die Wächter hatten die drei inzwischen hinausgeworfen, über den Control Room der Wache einen Kontakt zur Polizei bekam, die ihn abholte. Mit einer auf Zivil getrimmten Anti-Überfall-Patrouille fuhr G. noch einmal zurück an den Ort des Geschehens, wo eine Stunde später natürlich nichts mehr auszurichten war. Dann erstattete er auf der Polizeiwache Bericht. Die Beamten waren freundlich, einer von ihnen begleitete G. sogar zur Wohnung seiner Freunde zurück, wo G. auf dem Sofa übernachtete, da ihm die Heimfahrt angesichts der vielen, vielen einsamen Passagen auf dem Weg nach Magomeni nicht allzu verlockend erschien.

Drei Tage später wäre S. auf dieser Strecke, als er eine halbe Stunde nach G. über die Jangwani-Brücke fuhr, fast überfallen worden. Er konnte sich zwar in ein vorbeifahrendes Auto retten. Die Vorfälle stimmten die beiden dennoch nachdenklich, ebenso wie die Organisation in Hamburg. In einer E-mail wurden die Freiwilligen aufgefordert, die Sicherheitsregeln stärker zu berücksichtigen, gerade angesichts der Tatsache, dass sie inzwischen ein gewisses Gefühl von Sicherheit erworben hätten. Ebenso wurden G. und S. belehrt, es sei wünschenswert, dass sie beim nächsten Mal einfach ihre Wertsachen aushändigen würden. Was für Vollidioten, dachte sich G. im ersten Moment. Aus ihrem Loch mitten in Europa heraus zu fordern, dass man diesen Banditen seine Sachen aushändigt? Diesen niederen Geschöpfen? Nicht umsonst haben wohl Studien ergeben, dass Bedrohung durch Kriminalität eine starke emotionale Wirkung auf Menschen hat, selbst wenn die reale Gefahr eventuell in keinem Verhältnis zur empfundenen steht. Gs. Telefon hat 100€ gekostet, ein Treffer mit einer Machete ist wirtschaftlich gesehen ein größerer Schaden als der Verlust des Telefons. Doch ein bisschen geht es auch um das Prinzip. Ein Mzungu (Weißer Ausländer) ist kein wandelnder Selbstbedienungsladen. Kolonialgeschichte, Kulturrelativismus und Nächstenliebe hin oder her. Klar kann G. nur in diesen Relationen denken, weil er in sozial besser gestellten Verhältnissen aufgewachsen ist. Egal wie, er hat die E-mail gelesen und verstanden. Gutgeheißen hat er ihren Inhalt nicht, zumindest nicht emotional.

G. hat sich eine Anti-Raub-Tasche geschneidert, bei der der Trageriemen abgeht, wenn man eine Reißleine zieht. Er hat gemeinsam mit S. das Internet nach schnittsicheren Handschuhen durchforstet und sich über Schlagstöcke informiert. Der gepanzerte Humvee ist erst bei sehr großzügiger Spendentätigkeit aus der Heimat drin. Die Backdoor im Tigo-Mobilfunknetz zum Tracking von Verdächtigen muss dagegen nur noch gefunden werden. Mal sehen, wie es wirklich wird. G. weiß, dass Gehorsam angesichts von willkürlichem Zwang eine große Demütigung für ihn darstellt. Und er weiß auch, dass man manchmal keine Wahl hat. Beim ersten Mal ist er mit dem Schrecken und ein paar Schrammen davongekommen. Falls es ein zweites Mal gibt, kommt ihm sicher wie im Film Superman zu Hilfe. Let’s go to the movies.

2 Gedanken über “G.: Let’s go to the movies!

  1. Ingeburg Linenthal-Harnisch

    Lieber Jakob,
    danke für die vielen Berichte und Fotos. Leider ist es schwer, mal ein Bild von Dir zuentdecken!
    Ich freue mich, dass Euer Movieausflug ohne Personenschaden ausgegangen ist.
    Könnt Ihr Eure Wertsachen, besonders Kreditkarte, sicher in der Unterkunft lassen? Ausweis und etwas Geld braucht Ihr ja sicher, wenn Ihr unterwegs seid. Sind A und S auch WeltwärtsMädchen?
    Handtaschen halte ich selbst in Deutschland als eine unsichere Angelegenheit, weil man mit einem Griff alles grapschen kann, ist aber natürlich schicker, als ausgebeulte Hosentaschen. Und natürlich auch nicht so toll, wenn Räuber erst mit Personenkontrolle, sprich Abtasten und Angrapschen an die gewünschten Sachen dran kommen, wobei sich noch andere Ideen anschließen können.
    Ich wünsche Dir und Euch noch viele angenehme Erlebnisse!!!

    Liebe Grüße

    1. Jakob Lindenthal Beitrags Autor

      Herzlichen Dank für deinen Kommentar! Ja, oft ist es möglich, seine Sachen zu Hause zu lassen, was wir jetzt auch wieder vermehrt tun. A. und So. sind Freiwillige aus Kanada. Und manchmal gibt es Abende, an denen habe ich sehr ausgebeulte Hosentaschen, aber dafür hat man ja Fjällräven-Hosen. Andererseits muss ich mich wahrscheinlich vor den von dir angesprochenen anderen Ideen weniger fürchten. Im aktuellen Kletter-Beitrag sind wieder ein paar Bilder von mir. Das ist leider das Problem dessen, der fotografiert, wenn man kein Anhänger der Telefon-Frontkameras ist. Umso mehr freut man sich dann, wenn man hin und wieder ein brauchbares Foto von sich bekommt, so wie diese jetzt von Samuel, der in meinen Augen ein wirklich guter Fotograf ist. Schau mal auf die Linienführung in dem Bild, wo ich auf der Plattform stehe!
      Herzliche Grüße, Jakob