Das dümmste Bundesland und Bananen am Bahnhof
„Das dümmste Bundesland“ – Mecklenburg-Vorpommern – hat gewählt. Angesichts des Wahlerfolgs der Partei Alternative für Deutschland waren die Reaktionen sehr gemischt und zum Teil stark aufgeladen, wird vielen Beobachtern doch bewusst, dass der Konsens in Deutschland über stillschweigend für allgemeingültig gehaltene Grundwerte weniger stark aussieht als erwartet. DIE Bewohner Mecklenburg-Vorpommerns öffnen den Nazis die Tür, kann man verkürzt zahlreiche Meinungen wiedergeben. Wie blöd sind die denn? Besonders im liberal-intellektuellen Umfeld lassen sich durchaus Häme, Galgenhumor und eine gewisse Verachtung beobachten im Hinblick auf diese Malaise, welche die Plebejer da mal wieder produziert haben.
Es sollte bemerkt werden, dass in dieser Sichtweise der selbsternannten geistigen Elite der Bundesrepublik ein Fehler unterläuft, der sich in seiner Schwere nur graduell von denen der AfD-Wähler unterscheidet. Wer vom dümmsten Bundesland spricht, die Bewohner Mecklenburg-Vorpommerns als Nazis bezeichnet oder seine eigene Fortschrittlichkeit feiert in Abgrenzung von der Rückständigkeit der AfD-Wähler, argumentiert kaum anders als Rechtsradikale, die Ankömmlinge aus dem arabischen Raum pauschal als Kriminelle, Terroristen oder Vergewaltiger bezeichnen. Natürlich haben auch Deutschlands Intellektuelle Sorge vor Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Gewalt. Doch es ist eine abstrakte Gefahr, die man mit Galgenhumor, ein wenig Verachtung für den Pöbel und unbeirrtem Optimismus gut abwehren kann. Sie können es sich leisten: Im Hochlohnsektor gibt es keinen Konkurrenzkampf, der von Flüchtlingen verschärft werden könnte, in einem Einfamilienhaus mit Zaun kann nicht einfach in der Nachbarwohnung eine ausländische Familie einziehen, die vielleicht komische Sitten hat. Und zur Not könnte man auch noch die Finanzierung eines Wachdienstes stemmen, der herumlungernde Arme aus der Nachbarschaft vertreibt. Die meisten dieser Refugien hat der klassische AfD-Wähler nicht. Prekäre Arbeitssituation, Plattenbau, Hoffen auf Vater Staat. Und dass es nicht besser wird, ist relativ wahrscheinlich, wenn man sehen wird, was nach der Willkommenskultur kommt. Denn es ist nicht so, dass Offenheit, Toleranz und Kooperation nur auf Seiten der Aufnehmenden und Helfenden existieren würde. Wer schon einmal in einer fremden Kultur angekommen ist, um dort zumindest für einige Zeit zu leben, wird bestätigen können, dass sich auch Einwanderer in einem Übergangsmodus, in einer gewissen Adaptionsstimmung befinden. Die Flüchtlinge versuchen genauso wie die Gastgeber das andere Wertesystem zu verstehen, zu lernen, wie der Alltag funktioniert, wo die nächste Bushaltestelle ist. Dieser Prozess funktioniert umso einfacher, je weniger Ankömmlinge auf die Alteingesessenen kommen. Je mehr Ankömmlinge es werden, desto mehr muss die gegenseitig Gewöhnung und der Austausch institutionalisiert werden. Wenn das funktioniert, ist es zum beidseitigen Nutzen, da jede Seite ihren Erfahrungsschatz erweitert, Akzeptanz für Unterschiede entwickelt und Diversität zur Norm wird, was zur Verschmelzung der Gruppen und einer schließlich besseren Gesellschaft beiträgt. Dass ein kontroverser Diskurs und kulturelle Diversität bei gleichzeitigem sozialem Zusammenhalt das Beste ist, was einer Gesellschaft passieren kann, ist ein Fakt. Diesen würden nur erklärte Rassisten, die in der Tat böse und dumme Menschen sind, anzweifeln. So weit die Theorie. Und egal, wie sehr der Staat bei der Integration von Einwanderern versagt, in bestimmten Milieus wird sich genau eine solche kreative, demokratische, vielfältige Zusammensetzung bilden, die man dann mit einem eingeschränkten Blickwinkel als Erfolg verkaufen kann. In der Fläche – und genau dort leben die AfD-Wähler – könnte es aber anders aussehen. Wenn die Flüchtlinge merken, dass die Bananen am Bahnhof ungefähr alles waren, was für ihre soziale Perspektive in einer neuen Kultur aufgewendet wurde, wird es unbequem. Dann werden Elend und Kriminalität zunehmen und allein aus Trotz wären Ghettobildung und Radikalisierung die menschliche Folge einer gut gemeinten und guten Kampagne, die nach dem ersten Viertel abgeblasen wurde. Es sieht ja kaum anders aus in bestimmten Vororten ostdeutscher Großstädte, in denen Armut und Perspektivlosigkeit herrschen. Nur mit dem Unterschied, dass diese Zurückgelassenen AfD wählen, statt sich mangels politischer Vertretung und Verständnisses für die Gastkultur einen Sprengstoffgürtel zu bauen.
Und hier wird es für die sozial Bessergestellten und die politische Elite unbequem. Man kann Offenheit demonstrieren, Verfolgte willkommen heißen und sie medienwirksam am Bahnhof begrüßen. Wenn daraufhin aber kein tragfähiges Modell zur gesellschaftlichen Integration der neuen Mitbewohner zur Ausführung kommt, ist die hämische Bezeichnung „Gutmensch“ eine relativ logische Reaktion derer, denen schon in den 90ern „blühende Landschaften“ versprochen wurden und für die sich diese nur im Villenviertel nebenan verwirklicht haben, bei dessen Wartung man sich von Zeitarbeit zu Zeitarbeit hangelt.
Es wird eine kontroverse Diskussion über den gesellschaftlichen Zustand Deutschlands (und Europas) und seine sozialen Perspektiven notwendig sein. Das Proletariat von links ist reich geworden. Die Verdammten dieser Erde kommen von rechts und fühlen sich von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen. Bei der Integration der Flüchtlinge geht es im Wesentlichen um soziale Mobilität, egal vor welchem ethnischen Hintergrund. Und die Perspektivlosigkeit war vor der AfD da. Sozialen Aufstieg erreicht man erreicht man insbesondere durch Bildung. Wäre es nicht sinnvoll, im Zuge eines Mammut-Bildungs- und Integrationsprogramms für Zugewanderte auch einmal die beschämend niedrigen Bildungsausgaben und Bildungsförderung für deutsche Staatsbürger zu erhöhen, die sicherlich ihren Anteil an der gesellschaftlichen Misere im Nordosten der Republik haben? Auch an anderer Stelle werden sich Regierungen Fragen stellen müssen. Kann es sein, dass bunte Demonstrationen, Dialog und An-Bäume-Ketten in Teilen der Weltpolitik als Durchsetzungsmittel von Rechtsnormen nicht ganz genügen, so wie sich das manche Alt-68er in ihren Vorortpalästen und sanierten Altbauwohnungen vorstellen? Wäre es nicht sinnvoll, über eine Flugverbotszone in Syrien und gesicherte lokale Registrierungspunkte zu diskutieren? Sicherlich, dabei könnten auch deutsche Soldaten eingesetzt werden und im Ernstfall sogar ums Leben kommen. Das würde auch die AfD nicht wollen. Und hier ist die Chance eines offenen, argumentbasierten Diskurses, vor dem sich bisher alle Teilnehmer scheuen. Die politische Elite, weil sie Sorge hat, vom Olymp der moralischen Erhabenheit herabzusteigen, die Afd, weil sie eigentlich gar keine Argumente hat. Denn sie ist gar kein Volkstribun. Sie ist, genau wie die anderen Parteien, ein Anbieter auf dem politischen Markt und befriedigt mit Ware niederer Qualität die Bedürfnisse einer bestimmten Kundschaft. Nur weil sich die anderen zu gut sind, in den Schmutz der Ängste des kleinen Mannes herabzusteigen, können die Rechten behaupten, was sie wollen. Auch wenn ihre Ideen nicht einmal im Interesse der anvisierten Klientel sind. Ein isoliertes Deutschland wird in Zukunft weiter wirtschaftlich abgehängt, was insbesondere die AfD-Wähler trifft. Außenpolitisches Abseitsstehen wird die Probleme der Welt verschärfen und Flüchtlingsströmen Antrieb geben. Diese Flüchtlinge werden auch in eine Festung Europa unweigerlich eindringen und durch Illegalität noch rascher als jetzt ins soziale Abseits gedrängt. Weniger Zufriedenheit, weniger Perspektiven, weniger Sicherheit wären die Folge an Stelle von mehr. Also das Gegenteil von dem, was die Alternative für Deutschland verspricht. Sie bietet keine Lösungsansätze, sondern führt ihre Klientel beschleunigt in eine Wirklichkeit, vor der diese eigentlich Angst hat. Das müsste sich auch einem Langzeitarbeitslosen in Mecklenburg-Vorpommern vermitteln lassen, wenn man es mit entsprechenden sozialen Maßnahmen in der Realität untermauert. Dann kann man auch die lauten Töne der AfD als leeres Gebrüll enttarnen und tragfähigen Perspektiven zu gesellschaftlichem Konsens verhelfen. Dazu bräuchte es die Einsicht, dass Bananen am Bahnhof nicht zur Bewältigung einer sozialen Krise genügen und es sein kann, dass alles schwieriger wird, als man dachte. Doch das sollte uns nicht schrecken, denn Deutschland kann aus einem reichen Erbe schöpfen, auf das alle politischen Kreise stolz sind: Waren wir nicht schon immer Ingenieure?